Aus IPPNW-Forum 105-106/07

Eine Frage auf Leben und Tod

Patenter Zugang zu Arzneimitteln

Während G8-Präsidentin Angela Merkel in Heiligendamm gut gelaunt vor den Fernsehkameras steht und 60 Milliarden Euro für die Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria verspricht, schreiben im Pressezelt in Kühlungsborn die Hilfsorganisationen ihre Pressemitteilungen. Einhelliger Tenor: Der G8-Gipfel bringt keinen Durchbruch beim Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten. Im Gegenteil: Er verschärft die Misere.

Wichtiger als die werbewirksame Fernsehbotschaft fanden die Hilfsorganisationen offenbar das Kleingedruckte in den seitenlangen Abschlussdokumenten des Gipfels. Dort wurde en detail eine Verschärfung der Durchsetzung der geistigen Eigentumsrechte weltweit festgeschrieben. Das heißt, das weltweite Patentrecht wurde verschärft, obwohl dies das Haupthindernis beim Zugang und der Entwicklung von bezahlbaren Arzneimitteln just gegen AIDS, Tuberkulose und Malaria ist.

Die Folgen dieser Politik sind tödlich. Jährlich sterben 2,9 Millionen Menschen an Aids, 2 Millionen an Tuberkulose und 1,3 Millionen an Malaria. 72 Prozent der AIDS-Kranken in den ärmeren Ländern haben keinen Zugang zur Therapie. In den vergangenen 20 Jahren kam nicht ein neues Arzneimittel gegen Tuberkulose auf den Markt. Und dringend benötigte neue Anti-Malariamittel fehlen ebenso auf dem als unprofitabel eingeschätzten Markt.
Die Südländer wollen das nicht weiter hinnehmen. „Intergovernmental working group on public health and innovation” heißt – ganz unverfänglich – die von ihnen initiierte Arbeitsgruppe bei der Weltgesundheitsorganisation . Doch die inhaltliche Thematik ist so explosiv, das die Generaldirektorin der WHO, Margaret Chan, die Angelegenheit zur Chefsache erklärte.

Die WHO-Arbeitsgruppe soll offiziell nach alternativen Methoden der Forschungsförderung suchen, die sich mit dem Zusammenhang von Forschungskosten und Arzneimittelpreisen beschäftigen. Im Klartext: Mittels neuer Modelle sollen die Forschungskosten von den Arzneimittelpreisen abgekoppelt werden.
Das Ziel: Erstens die Arzneimittel für die Kranken in den armen Ländern erschwinglich zu machen und zweitens die Entwicklung neuer Arzneimittel gegen die großen Tropen- und Armutserkrankungen zu fördern.
Beispiel Coarsucam. Das neue Arzneimittel gegen Malaria wurde von der Initiative gegen vernachlässigte Krankheiten (DNDi) entwickelt – mit Hilfe von öffentlichen Geldern verschiedener Regierungen, der WHO, Stiftungen und Privatiers.
Das Besondere daran: Erstens die geringen Entwicklungs- und klinischen Studienkosten von nur 6,4 Millionen Euro gegenüber 800 Millionen US-Dollar, mit denen die pharmazeutische Industrie die durchschnittlichen Entwicklungskosten pro Medikament angibt. Und zweitens der Verzicht auf jegliche Patente. Das Arzneimittel kann von jedem Hersteller produziert werden. In diesem Fall hat Sanofi-Aventis die Produktion und den Vertrieb übernommen. Weniger als einen Dollar wird nun die Behandlung eines Erwachsensen kosten, 0,50 Cent die Behandlung eines Kindes.

Ein Beispiel, das Schule machen könnte. Doch während sich Initiativen wie DNDi sich bemühen, die Forschung wieder mehr an den Bedürfnissen der Patienten auszurichten, kämpfen die pharmazeutischen Großunternehmen mit harten Bandagen um ihre Monopolstellung.

Jüngstes Beispiel: Das amerikanische Unternehmen Abott weigert sich, in Thailand wichtige Medikamente zu verkaufen, weil die dortige Regierung das dringend benötigte teure HIV-Mittel Kaletra von Abott zum kostengünstigen Nachbau freigegeben hat.

Vorausgegangen waren zähe Verhandlungen der thailändischen Regierung mit Abott, nur zwei Prozent Rabatt wollte Abott zugestehen. Für ein Land wie Thailand, in dem 78 Prozent der Bevölkerung auf staatliche Fürsorge angewiesen sind, ist dieser Preis nicht zu zahlen. Der Premierminister rief den nationalen Notstand aus und ließ das Arzneimittel kostengünstig für das Fürsorgeprogramm der Regierung nachbauen.
“Keine Firma wird wegen hoher Preise in Entwicklungsländern mit mittlerem Einkommen prosperieren oder zugrunde gehen, Patienten schon… Abott steht mit seiner Hardliner- Position praktisch alleine da, in einer Sache, die ich als Frage auf Leben und Tod ansehe“, kommentiert der ehemalige US-Präsident Bill Clinton die Abott-Politik. Damit steht er nicht allein. Eine breite zivilgesellschaftliche Allianz schrieb einen Appell an Abott und ruft zur Unterschriftenaktion auf (www.difaem.de).

Die Regierungen der Industrieländer schauen indes kommentarlos dem Treiben zu. Obwohl Thailand nur das in Anspruch genommen hat, was dem Land laut internationalen Verträgen zusteht. Thailand hat eine sogenannte Zwangslizenz durchgesetzt. Das heißt, gegen eine Lizenzgebühr darf auch ohne Zustimmung des Patentinhabers – in diesem Fall Abott – unter bestimmten Voraussetzungen (nationaler Gesundheitsnotstand) das Arzneimittel kostengünstig nachgebaut werden.

Festgelegt wurde dieses Verfahren in den Nachverhandlungen zum sogenannten TRIPS-Abkommen. Das komplizierte Trips-Abkommen (Übereinkommen über die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums) wurde 1994 unter dem Dach der Welthandelsorganisation (WTO) verabschiedet. Es schreibt Patente auf allen technischen Gebieten vor und verlangt von allen WTO- Mitgliedsländern die Einführung eines nationalen Patentsystems. Bei Nichtbeachtung folgen empfindliche Handelsstrafen.

Pikant: Die Blaupause für das TRIPS-Abkommen schrieb ausgerechnet der US-Pharmakonzern Pfizer Anfang der 80iger. Gemeinsam mit zwölf weiteren internationalen US-Unternehmen startete Pfizer eine intensive Lobbyarbeit für die weltweite Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte (Patente, Marken- und Sortenschutz, Urheberrechte etc.) Mit Erfolg. Ob Brasilien, Indien oder Thailand, alle Länder waren gezwungen, ein nationales Patentsystem einzuführen, das dem us-amerikanischen gleicht.

Der Zugang zu bezahlbaren Medikamenten war und ist damit akut bedroht. Länder wie Indien, die sich zur Apotheke der Armen entwickelt hatten, weil sie kostengünstig Arzneimittel nachbauten, konnten diesen Weg nicht weiter beschreiten.

Dementsprechend scharf viel auch die Kritik der Entwicklungsländer am TRIPS aus und das Übereinkommen musste nachverhandelt werden. Entwicklungsländern wurde das Recht zugestanden, Sicherungsmaßnahmen für die öffentliche Gesundheit anzuwenden. Das heißt, wenn eine Regierung den nationalen Notstand ausruft, kann es das Patent auch ohne Zustimmung des Rechtsinhabers nutzen und selbst produzieren.

Doch bisher hat sich kein Land getraut, dieses Verfahren anzuwenden, denn der Druck der Industrieländer ist groß. So haben die USA durch die Hintertür in zahlreichen bilateralen und regionalen Freihandelsabkommen mit Entwicklungsländern schärfere Bedingungen zum Schutz des geistigen Eigentums durchgesetzt, die den Preis hochhalten und die Ausnahmeregelungen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit schwächen.
Und auch die Pharmaindustrie will die Ausnahmen nicht akzeptieren. Neben Abott klagt zur Zeit Novartis in Indien gegen die indischen Patentrichtlinien. Die Inder fügten eine Klausel ein, die Patentmonopole für geringfügige Weiterentwicklungen bereits bekannter Medikamente – sogenannte Scheininnovationen – verhindern soll. Gegen just diese Klausel klagt nun das Schweizer Pharmaunternehmen. Die Klausel widerspräche den internationalen WTO-Verträgen. Kommen die Phamafirmen mit ihren Klagen durch, wird der Zugang zu preiswerten Medikamenten weiter erschwert werden (Unterschriftenaktion unter www.aerzte-ohne-grenzen.de oder bei der IPPNW).

Doch immer mehr Menschen stehen gegen diese Politik auf. In Deutschland hat die IPPNW gemeinsam mit vielen anderen die Berliner Erklärung für Innovation und Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln unterschrieben. Darin wird eine grundlegende Neuausrichtung der Arzneimittelforschung gefordert. Konkret geht es um die Einrichtung von Patentpoolen , die Nutzung von Zwangslizenzen, die Einführung neuer Forschungsanreize, die öffentliche Finanzierung essentieller Gesundheitsforschung und die Schaffung einer zwischenstaatlichen Einrichtung zur Festlegung von Forschungsprioritäten etwa bei der WHO. Das Ringen um einen verbesserten Zugang zu Arzneimitteln geht weiter.

Ute Watermann

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