Von Evian nach Brüssel

Menschenrechte und Flüchtlingsschutz müssen auf die Agenda der internationalen Politik

Vor 70 Jahren, vom 6. bis zum 15. Juli 1938, fand in Evian-les-Bains am Genfer See die durch die US-Regierung initiierte Evian-Konferenz statt, auf der Abgesandte von 32 Nationen sowie Vertreter von Hilfsorganisationen über die Aufnahme der vom NS-Regime Verfolgten berieten. Aufgrund des katastrophalen Ergebnisses - weitere Grenzschließungen waren die Folge der halbherzigen Verhandlungen und unzähligen, im Machtbereich der Nationalsozialisten befindlichen Verfolgten wurden letzte legale Fluchtwege verschlossen - ist die Evian-Konferenz zum Symbol des Versagens der demokratischen Staaten angesichts der Flüchtlingskrise des Jahres 1938 geworden.

Die 70jährige Wiederkehr der Konferenz von Evian war Anlass zu einer Konferenz über den Flüchtlingsschutz heute einzuladen. Auf Einladung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag, dem Zentrum für Antisemitismusforschung, Pro Asyl und unter Mitwirkung der IPPNW zogen 250 TeilnehmerInnen am 30. Juni und 1. Juli Bilanz und formulierten Forderungen an die deutsche und internationale Politik.
„In Evian wurde das Todesurteil für viele 10.000 Menschen gesprochen“, so der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, Prof. Wolfgang Benz, und auch heute wird alles getan, um „uns die Flüchtlinge vom Hals zu halten“.

Erschreckende Parallelen
Zwar wurden nach Kriegsende mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zwei wesentliche Grundlagen einer humanitären Flüchtlingspolitik geschaffen. Im krassen Gegensatz dazu steht die derzeitige Abschottungspolitik der Europäischen Union an den EU –Außengrenzen. Wie damals werden auch heute Flüchtlinge in höchste Lebensgefahr abgewiesen. Und zwar auf hoher See, wo die EU-Grenzschutzagentur Frontex ihr Unwesen treibt. So sind nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisationen „United“ und „Fortress Europa“ in den letzten 12 Jahren 12.600 Menschen im Mittelmeer bei Fluchtversuchen ums Leben gekommen. Und täglich werden es mehr. Flüchtlingsabwehr statt Flüchtlingsschutz. Statt Erste Hilfe zu leisten werden hochseeuntaugliche Flüchtlingsschiffe auf hoher See aufgebracht und erhalten bestenfalls soviel Nahrung und Benzin, dass sie wieder ihren Herkunftshafen ansteuern können. Wenn Fischer beispielsweise schiffbrüchige Flüchtlinge an Bord nehmen, müssen sie wegen mit einer Anklage Schlepperei mit der Androhung von Haft bis zu 12 Jahren rechnen.

Forderungen an die Politik
Dazu erklärten die Organisatoren des Kongresses: Die Tragödien, die sich derzeit an den Küsten und in den Grenzregionen Europas abspielen, sind eine humanitäre und politische Bankrotterklärung Europas. Wir fordern einen Paradigmenwechsel der gesamten EU-Asylpolitik: weg von einer inhumanen Abwehr-, Abschottungs- und Abschiebehaltung hin zu einer offenen, partnerschaftlichen Aufnahmegesellschaft. Dies erfordert auch einen radikalen Kurswechsel in weiteren Politikbereichen, etwa in der EU-Handels- und Agrarpolitik. Durch die Verstärkung der "Festung" Europa mit militärischen und völker- und menschenrechtlich fragwürdigen Methoden setzt die EU ihre Glaubwürdigkeit in der Menschenrechts- und Asylpolitik aufs Spiel. Binnen- und Klimaflüchtlinge und Hunderttausende andere Flüchtlinge sind derzeit nicht einmal völkerrechtlich geschützt und werden deshalb kriminalisiert. Völkerrechtliche, nationale und EU-Standards müssen den veränderten globalen Bedingungen von Flucht und Migration angepasst werden, damit nicht weiterhin Millionen Menschen ohne jeglichen Schutz sind.

Ferner waren sich die KonferenzteilnehmerInnen darin einig, dass Kinderflüchtlinge nirgendwo in der EU mehr in Abschiebehaft genommen und in ihnen fremde Länder abgeschoben werden können. Es sei eine besondere politische und moralische Verpflichtung Deutschlands, Flüchtlingskindern alle Rechte der UN-Kinderrechtskonvention umfassend und uneingeschränkt zu garantieren. Die noch nicht erfolgte, auch vom UN-Ausschuss für Kinderrechte in Genf wiederholt angemahnte Rücknahme der deutschen Vorbehaltserklärung zu dieser Konvention stellt die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der Kinder- und Integrationspolitik massiv in Frage. Es ist Sache des Parlaments, hier endlich Klarheit im Sinne des Kindeswohls zu schaffen.

In Erinnerung an die Konferenz von Evian und deren Scheitern forderten die an der Berliner Konferenz beteiligten Organisationen: Der Schutz von Flüchtlingen ist auf die Agenda der internationalen Politik zu setzen. Eine UN-Konferenz für die Rechte von Flüchtlingen ist einzuberufen. Eine UN-Dekade zum Schutz von Flüchtlingen und zur Bekämpfung von sozialen, ökonomischen, ökologischen und politisch-institutionellen Fluchtursachen ist anzustreben.

Von Frank Uhe

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Ansprechpartnerin

 

Anne Jurema
Referentin "Soziale Verantwortung"
Tel. 030/698074 - 17
Email: jurema[at]ippnw.de

Materialien

Empfehlungen für heilberuflich Tätige in Abschiebesituationen
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IPPNW-Report: Gesundheitliche Folgen von Abschiebungen
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IPPNW-Forum 164: „Mitwirkung bei Abschiebungen: Ärzt*innen zwischen Gesetzen und Ethik“
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Dokumentation: Best Practice for Young Refugees. Ergebnisse und Beiträge einer internationalen Fachkonferenz  
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