Aus IPPNW-Forum Juni 2010

Gefährlicher Staub

Uranmunition und ihre medizinischen Folgen

„Es ist wissenschaftlich unbestritten, dass das abgereicherte Uran beim Verbrennen von Temperaturen bis zu 5000 Grad Celsius einen unsichtbaren gefährlichen Metallrauch erzeugt. Dies allein stellt eine Verletzung des Genfer Protokolls für das Verbot des Gebrauchs von Gas im Krieg dar, denn Metallrauch entspricht einem Gas," erklärte die weltweit anerkannte Strahlenbiologin Rosalie Bertell.

Depleted Uranium (DU) ist die englische Bezeichnung für abgereichertes Uran - ein Abfallprodukt, das bei der Anreicherung von Kernbrennstoff für Atomkraftwerke und von waffenfähigem Uran für Atombomben entsteht. Es wird von der Rüstungsindustrie zur Herstellung von panzer- und bunkerbrechender Munition verwendet. Uran-Geschosse entfalten aufgrund ihrer extrem hohen Dichte eine größere Durchschlagskraft als konventionelle Munition. Außerdem entzündet sich das nach einem Treffer zu Staub gewordene und extrem erhitzte Metall im Inneren des Panzers oder Gebäudes selbst, das getroffene Ziel verbrennt. Dabei entsteht ein Uranoxid-Aerosol in der Größe eines Nano-Partikels, das sich mit dem Wind weiträumig verteilt und mit Staub immer wieder aufgewirbelt wird. 

Über die Atemluft, das Wasser und langfristig auch über die Nahrungskette gelangt DU in den menschlichen Körper. Es wird „inkorporiert“ und in fast alle Organe eingebaut. Über die Placenta erreicht Depleted Uranium auch das ungeborene Kind und kann es schwer schädigen. Mögliche Langzeitschäden sind genetische Defekte bei Säuglingen, Kinderleukämien, Krebserkrankungen, Nierenschädigungen.

Die USA, Großbritannien, Russland, die Türkei, Pakistan, Saudi-Arabien, Thailand, Israel und Frankreich besitzen Uran-Waffen. Obwohl der Einsatz von Depleted Uranium nicht im Einklang mit dem „Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten“  und zu den Zusatz-Protokollen von 1977 steht, die den Einsatz giftiger Stoffe im Krieg untersagen, gibt es bisher keine Konvention zum Verbot von Uranwaffen.

Die IPPNW Deutschland ist Teil der Internationalen Koalition zur Ächtung von Uranwaffen ICBUW (International Coalition to Ban Uranium Weapons) und setzt sich für eine Uranwaffen-Konvention ein, einen internationalen Vertrag, der die Produktion, Besitz und Anwendung von Uranwaffen verbietet.

Einsatz im Krieg und Gesundheitsgefährdung
Depleted Uranium wurde zuerst von den USA und Großbritannien im Golfkrieg 1991 eingesetzt, später in Bosnien und Serbien 1995, im Kosovo 1999 sowie im Irak-Krieg 2003. Durchgesickerte Dokumente weisen auf einen möglichen Einsatz auch in Afghanistan hin, was jedoch bisher von den USA und Großbritannien dementiert wird.

Beim Einsatz von DU als Munition entstehen Uranpartikel und Uranoxide, die als Schwebeteilchen und Stäube die Umgebungsluft belasten. Dieser toxische Feinstaub wird mit dem Wind weit verbreitet und immer wieder aufgewirbelt. Durch Inhalation, Wasser, Nahrungsaufnahme oder durch die Haut kann das Depleted Uranium als Areosol oder als Uranoxid in den Körper gelangen. Als Uranoxid ist es mit Partikelgrößen im Mikro- und Nanobereich lungengängig und kann für mehrere Jahre im Lungengewebe verbleiben. Die biologische Halbwertszeit des Uranoxids in der Lunge beträgt ein Jahr, die des Aerosols zwei Jahre. Es kann bis zu acht Jahre dauern, bis das inkorporierte DU wieder ausgeschieden ist.

Depleted Uranium entfaltet sowohl chemotoxische als auch radiotoxische Wirkungen. Die Chemotoxizität führt vorwiegend zu Funktionsstörungen von Nieren und Leber. Langfristig droht eine Niereninsuffizienz. Die Radiotoxizität wirkt sich u. a. an den Chromosomen und Genen aus, es ruft z.B. Chromosomen- Brüche und andere Chromosomenveränderungen hervor. Für radioaktive Strahlung gibt es keinen Grenzwert, jedes Teilchen kann Zellschädigungen auslösen. Nicht nur von DU-Alphateilchen direkt getroffene Zellen werden geschädigt, sondern auch das genetische Material in den Nachbarzellen („Bystander-Effekt).

Durch medizinisch-experimentelle Studien an kleinen Säugetieren und Zellkulturen wurden schädigende Effekte auf den Fötus und den Schwangerschaftsverlauf nachgewiesen sowie eine krebsauslösende Wirkung. Alle diese neueren Studienergebnisse machen deutlich, dass das Modell der International Commission on Radiological Protection revidiert werden muss, denn es berücksichtigt vorwiegend die Wirkung externer Strahlung und vernachlässigt die kontinuierliche interne Strahlung durch inkorporierte Nuklide.

Die ICBUW hat der WHO im November letzten Jahres die Kurzfassungen von 68 aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten geschickt, in denen Wirkungen des Depleted Uranium auf Zellkulturen, Tiere, Menschen und Umwelt untersucht wurden. Diese Forschungsarbeiten lassen auf verhängnisvolle Folgen der Uranmunition für die menschliche Gesundheit schließen, sowohl aufgrund der Strahlung als auch der Chemotoxizität und schließlich auch durch synergetische Effekte. Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass inkorporiertes DU eine Vielzahl von Gesundheitsschäden verursacht, einschließlich Karzinomen. Die schädlichen Gesundheitseffekte wie Krebserkrankungen, chronische Nierenschädigungen und genetische Defekte treten in der Regel mit einer Latenzzeit von wenigen Jahren (Säuglinge, Kinder) bis einigen Jahrzehnten (Erwachsene) auf. Betroffen sind Soldaten sowie die jeweilige Wohnbevölkerung des Kriegsgebietes.

Nach Aussage des früheren WHO-Wissenschaftlers Dr. Keith Baverstock liegen im "Giftschrank" der Weltgesundheitsorganisation 16 Studien bzw. Faktensammlungen zu dem Thema "Uranmunition und gesundheitliche Folgen", die alle beweisen, dass gerade die beiden Komponenten: hohe Giftigkeit und Radioaktivität dieser Waffe sich gegenseitig kulminierend unterstützen und so die hoch aggressiven Krebserkrankungen hervorrufen. 16 Studien, die nicht veröffentlicht wurden.

Ergebnisse von Forschungsberichten aus dem Irak:
Bisher sind keine systematisch-epidemiologischen Studien zu den möglichen gesundheitlichen Folgen an den betroffenen Bevölkerungsgruppen der Kriegsgebiete durchgeführt worden. Die größte Bevölkerungsgruppe, die vom Uran-Feinstaub Kontaminierungen aus Uranwaffen betroffen ist, lebt in der Region Basrah. Der IPPNW Deutschland gelang es infolge ihrer langjährigen Kontakte zu irakischen Ärzten eine Universitätspartnerschaft zwischen der Universität Basrah und der Universität Greifswald ins Leben zu rufen. Schon nach dem ersten Golfkrieg hatten irakische Ärzte über den Anstieg der kindlichen Missbildungen und der Kinderleukämien berichtet, die jedoch von den Sanktionsmächten USA und Großbritannien als unwissenschaftlich und Propaganda abqualifiziert wurden. Die medizinischen Untersuchungsergebnisse an den irakischen Soldaten wurden international ignoriert.

Im Rahmen der Universitätspartnerschaft arbeiten irakische, deutsche und japanische Ärzte nun seit 2004 daran, ein Krebsregister für die Region Basrah zu erstellen. Dies ist inzwischen gelungen, der erste Bericht der Studiengruppe liegt vor. Der Bericht weist auf einen deutlichen Anstieg von Lungen- und Brustkrebs hin, Erkrankungen des Lymphsystems und Leukämie treten ebenfalls gehäuft auf.

Uranwaffen ächten
Der Einsatz von Depleted Uranium muss geächtet werden, um die Zivilbevölkerung und auch die Soldaten vor langfristigen schwerwiegenden Gesundheitsschäden zu schützen. Die IPPNW setzt sich für eine Uranwaffen-Konvention ein, einen internationaler Vertrag, der die Produktion, Besitz und Anwendung von Uranwaffen verbietet.

Schon 1979 schrieb der amerikanische Wissenschaftler John W. Gofman, der als Physiker an der Entwicklung der Hiroshimabombe mitgearbeitet hat und auch Arzt war: "Ich denke, dass mindestens 100 Wissenschaftler, die sich mit den biomedizinischen Aspekten der Niedrigstrahlung beschäftigt haben - mich, Gofman, eingeschlossen - Kandidaten für ein Nürnberg ähnliches Gericht sind, da sie mit ihrer großen Nachlässigkeit und Verantwortungslosigkeit Verbrechen gegen die Menschheit begangen haben. Denn jetzt, wo die Gefahren niedriger Alpha-Strahlung bekannt sind, ist dies nicht mehr nur ein Experiment, das wir gemacht haben, sondern Mord."

Angelika Claußen, Winfrid Eisenberg

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