Kommentar von Xanthe Hall und Birte Vogel

Der Vertrag zum Verbot von Atomwaffen

08.07.2017 Der Atomwaffenverbotsvertrag, Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons (TPNW), wurde am 7. Juli 2017 abgeschlossen. Zunächst sah es aus, als ob die Verabschiedung im Konsens erfolgt. Doch dann forderten die Niederlande eine Abstimmung. Der Vertrag wurde mit 122 Stimmen, einer Enthaltung und einer Gegenstimme beschlossen. Er wird ab dem 20. September 2017 zur Unterzeichnung freigegeben. Neunzig Tage nach der Unterzeichnung und Ratifizierung von 50 Staaten wird er in Kraft treten. Damit werden Atomwaffen weltweit stigmatisiert und delegitimiert.

Niemand denkt, dass durch dieses Verbot Atomwaffen sofort abgerüstet werden. Es geht hier vielmehr um eine Änderung des Diskurses. Durch die Aberkennung der vermeintlichen Legitimität der Atomwaffen, die aus dem Atomwaffensperrvertrag stammt, wird auch die nukleare Abschreckung in Frage gestellt. Darf ein Staat drohen, Massenmord zu begehen, um einen anderen Staat von einem Krieg oder gar einem Atomwaffeneinsatz abzuhalten? Nach diesem Vertrag nicht mehr.

Die Verbote
Aus der Präambel des Vertrages ist zu entnehmen, dass die katastrophalen Folgen eines Einsatzes und die Risiken, die die schlichte Existenz der Atomwaffen mit sich bringen, ein Verbot von Atomwaffen rechtfertigen. Der Vertrag verbietet unter jeglichen Umständen den Einsatz von Atomwaffen. Auch die Drohung mit Atomwaffen wird untersagt, was bedeutet, dass auch die nukleare Abschreckung unter das Verbot fällt.

Der Vertrag verbietet allen Staaten, die ihn unterzeichnen, die Entwicklung und Herstellung oder den anderweitigen Erwerb von Atomwaffen. Es folgt zudem logischerweise ein Verbot des Besitzes und der Lagerung von Atomwaffen.
Auch Hilfeleistung zu diesen Aktivitäten ist Staaten untersagt. Darunter fällt beispielsweise die nukleare Teilhabe der NATO, in deren Rahmen die US-Atomwaffen in fünf europäischen Ländern gelagert sind. Von diesen Stützpunkten aus würden die Atomwaffen im Ernstfall mit Hilfe des Militärs der jeweiligen Staaten eingesetzt werden. Alle NATO-Staaten nehmen momentan an der nuklearen Planung teil. Würde ein NATO-Mitglied sich dem Vertrag anschließen, dürfte es nicht mehr an solchen Aktivitäten teilnehmen. Zusätzlich ist die Stationierung auf fremden Territorien untersagt.

In den Verhandlungen stand zur Diskussion, ob explizit die Finanzierung von Atomwaffen verboten werden solle. Die Zivilgesellschaft wollte, dass die Finanzierung im Vertrag abgedeckt wird, wodurch  die Desinvestition einfacher durchzusetzen gewesen wäre. Jedoch hätte dieses explizite Verbot der Finanzierung eine zu große Hürde für den Beitritt mancher Staaten werden können. Ein weiteres Argument gegen eine Verankerung im Vertrag war, dass die Finanzierung schon als Hilfeleistung zu verstehen und damit nicht als explizites Verbot notwendig sei.

Die Eliminierung

Ziel der Verhandlungen - laut Mandat der Resolution der UN-Vollversammlung - war neben dem Verbot von Atomwaffen auch ein Vertragswerk, das zur Eliminierung von Atomwaffen beitragen kann. Der Vertragstext orientiert sich nun an anderen Verträgen, die Massenvernichtungswaffen ächten, wie die Konventionen zu chemischen und biologischen Waffen, sowie dem Anti-Personenminenvertrag und dem Streumunitionsvertrag. Diese Formulierungen hatten viele Staaten somit schon einmal akzeptiert. Damit war die Voraussetzung für einen Konsens gegeben. 

Der Vertrag lässt unterschiedliche Möglichkeiten zum Beitritt zu. Zum einen kann ein bestehender Atomwaffenstaat sich dem Vertrag erst anschließen und danach seine Atomwaffen eliminieren (join and destroy). Es ist jedoch auch möglich, andersherum vorzugehen: erst abrüsten und danach dem Vertrag beitreten (destroy and join).

Ein Atomwaffenstaat, der plant, dem Vertrag beizutreten, muss alle Informationen über seinen Atomwaffenbestand offenlegen, seine Atomwaffen außer Betrieb nehmen und einen Plan vorlegen, wie sie zerstört werden. Der Zeitraum für die Zerlegung soll begrenzt sein. Dieser ist jedoch noch nicht im Vertrag definiert. Die Organisation, die die Zerstörung überprüft und mit dem Staat einig wird, wie viel Zeit benötigt wird, ist ebenfalls noch nicht benannt. Die Strategie im Vertragstext, vieles offen zu halten, lässt Atomwaffen- und anderen Staaten später mehr Spielraum, ihren Beitritt zu verhandeln. Alles was im Vertragstext bereits festgeschrieben wird, könnte spätere Prozesse erschweren und blockieren. Trotzdem behalten die Vertragsparteien die Kontrolle über den weiteren Prozess.

Für die Staaten, die momentan im Rahmen der nuklearen Teilhabe Atomwaffen lagern und Infrastruktur sowie Trägersysteme zur Verfügung stellen, gibt es explizit einen Weg zum Beitritt, in dem sie zuerst und innerhalb einer bestimmten Zeit den Abzug der Atomwaffen veranlassen.

Verifikation
Im Atomwaffensperrvertrag wird die Verifikation des Verzichts auf Atomwaffen aller Staaten, außer der fünf im Vertrag genannten Staaten im Besitz von Atomwaffen, durch ein Abkommen mit der IAEO gesichert (Safeguards). Dieses Vorgehen wird im Verbotsvertrag übernommen. Alle bereits bestehenden Abkommen mit der IAEO werden beim Beitritt einfach übernommen. Wenn ein Staat das zusätzliche Protokoll zum sogenannten Safeguards-Abkommen unterzeichnet hat, gilt dieses ebenfalls weiter. Jede Vertragspartei muss zumindest ein einfaches Safeguards-Abkommen ohne Zusatzprotokoll abschließen beziehungsweise abgeschlossen haben.

Einige Staaten halten diese Regelung für nicht ausreichend. Es wurde vorgeschlagen, dass alle beitretenden Staaten das Zusatzprotokoll unterschreiben müssten. Dies ist ein aus den Verhandlungen zum Atomwaffensperrvertrag bekannter Streit. Immer wieder zögern Staaten, aus verschiedenen Gründen das Zusatzprotokoll zu unterschreiben. Der Verbotsvertrag soll jedoch nicht mit diesen Auseinandersetzungen belastet werden. Diese Debatte soll lieber im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags weitergeführt und dort gelöst werden.

Austritt
Viele Vertragsstaaten wollten ursprünglich keine Austrittsklausel. Auch die Zivilgesellschaft hat dafür plädiert. Als Argument wurde vorwiegend der Widerspruch eines Austrittsrechts gegenüber dem Verbot genannt. Ein Staat, der der Überzeugung ist, dass Atomwaffen keine Sicherheit bringen, sondern durch die katastrophalen humanitären Folgen eher die Sicherheit bedrohen, sollte logischerweise auf ein Austrittsrecht verzichten.

Manche Staaten haben dagegen argumentiert, dass es immer ein souveränes Recht auf Austritt aus einem Vertrag geben müsse. Ein Austritt sei nicht unbedingt gleichbedeutend mit der Absicht eines  Staats, Atomwaffen zu erwerben.

Nach zähen Verhandlungen wurde ein Kompromiss erreicht, der nun eine Austrittsklausel beinhaltet. Der Austritt hat eine Kündigungsfrist von einem Jahr. In dieser Zeit darf der Staat in keinem bewaffneten Konflikt verwickelt sein. Diese Klausel wurde aus dem ATT-Vertrag (Arms Trade Treaty) übernommen.
Auch wenn der Austritt damit eingeschränkt ist, ist dennoch vorstellbar, dass ein Staat plant, Atomwaffen zu entwickeln, ohne schon in einem bewaffneten Konflikt zu sein. Ein Jahr ist zudem sehr kurz, um einen Konflikt zu schlichten oder einen Staat zu überzeugen, dass er weiterhin auf Atomwaffen verzichten sollte. Hier wären weitere Auflagen oder eine längere Kündigungsfrist hilfreich gewesen.

Der Wunsch, die Austrittsklausel zu streichen, fand viel Zuspruch unter den verhandelnden Staaten, dennoch wurde dem Kompromiss zugestimmt, um den Beitritt möglichst vieler Staaten zum Vertragswerk zu sichern.

Verantwortung für das nukleare Erbe
Sehr positiv zu bewerten ist die Verpflichtung aller Staaten, die Sorge für Opfer von Atomwaffeneinsätzen und –tests in Form von medizinischer und psychologischer Unterstützung, Rehabilitation und vor allem auch Schutz vor Diskriminierung zu tragen. Wichtig ist auch die Verpflichtung der Staaten zur Umweltrehabilitation. Diese Aspekte der humanitären und ökologischen Auswirkungen wurden im bisherigen Diskurs selten erwähnt und damit auch wenig anerkannt.

Neben oben genannten Aspekten beinhaltet der Vertrag auch eine Anerkennung von genderbezogenen Auswirkungen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Frauen und Mädchen von den Folgen eines Atomwaffeneinsatzes sowie Tests stärker betroffen sind.

Diese Errungenschaften sind der Beteiligung der Zivilgesellschaft an den Verhandlungen zu verdanken. In diesem Punkt unterschieden sich die Verhandlungen und auch der Vertrag von früheren Prozessen. Es ist eine Stärke des Vertrags, dass er diese Erkenntnisse erwähnt und die realen Folgen dieser Massenvernichtungswaffen den sicherheitspolitischen und oft als „realistisch“ bezeichneten Argumenten von Atomwaffenstaaten und ihren Verbündeten gegenüberstellt. Dieser über lange Zeit dominierende Diskurs neigt dazu, die faktischen und wissenschaftlich belegten katastrophalen Auswirkungen von Atomwaffen zu verschleiern.

Welche Bedeutung hat der Vertrag für die Abrüstung?

Der Vertrag muss sich zunächst im internationalen Völkerrecht etablieren und argumentativ angewendet werden. Dies wird sicherlich im Rahmen der Konferenzen zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags geschehen. Mit dem TPNW haben die atomwaffenfreien Staaten jetzt ein Mittel, mehr Druck auf die Atomwaffenstaaten in Bezug auf ihre Abrüstungsverpflichtung auszuüben.
Auch die Zivilgesellschaft kann den Vertrag in ihrer Arbeit nutzen und fordern, dass die Atomwaffenstaaten und ihre Bündnispartnern sich nicht nur auf schwache Totschlagsargumente wie „Realpolitik“ stützen. Sie sind nun politisch verpflichtet, sich mit dem Atomwaffenverbot auseinanderzusetzen. Künftige Regierungen und Parlamenten werden immer wieder prüfen müssen, ob sie nicht doch mit der Mehrheit der Staaten einig werden und Atomwaffen ein für alle Male abschaffen wollen.

Xanthe Hall und Birte Vogel, IPPNW

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Ansprechpartner*innen

Xanthe Hall. Foto: IPPNW

Xanthe Hall
Abrüstungsreferentin, IPPNW-Geschäftsstellenleiterin
Expertin in Fragen zu Atomwaffen
Tel. 030 / 698074 - 12
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Juliane Hauschulz

Juliane Hauschulz
Projektmitarbeiterin "To Survive is to Resist", Atomwaffen und nukleare Abrüstung
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Dr. med. Lars Pohlmeier
IPPNW-Vorsitzender
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