Verluste im Atomgeschäft

Das schleichende Ende der Atomindustrie

14.02.2017 Vor kurzer Zeit noch kündigten japanische Firmen an, mit dem Bau von Atomkraftwerken weltweit glänzende Geschäfte machen zu wollen. Die Firma Toshiba, die wie keine andere in den letzten Jahren ins Atomgeschäft investiert hatte, gab vor, 50 Bauprojekte für Atomkraftwerke in Ländern wie Indien, China, Großbritannien oder der Türkei anzustreben. All das ist nun Makulatur, denn Toshiba steigt nach massiven Verlusten und zahlreichen Skandalen endgültig aus dem Bau von Atomkraftwerken aus.

Vier Atomreaktoren, die Toshibas Tochterfirmen aktuell in den USA bauen, sollen bis 2020 fertig gestellt werden, danach soll Schluss sein, gab die Firmenleitung im Januar bekannt. Stattdessen würde sich die Firma künftig vor allem auf die Abwicklung stillgelegter Atomkraftwerke spezialisieren.

Die dramatische Ankündigung kam inmitten von Verlusten in Höhe von rund 6 bis 7 Milliarden US-Dollar, die größtenteils auf das Atomgeschäft von Toshiba zurückzuführen sind. Toshiba hatte 2006 die wirtschaftlich angeschlagene US-amerikanische Atomfirma Westinghouse Electric Co aufgekauft. Dann kamen die Atomkatastrophe von Fukushima und der darauf folgende weltweite Einbruch des Uran- und Atomgeschäfts. Zudem hatte sich Westinghouse 2015 mit dem Kauf der auf den Bau von Atomkraftwerken spezialisierten Ingenieursfirma CB&I Stone & Webster massiv verkalkuliert. Denn die vier Reaktorprojekte, an denen CB&I Stone & Webster in Jenkinsville, South Carolina und in Waynesboro, Georgia beteiligt ist, sind mehrere Jahre im Verzug und bereits jetzt Milliarden US-Dollar über Budget.

Die hohen Verluste, die das Atomgeschäft Toshiba beschert hat, haben nun auch zum Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden von Toshiba und ehemaligem Präsidenten von Westinghouse, Shigenori Shiga geführt. Die für den 14. Februar angekündigte Veröffentlichung der Quartalszahlen wurde von Toshiba kurzfristig abgesagt und auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben. Japanische Kommentatoren interpretieren dies als Zeichen, dass die Verluste vermutlich höher liegen, als bislang zugegeben.

Wirtschaftsexperten sehen im Zusammenbruch von Westinghouse und der Atomsparte von Toshiba das Ende der sogenannten „Atom-Renaissance“. Die Erwartungsblase an die seit zwei Jahrzehnten stagnierende Atomwirtschaft scheint aktuell zu platzen. Neben Toshiba hat auch der japanische Konzern Hitachi letzten Monat massive Verluste im Atomgeschäft bekannt gegeben – allein 2016 soll es ein Minus von rund 620 Million US-Dollar sein. Auch hier war der Auslöser der Einkauf in eine US-amerikanische Atomfirma, in diesem Fall GE Hitachi Nuclear Energy Inc, die im vergangenen Jahr massive Verluste einstecken musste.

Auch andere große Atomfirmen stecken in der Krise, wie im World Nuclear Industry Status Report von 2016 zu lesen ist: "Viele der traditionellen atom-und fossil-basierten Energieversorger kämpfen mit einem dramatischen Abfall des Energiepreises, einer schrumpfenden Kundenbasis, sinkendem Energieverbrauch, hohen Schulden, steigenden Produktionskosten in alternden Anlagen und starker Konkurrenz, vor allem von den Erneuerbaren.“ Neben Toshiba und Hitachi in Japan und Westinghouse in den USA ziehen Verluste aus dem Atomgeschäft auch viele europäische Stromversorger in den Ruin. Die französischen Firmen EDF und Areva wurden mit Steuergeldern vor der Insolvenz gerettet, E-on und RWE in Deutschland, Vattenfall in Schweden, TVO in Finnland oder das tschechische Energieunternehmen CEZ – sie alle mussten empfindliche Verluste hinnehmen, die vor allem auf ihre Investitionen im Atomgeschäft zurück zu führen sind. Die Aktienkurse dieser Unternehmen stürzten entsprechend ab – im Fall von RWE um mehr als die Hälfte. Auch die chinesische Energiefirma CGN und die größte US-amerikanische Atomfirma, Exelon, verloren in den vergangenen Jahren jeweils etwa 60% ihres Marktwertes.

Zahlreiche Projekte dürften demnach in den kommenden Monaten und Jahren beendet werden. Es würde dann offenbar, was Kritiker der Atomindustrie bereits seit langem monieren: das Gros der angekündigten AKW-Neubauten sind Luftnummern ohne reelle Chance auf Fertigstellung. Fraglich auch, ob Großprojekte wie der Europäische Druckwasserreaktor EPR in Flamanville oder Olkiluoto jemals ans Netz gehen – ganz zu schweigen von dem immer unrealistischeren Ziel, einen solchen Reaktor auch im britischen Hinkley Point zu bauen.

Die Atomindustrie gibt weltweit ein schwaches Bild ab und zeigt nach Jahren der Stagnation eine deutliche Abwärtskurve, die in den kommenden Jahren noch steiler werden dürfte. Das Vakuum, das der Zusammenbruch der Atomindustrie in der weltweiten Energieversorgung hinterlässt darf jedoch nicht, wie von den USA aktuell gefordert, von fossilen Brennstoffen gefüllt werden, sondern durch erneuerbare Energien, Energiesparmaßnahmen und neuen Technologien für mehr Energieeffizienz.

Von Dr. med. Alex Rosen

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Materialien

Titelfoto: Stephi Rosen
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