Koalitionsvertrag – Atompolitik der künftigen Bundesregierung

27.02.2018 In ihren Koalitionsvertrag vom 7. Februar 2018 haben CDU, CSU und SPD im Wesentlichen ein „weiter so“ in der Atompolitik festgeschrieben. Dennoch gibt es ein paar bemerkenswerte Neuerungen und diverse Unklarheiten.

 

Atomausstieg in Deutschland

Es soll keine Beschleunigung des Atomausstiegs, allerdings auch keine Laufzeitverlängerungen geben. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir werden den beschlossenen Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie bis Ende 2022 zielgerichtet vorantreiben.“ Die Gefahr eines Super-GAUs in Deutschland bleibt demnach noch für mindestens fünf Jahre bestehen.

Es verwundert, dass der Koalitionsvertrag mit keinem Wort die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts erwähnt, den Atomkraftwerksbetreibern zum Ausgleich für den Ausstieg bis Mitte 2018 Laufzeitverlängerungen oder finanzielle Ausgleichszahlungen zu gewähren. Offenbar möchte man um das brisante Thema nicht viel Aufhebens machen.

 

Urananreicherung und Brennelementfertigung

Auch die künftige Regierungskoalition möchte die Urananreicherung im nordrhein-westfälischen Gronau und die Brennelementfertigung im niedersächsischen Lingen nicht antasten.

Mit Blick auf die Belieferung belgischer Atomkraftwerke mit Kernbrennstoffen soll lediglich verhindert werden, „dass Kernbrennstoffe aus deutscher Produktion in Anlagen im Ausland, deren Sicherheit aus deutscher Sicht zweifelhaft ist, zum Einsatz kommen“. Ob die belgischen Pannenmeiler in Doel und Tihange dazu gehören und was mit anderen Reaktoren in Europa ist, bleibt offen.

 

Atompolitik in Europa

Innerhalb der EU soll versucht werden, die Zielbestimmungen des EURATOM-Vertrages hinsichtlich der Nutzung der Atomenergie „an die Herausforderungen der Zukunft“ anzupassen. Worauf das konkret abzielt bleibt ebenso unklar wie die Frage, ob und bis wann mit einer eventuellen Änderung des EURATOM-Vertrags zu rechnen ist.

Weitreichend ist immerhin die Festlegung: „Wir wollen keine EU-Förderung für neue Atomkraftwerke.“ Damit positioniert sich die geplante Bundesregierung klar gegen Subventionsgräber wie das britische Atomkraftwerksprojekt Hinkley Point C, bei dem vermutet wird, dass zweistellige Milliardenbeträge in Wirklichkeit dem britischen Atomwaffenprogramm zufließen sollen.

Auch möchte die geplante Koalition „eine konsequente Beendigung aller Beteiligungen staatlicher Fonds an AKWs im Ausland umsetzen“.

 

Know-how-Erhalt mit Blick auf Europa

Nebulös bleibt die Intention in der Nuklearforschung. Zwar fand der Vorschlag, Forschungsaufträge zu technischen Entwicklungen und „neuen Reaktorkonzepten“ nicht Eingang in den Koalitionsvertrag. Allerdings möchte die geplante Koalition das Fachwissen „zu Sicherheitsfragen“ gewährleisten.

Sie begründet dies mit dem Weiterbetrieb von Atomkraftwerken in Europa: „Wir wollen, dass Deutschland bei der Reaktorsicherheit in Europa dauerhaft Einfluss ausübt – auch nach dem Ausstieg aus der nationalen Nutzung der Kernenergie.“ Etliche Nachbarländer würden die Kernenergie weiter nutzen. Angesichts des alternden Bestands der Atomkraftwerke in Europa wolle man sich weiterhin für umfassende Sicherheitsüberprüfungen, ambitionierte verbindliche Sicherheitsziele in der EU und ein „System wechselseitiger Kontrolle“ einsetzen. „Wer in Sicherheitsfragen mitreden will, der muss das auch können. Dafür ist der Know-how-Erhalt unverzichtbar.“

Es dürfte dabei insbesondere auch darum gehen, dass man die Atomforschung in Karlsruhe als Teil der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission (Joint Research Centre/JRC) aufrechterhalten möchte bzw. laut Verträgen möglicherweise aufrechterhalten „muss“. Der „JRC Standort Karlsruhe“ (ehem. „Institut für Transurane“ bzw. „Plutonium-Institut“) ist spezialisiert auf die Gebiete Nukleare Sicherheit und „Sicherung“ (Terror/Sabotage-Abwehr). Die Einrichtung ist an der Entwicklung neuartiger Reaktorkonzepte beteiligt.

Daneben möchte die neue Regierung Fachwissen und Fachpersonal insbesondere mit Blick auf den Rückbau von Atomkraftwerken sowie für die Zwischen- und Endlagerung erhalten.

 

Atomkraftwerks-Rückbau und Schacht Konrad

Der Koalitionsvertrag sieht einen „zügigen“ Rückbau von Atomkraftwerken vor. Um dies zu ermöglichen, soll „eine möglichst rasche Fertigstellung und Inbetriebnahme von Schacht Konrad als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle wie auch die zuvor erforderliche Produktkontrolle“ vorangetrieben werden. Für einen zügigen Einlagerungsbetrieb sei zudem die zügige Errichtung eines Bereitstellungslagers unverzichtbar, so die Koalitionäre.
Damit wird offiziell eingeräumt, dass die vom Betreiber jahrelang versprochene Just-in-time-Einlagerung des Atommülls ohne ein Bereitstellungslager offenbar nicht möglich ist.

 

Zwischen- und „Endlagerung“

Die geplante Regierungskoalition möchte die Überführung des hoch radioaktiven Atommülls von den oberirdischen Zwischenlagern in ein dauerhaftes unterirdisches „Endlager“ nach Möglichkeit zügig umsetzen. Beabsichtigt ist, die bisherige Zeitplanung aufrechtzuerhalten:

„Wir stehen für eine zügige Umsetzung bei der Suche nach einem Endlager für hoch radioaktive Abfälle gemäß Standortauswahlgesetz. An dem gesetzlich festgelegten Ziel, bis 2031 den Standort für ein Endlager festzulegen, halten wir fest.“

Dafür sei als nächster Schritt die schnellstmögliche Festlegung der übertägigen Erkundungsstandorte erforderlich. Die Zugänglichkeit und Veröffentlichung der hierfür benötigten wissenschaftlichen Daten sei durch die rasche Verabschiedung des Geowissenschaftsdatengesetzes zu ermöglichen.
Die zügige Standortsuche für ein Atommülllager in tiefengeologischen Formationen wird mit dem Ziel einer schnellstmöglichen Beendigung der Zwischenlagerung begründet: „Ein zügiges Verfahren ist auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen, in denen sich derzeit atomare Zwischenlager befinden. Diese dürfen nicht zu faktischen Endlagern werden.“

 

„Energiewende“

Jenseits der Atompolitik ist die sonstige Energiepolitik im Koalitionsvertrag zum Teil nur schwer interpretierbar.

Für den symbolträchtigen Ausbau der Erneuerbaren Energien wird als konkretes Ziel ein Anteil von etwa 65 Prozent bis 2030 genannt. Der für eine echte Energiewende zwingend notwendige und damit korrespondierende Ausbau von Langzeitspeichern bleibt dagegen äußerst vage. Zwar ist von Rahmenbedingungen zur Förderung von „Investitionen in Speichertechnologien“, von „Forschungs- und Fördermitteln“ für Speicher, von einer neuen Batteriezellenproduktion in Deutschland, von Wärmespeichern im Rahmen von Quartiers- und Siedlungslösungen sowie von „Power to Gas“ und „Power to Liquid“ als „Reallabore“ die Rede.

Das klingt aber alles primär nach Forschung und Entwicklung sowie nach weiteren Demonstrationsprojekten und der Förderung von Kurzzeitspeichern. Ein für die erneuerbaren Energien notwendiges Konzept und Zielvorgaben für Langzeitspeicher sind im Koalitionsvertrag nicht erkennbar.

In vergleichbarer Weise heißt es im Koalitionsvertrag, man wolle die Kraft-Wärme-Kopplung und die Fernwärmeinfrastruktur ausbauen (was gut mit den erneuerbaren Energien korrespondieren würde: Bereitstellung von Strom und Wärme bei geringen Beiträgen von Sonne und Wind). Doch auch für die Kraft-Wärme-Kopplung fehlen im Koalitionsvertrag konkrete Ausbauziele.

 

Netzausbaubeschleunigungsgesetz

Dafür soll aber das Netzausbaubeschleunigungsgesetz novelliert werden, um die Stromnetze schneller ausbauen zu können. Was damit intendiert wird, bleibt unklar. Es könnte um Optimierungen für die erneuerbaren Energien gehen, vorstellbar ist aber auch, dass damit der europäische Stromaustausch vorangetrieben werden soll, um verstärkt Kohle- und Atomstrom nach Deutschland zu importieren. Ein Kohleausstieg in Deutschland ergäbe keinerlei Sinn, würde man Kohlestrom anschließend aus dem benachbarten Ausland einführen. 

 

Fazit

Insgesamt zeichnet sich im Koalitionsvertrag eine zurückhaltende Weiterentwicklung der bisherigen Energiepolitik ab. Einerseits ist positiv, dass am Atomausstieg festgehalten wird, eine EU-Förderung von Atomkraftwerken abgelehnt wird und die gefährliche, oberirdische Zwischenlagerung des Atommülls schnellstmöglich beendet werden soll.

Andererseits bleibt das Ziel der deutschen und europäischen Energiepolitik weithin unklar. Da der Ausbau von Langzeit-Speichern offenkundig nicht intendiert ist, Atom- und Kohlekraftwerke im europäischen Ausland auch weiterhin betrieben werden sollen und der Stromtrassenbau beschleunigt werden soll, zeichnet sich eine „Energiewende“ der besonderen Art ab: Deutschland steigt aus der Atom- und Kohlestromproduktion schrittweise aus und produziert vornehmlich fluktuierend Strom mit erneuerbaren Energien. Wenn die erneuerbaren Energien nicht genügend Strom produzieren, dann importiert Deutschland in großer Menge Kohle- und Atomstrom aus dem benachbarten Ausland.

Mit einem solchen Konzept würde Deutschland die bislang eigenständige Stromversorgung aufgeben, "seine" Kohle- und Atomkraftwerke stünden künftig in den Nachbarländern. Das zeigt, dass der Druck seitens der Anti-Atom-Bewegung aufrechterhalten und ausgebaut werden muss.  

Von Henrik Paulitz

 

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