Aus IPPNW-Forum 91/05

IPPNW-Kinderhilfe weiterhin erforderlich

Mit Medikamenten geholfen

Am 2. Mai 2003 hatte Präsident Bush seinen illegalen Angriffskrieg gegen Irak als erfolgreich beendet verkündet, und wenige Wochen später wurde das fast 13-jährige Embargo aufgehoben. In all den Jahren seit 1991, besonders intensiv bis 1997 (dann begann das "Oil for Food-Programm"), hat unsere IPPNW-Kinderhilfe irakischen Kinderabteilungen mit Medikamenten und Babynahrung geholfen. Nun hofften wir, dass dies nicht mehr notwendig sein werde.

Als ich am 13. Mai 2003 zum 9. Mal - diesmal mit Dr. Angelika Claußen und Dr. Zuhair Khannak - mit Hilfsmitteln in Bagdad war, um unsere Kollegen und die Kliniken zu besuchen und Medikamente in eine von der deutschen Architektengruppe "apn" eingerichtete Ambulanz im armen Stadtteil Sadr City zu bringen, war die Not kriegsbedingt in den Kliniken sehr groß. Doch es kamen zahlreiche internationale Hilfsorganisationen mit medikamentöser Unterstützung, und allgemein bestand die Hoffnung, dass nun sowohl die Besatzungstruppen, als auch ein vorläufiges "Gesundheitsministerium" die Krankenhäuser versorgen würden.

Das aber war eine falsche Hoffnung, denn auch heute noch erhalten wir häufig Hilfsapelle per E-mail, wie z.B. kürzlich: „Wir brauchen dringend Spritzen, Kanülen, Urinbeutel, Katheter, Infusionslösungen, sterile Beutel für Bluttransfusionen, Antibiotika, Cortison, Anti-Krebsmittel, Punktionsbestecke u.a.”. Dann bemühen wir uns sofort, die Artikel zu besorgen und in den Irak bringen zu lassen, zumeist mit Hilfe deutsch-irakischer Ärzte, die in den Irak reisen, um ihre Familien zu besuchen.

Große Geräte, wie Inkubatoren für die Frühgeborenenstation oder Sterilisatoren wurden per Spedition versandt, Kühlschränke, Gefriertruhen sowie Klimaanlagen konnten wir in Bagdad kaufen und dann dem Al-Mansour Krankenhaus übergeben. Ein großes Analysegerät für das Blutlabor der Onkologie im Mother-Child Hospital in Basra sowie dringend notwendige Cytostatica konnten wir dem Transport von Frau Dr. Höbiger (IPPNW-Wien) mitgeben. Zwei Mal finanzierten wir einen Container mit Hilfsgütern für arme Familien mit Kindern in Nadjef, sowie einen Container mit von australischen Ärzten gespendeten modernen Lehrbüchern für die Medizinstudenten und jungen Ärzte an Bagdads Kliniken.

Vor zwei Wochen habe ich meine irakischen Kollegen an verschiedenen Kliniken Bagdads sowie Basras per E-mail nach der augenblicklichen Lage im Gesundheitswesen befragt. Die Auskünfte sind deprimierend: Von den Besatzungstruppen erhalten die Kliniken keine Unterstützung, und das Gesundheitsministerium kann aus finanziellen Gründen nur 25-30% des Bedarfs liefern. Für teure Behandlungen, wie z.B. kindlicher Leukämien und Krebserkrankungen fehlen oft über Monate die notwendigen Cytostatika und speziellen Antibiotika, so dass selbst in den Zentren alle Kinder sterben würden, wenn nicht humanitäre Organisationen, wie auch unsere IPPNW, helfen würden.

Gleiche Probleme bestehen bei allen schweren Infektionen der Luft-und Nierenwege sowie der Hirnhäute, ferner bei der Therapie der vielen Durchfallerkrankungen (es gibt wenig und vielerorts gar kein sauberes Trinkwasser), sowie bei den Hepatitiden und Herzerkrankungen.

Sehr traurig ist auch die Situation der Kinder, die schwierigere Operationen brauchen. Nach 13 Jahren Embargo und zwei zerstörerischen Kriegen und in dem jetzigen Chaos seit März 2003 fehlen den Kliniken nicht nur moderne Geräte und Diagnoseverfahren, sondern auch erfahrene Operateure. Viele der im Ausland ausgebildeten Fachärzte verließen das Land. Die jüngeren blieben isoliert von den medizinischen Fortschritten in anderen Ländern, sie konnten schwierigere Operationen weder lernen, noch wegen fehlender Geräte, Instrumente und anderer Artikel ausführen (bis 1991 war der medizinische und operative Standard im Irak ausgezeichnet, entsprechend europäischem Niveau). Es gibt daher ein großes Elend unter den im Irak nicht operierbaren oder unzureichend operierten irakischen Kindern. Deshalb haben wir seit zwei Jahren irakische Kinder zu Operationen nach Deutschland gebracht.

Allein im vergangenen Jahr wurden 28 irakische Kinder in deutschen Universitäts- und Stadtkliniken operiert. Geheilt oder ganz wesentlich gebessert konnten sie mit ihren begleitenden Müttern oder Vätern wieder nach Hause entlassen werden. Die Organisation war und ist natürlich sehr umfangreich und könnte ohne die tatkräftige Hilfe unseres deutsch-irakischen Frankfurter Kinderarztes Dr. Jabbar Said-Falyh nicht bewältigt werden. Er reiste drei Mal in den Irak, sowohl nach Bagdad als auch in seine Heimatregion um Nasirija (im Süden), wo ihn Ärzte mit Krankenunterlagen oder Eltern mit Kindern aufsuchten. Mit einem großen Stapel Diagnoseblättern kehrte er jeweils zurück, und wir haben dann eine Auswahl getroffen und die notwendigen Krankenhausplätze besorgt. Es gelang uns nach oft schwierigen Besprechungen, von den Krankenhausdirektoren entweder Freiplätze oder stark reduzierte Tagessätze zu bekommen. Alle Ärzte haben auf eine Liquidation verzichtet.

Es handelte sich um folgende Diagnosen: Entstellende Verbrennungsnarben, Unterschenkeltrümmerfraktur nach Granateinschlag, Megacolon und Anus praeter, Hydronephrosen bei Ureterstrikturen, blutende Colitis ulcerosa, Knochentumoren, angeborene Herzfehler mit entsprechender Belastungssymptomatik (Pulmonalstenosen, Vorhof- und Ventrikelseptumdefekte, Fallot´sche Tetralogien, Aortenisthmusstense sowie ein Kind mit Panzerherz). Im Januar 2005 werden weitere 5 Kinder in der Berliner Charitee aufgenommen (in der Augenklinik wegen congenitalen Glaukoms und drohender Erblindung) sowie in der Dermatologie und plastischen Chirurgie wegen Riesenhämangiomen.

Zum Abschluss möchte ich die Kasuistik eines schwer kranken Kindes schildern, das Ende Dezember mit seinem Vater (vgl. Foto) gesund wieder nach Hause fahren konnte. Der jetzt achtjährige Junge entwickelte zunehmend Ödeme und einen starken Aszites sowie Schwäche und Kurzluftigkeit. Unter der irakischen Diagnose "ungeklärte Ödeme bei Verdacht auf Nierenerkrankung" konnten wir den Jungen im Krankenhaus Berlin-Lichtenberg unterbringen. Dort wurde eine Perikarderkrankung sonographisch festgestellt, und im Deutschen Herzzentrum wurde eine Pericarditis constrictiva (Panzerherz) erfolgreich operiert. Innerhalb von drei Wochen waren alle Wasseransammlungen im Körper verschwunden, und glücklich konnten Vater und Sohn die Heimreise antreten.

Immer wieder hören wir - „das ist ja nur ein Tropfen auf den heißen Stein”, doch solche Aussagen lehnen wir ab. Jedes gerettete Leben, jedes Kind, das wieder mit Freuden leben kann, ist wertvoll. Jede Mutter und Vater, die von ihren schweren Sorgen befreit werden, sind uns Ärzten von Herzen dankbar. Zu Weihnachten schrieb mir ein Internist aus Bagdad: „Was Du und Deine Kollegen für unser Volk und unsere Kinder getan habt, werden wir nie vergessen”, und ein schiitischer Scheich der Boratha Moschee in Bagdad schrieb in der Zeitschrift "Der Überblick": ... die Menschen hier haben verstanden, was Hilfe bedeutet und sind insbesondere den Deutschen dankbar, - weil man weiß, dass sie gegen den Krieg waren.

Bei all meinen neun Reisen in den Irak seit Mai 1991 habe ich diese Dankbarkeit erlebt. Aus Dankbarkeit entsteht Vertrauen, eine wichtige Voraussetzung für Versöhnung und Frieden. Unsere "IPPNW-Kinderhilfe-Irak" wird die humanitäre und Friedens- und Versöhnungsarbeit fortsetzen.

Ich danke allen Spendern, ohne die wir nicht helfen konnten und könnten, ferner unserem gewissenhaften Buchhalter, Herrn Wolfgang Scherer und seiner Frau sowie meinen Kollegen Dr. Jabbar Said-Falyh, Dr. Najah Rahman, Dr. Folke Hess und Dr. Ulrich Schäfer. Vielen Dank schulden wir den deutschen Botschaften in Bagdad und Amman und ganz besonders den Verwaltungsleitern und Ärzten der Universitätskliniken (Berlin-Charitee, Dt. Herzzentrum, Gießen, Ludwigshafen, Mainz und München) sowie den konfessionellen, paritätischen oder Privat- und Stadt-Krankenhäusern (Lichtenberg, Rhönklinikum, Vivantes Kliniken, Clinica Vita, sowie Bad Kreuznach, Mannheim, Rotenburg, Rüsselsheim, Trier und Suhl).

Unser Spendenkonto: IPPNW-Kinderhilfe Irak. Stadtsparkasse Gaggenau, BLZ 66551290, Kto Nr. 50264639

 

Prof. Ulrich Gottstein

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Ansprechpartner*innen

Angelika Wilmen

Angelika Wilmen
Referentin für Friedenspolitik
Tel. 030 / 698074 - 13
Email: wilmen[at]ippnw.de


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Kontakt zur Kooperation für den Frieden
Email: steffen[at]ippnw.de

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