IPPNW-Pressemitteilung vom 11. September 2023

IPPNW fordert Aufarbeitung von Kriegsverbrechen, Umweltsanierung und Wiedergutmachung

"Krieg gegen den Terror"

11.09.2023 Der Terroranschlag des 11. September 2001, an dem vier Flugzeuge entführt wurden und zwei davon in das World-Trade-Center gelenkt wurden, forderte 2.996 Todesopfer. Dieser Anschlag bedeutete insofern eine Zäsur, als die USA als Reaktion darauf Anfang Oktober 2001 erstmals in der Geschichte der NATO den Bündnisfall ausriefen. Anlässlich des Jahrestages fordert die ärztliche Friedensorganisation IPPNW die Bundesregierung auf, sich nicht nur für die Abmilderung der Folgen der Herrschaft der Taliban einzusetzen, sondern insbesondere auch für die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen im „Krieg gegen den Terror“, die Sanierung von Umweltschäden, eine Wiedergutmachung sowie ein Ende von Sanktionen gegen Afghanistan und Syrien, die die humanitäre Krise in beiden Ländern verschärfen. Der UN-Menschenrechtsrat stimmte in diesem Jahr mit überwältigender Mehrheit für die Abschaffung einseitiger Wirtschaftssanktionen, wie sie vor allem die USA und die EU verhängen.

Der „Krieg gegen den Terror“ begann am 7. Oktober 2001 im Rahmen der „Operation Enduring Freedom“ mit Bombenangriffen auf Taliban-Stellungen und afghanische Infrastruktur. Ab Dezember 2001 nahm die Bundeswehr am Krieg teil. Der bis August 2021 20 Jahre andauernde Krieg hat ein weitgehend zerstörtes Land hinterlassen, in dem nach der Machtübernahme der Taliban inzwischen die Hälfte der Bevölkerung von Hunger bedroht ist. Die Menschenrechtslage und die Lage und Bildungssituation insbesondere von Frauen haben sich extrem verschlechtert. Das Gesundheitssystem liegt am Boden, insbesondere fehlt es an Frauenärzt*innen und Hebammen. Die Müttersterblichkeit ist eine der höchsten weltweit und liegt bei 638 /100.000 Geburten, die Kindersterblichkeit bei 53 Todesfällen je 1.000 Lebendgeburten. Vor 20 Jahren (20. März 2023) begann der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der USA auf den Irak. Die zur Kriegsbegründung angeführte Behauptung der USA, Saddam Hussein verfüge über „Massenvernichtungswaffen“, war frei erfunden.

Der „Krieg gegen Terror“ hat eine ganze Region ins Chaos gestürzt und riesige Fluchtbewegungen ausgelöst. Millionen syrischer, irakischer und afghanischer Flüchtlinge sind Leidtragende der verheerenden Militärinterventionen, an denen auch die Bundesregierung beteiligt war. Auch in diesem Jahr kommen die häufigsten Antragsteller auf Asyl in Deutschland aus dem Nahen und Mittleren Osten (Syrien, Afghanistan, Türkei, Iran, Irak).

Die IPPNW untersuchte in ihrer „Body Count“-Studie die Zahl der Opfer nach den ersten zehn Jahren. Nach dieser vorsichtigen Schätzung, die auf der sorgfältigen Auswertung der verfügbaren Daten beruhte, forderten die Kriege in Afghanistan, Pakistan und Irak bereits im ersten Jahrzehnt mindestens 1,3 Millionen Todesopfer. Für das zweite Jahrzehnt der „Post-9/11-Kriege steht eine ähnlich sorgfältige Analyse noch aus. Neta C. Crawford und Catherine Lutz vom Projekt „Costs of War“ an der Bostoner Universität haben auf der Basis passiv beobachteter Fälle Fallzahlen für Afghanistan, Pakistan und Irak, später auch Syrien und Jemen veröffentlicht.

In Afghanistan summiert sich ihrer aktualisierten Studie zufolge die Zahl aller von Oktober 2001 bis August 2023 im Krieg getöteten Afghan*innen auf ca. 176.000. Die Zahl der Opfer in Pakistan schätzen sie auf 67.000. Für den Irak ermittelten Crawford und Lutz bis März 2023 281.000-315.000 Getötete. Insgesamt haben die Wissenschaftler*innen für Afghanistan, Pakistan, Irak, Syrien und Jemen bis August 2023 mehr als 900.000 direkte Kriegstote ermittelt, davon ca. 450.000 zivile. Sie halten diese Zahl aber selbst für viel zu niedrig und gehen von einem Vielfachen an indirekten Opfern aus. Diese Einschätzung untermauert eine im Mai 2018 in der Fachzeitschrift PLOS Medicine veröffentlichte repräsentative Studie über die Opfer der Rückeroberung der irakischen Millionenstadt Mossul. Demnach wurden allein dort ca. 90.000 Menschen getötet, 33.000 davon Frauen und Mädchen, die meisten durch Luftangriffe.

Sie finden die „Costs of War“-Studie unter watson.brown.edu/costsofwar/figures/2021/WarDeathToll

Den IPPNW-Body-Count-Report finden Sie unter www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/BodyCount_internationale_Auflage_deutsch_2015.pdf

Den Beschluss des UN-Menschenrechtsrates vom April 2023 finden Sie unter documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/LTD/G23/059/34/PDF/G2305934.pdf


Kontakt: Angelika Wilmen, IPPNW-Friedensreferentin, Tel. 030 698074-13

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