Gastbeitrag von Jürgen Grässlin

Der Islamische Staat schießt deutsch

Warum Terrororganisationen rund um den Globus mit Heckler & Koch-Waffen morden können

19.02.2016 Aufgrund ihrer Treffgenauigkeit und Effizienz, Reichweite und Robustheit schätzen Terroristinnen und Terroristen in aller Welt die handlichen Kriegswaffen von Heckler & Koch (H&K). Dabei waren und sind es primär nicht die legal erfolgten Direktexporte Hunderttausender von Sturm-, Maschinen- und Scharfschützengewehren sowie Maschinenpistolen des Oberndorfer Kleinwaffenproduzenten und -exporteurs, die den Weltwaffenmarkt überflutet und Terrormilizen, Guerilla- und staatlichen Armeeeinheiten den massenhaften Zugang zu den H&K-Waffen ermöglicht haben.

Vielmehr haben sich die in den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts erfolgten fünfzehn Lizenzvergaben für das H&K-Schnellfeuergewehr G3 und die mindestens sieben Lizenzvergaben für die H&K-Maschinenpistole MP5 in vielfacher Hinsicht dramatisch ausgewirkt. In aller Welt wurden (wiederholt unter der Regie der damals staatseigenen Waffenschmiede Fritz Werner) Waffenfabriken zum Nachbau der H&K-Waffen errichtet.

Seit den G3-Lizenzvergaben an menschenrechtsverletzende bzw. kriegsführende Staaten wie den Iran, Saudi-Arabien, die Türkei, Pakistan oder Mexiko boomt der Handel mit den Heckler & Koch-Waffen. Laut Schätzungen - evaluierbare Zahlen liegen nicht vor - ist das G3-Gewehr nach der Kalaschnikow das weltweit meistverbreitete Gewehr. Rund 15 Millionen dieser H&K-Sturmgewehre befinden sich zur Bewachung und Bedrohung, Abschreckung und Erschießung im Einsatz in Kriegen und Bürgerkriegen.
Unter dem Bruch der Endverbleibserklärungen (Enduser Certificates), die die Lizenznehmer gezwungenermaßen den jeweils genehmigenden Bundesregierungen gegenüber unterzeichnet haben, lieferten Staaten wie Saudi-Arabien oder die Türkei widerrechtlich G3 oder MP5 in unbekannter Stückzahl an "befreundete Staaten". Illegalerweise tauchten in saudischer Lizenz bei der Firma MIC gefertigte G3-Schnellfeuergewehre tausendfach in den Bürgerkriegsländern Sudan und Somalia auf. Türkische MP5-Maschinenpistolen wurden - widerrechtlich - in Länder des Mittleren Ostens und nach Indonesien exportiert.

In den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts mordete die Rote Armee Fraktion (RAF) mit der H&K-Maschinenpistole MP5, die sie sogar in ihr Logo aufnahm. Der Sendero Luminoso in Peru, die FARC in Kolumbien, der militärische Arm der PKK in Türkisch-Kurdistan, die Palästinenserorganisation Hamas, Al Quaida in Pakistan, die Taliban in Afghanistan – sie alle schossen oder schießen mit der MP5 oder dem Schnellfeuergewehr G3, entwickelt von Heckler & Koch.

Im August 2014 entschieden Bundeskanzlerin Merkel und vier Minister von CDU/CSU und SPD in interner Runde, 16.000 G3- und G36-Sturmgewehre aus Beständen der Bundeswehr mit 6.000.000 Schuss Munition, 40 MG3-Maschinengewehre mit 1.000.000 Schuss Munition, 8.000 P1-Pistolen mit 1.000.000 Schuss Munition, 30 Panzerabwehrwaffen MILAN mit 500 Lenkflugkörpern, 200 Panzerfäuste-3 mit 2.500 Patronen, 40 schwere Panzerfäuste mit 1.000 Patronen, 100 Signalpistolen mit 4.000 Patronen sowie 10.000 Handgranaten in das Bürgerkriegsland Irak auszuliefern.

Empfänger dieser Kriegswaffen waren die Peschmerga, Einheiten irakischer Kurden im Kampf gegen Terrormiliz des Islamischen Staats (IS). Begründet wurden diese – wider das Waffenembargo der Vereinten Nationen erfolgenden – Kriegswaffenlieferungen mit dem vorbildlichen Einsatz der Peschmerga bei der Rettung von Jesidinnen und Jesiden. Realiter hatten diese Aufgabe kämpfende Einheiten der türkischen PKK geleistet, doch diese standen und stehen auf der Terrorliste Deutschlands und der USA.

Bereits damals warnte ich nachdrücklich davor, dass es eine Frage der Zeit sei, bis die ersten Bundeswehrwaffen in die Hände des IS gelangen und eingesetzt werden würden. Denn bereits vor Jahren gab es die ersten Hinweise, wonach es dem IS gelingen würde, über Beutezüge in den Besitz all der Waffensysteme zu gelangen, mit denen die Terroristen schießen und morden können. Im September 2014 berichtete Die Welt von einem Propagandavideo des IS, das eine Rakete mit der in deutscher Sprache verfassten Aufschrift "Lenkflugkörper DM 72 – 136 mm Panzerabwehr" zeigte. Offenbar hatten die Terroristen diese Rakete(n) bei der Eroberung des Luftwaffenstützpunktes Takba in Syrien erbeutet. Recherchen führten zu der Erklärung, dass die Panzerabwehrraketen des Typs HOT vom früheren Hersteller Euromissile bereits in den Achtzigerjahren an das syrische Regime exportiert worden waren.

Und längst ist offenbar: Die Schergen des Islamischen Staates besitzen ein hochmodernes Waffenarsenal, mit dem sie ihre grausamen Gewaltakte und schwere Menschenrechtsverletzungen begehen. Müßig zu betonen, dass all diese Waffen nicht aus eigener Produktion stammen, sondern vielmehr aus mehr als 25 Ländern, in denen sie gefertigt wurden.

Unter diesen Kriegswaffen befinden sich in nicht unerheblichem Umfang auch in Deutschland gefertigte bezieungsweise entwickelte Waffen. Dies belegt die von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) im Dezember 2015 publizierte Studie "The Arming of the Islamic State". Dezidiert wird darin aufgeführt, welche Waffen auch aus Deutschland stammen (was einschließt, dass diese teilweise in deutscher Lizenz im Ausland gefertigt worden sind).

Der IS schießt und mordet deutsch: mit G3- und G36-Sturmgewehren, entwickelt von Heckler & Koch, mit MG3-Maschinengewehren von Rheinmetall, mit Walther P99-Pistolen und Walther KKF-Gewehren von Carl Walther, mit MILAN-Raketen des deutsch-französischen Waffenproduzenten MBDA und mit besagten HOT-Lenkflugkörpern der heutigen Airbus-Gruppe.

Waffen wie diese, so der Vorwurf von AI, würden die zahlreichen Gräueltaten des IS erst ermöglichen. Einmal mehr zeigt sich, wie Kriegswaffen, die Jahre und Jahrzehnte zuvor ins Pulverfass Naher und Mittlerer Osten exportiert wurden, bis zu einem halben Jahrhundert lang bei kriegerischen Auseinandersetzungen eingesetzt werden können. Die seitens des Islamischen Staats genutzten "zahlreichen und verschiedenartigen Waffen" seien "ein Lehrbeispiel dafür, wie rücksichtsloser Waffenhandel Gräueltaten im großen Stil befördert" würden, so die Menschenrechtsorganisation anlässlich ihrer Präsentation des Berichts über die Waffen des IS im Dezember 2015. In erheblichem Maße waren Waffen bei der Eroberung der Stadt Mossul im Sommer 2014 in die Hände des IS gefallen. Desgleichen erbeuteten sie auch bei den Eroberungen von Armee- und Polizeistützpunkten in Falludscha, Ramadi und Tikrit Waffen in großem Umfang.

Dabei ist der Waffenzufluss nicht im Mindesten gebremst. Schlimmer noch, er erhält mit den aktuellen deutschen Waffenlieferungen an die Peschmerga neuen Zustrom. So konnte ein Rechercheteam des NDR und des WDR im Januar 2016 nachweisen, dass Sturmgewehre und Pistolen aus Beständen der Bundeswehr, welche die Bundesregierung an die kurdische Autonomieregierung im Norden des Irak transferiert hatte, mittlerweile auf Waffenmärkten feilgeboten werden. Auf dem Waffenmarkt von Erbil präsentierte ein Händler Sturmgewehre von Heckler & Koch.

Unter der Typenbezeichnung G3, der Seriennummer und dem Herstellerkürzel von "HK" war auch das Kürzel "Bw" für Bundeswehr erkennbar. Waffen wie diese sind zu einem Preis zwischen 1.450 und 1.800 US-Dollar erhältlich – kein monetäres Problem für die Käufer aus den Reihen des Islamischen Staats.

Kaum ein Streitgespräch, in dem nicht ein Vertreter der Bundesregierung oder des für die Waffenexportkontrolle zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) gebetsmühlenartig die Behauptung ins Feld führt, Deutschland beliefere ausschließlich "die Guten" mit Kriegswaffen. Die exportierten Waffen würden dementsprechend im Sinne der Bundesregierung und ihrer Bürgerinnen und Bürger eingesetzt werden.

Eine verbale Vorgabe, die schlichtweg unhaltbar ist, denn Waffen wandern. (Diese Erkenntnis ist so alt, wie die Rüstungsexportpolitik selbst). Sie marodieren von Schlachtfeld zu Schlachtfeld, sie suchen sich ihre Schützen. Was auf den illegalen Waffenmärkten in aller Welt einzig zählt, ist die Skrupellosigkeit der Verkäufer und das Finanzpotential der Kunden.
Hinzu kommt die Jahrzehnte währende gezielte Kooperation wechselnder Bundesregierungen bei anfangs legalen Waffentransfers mit befreundeten Staaten, wie beispielsweise Pakistan oder Saudi-Arabien. Deren Sicherheitsdienste und Streitkräfte unterhalten ihrerseits enge Kontakte mit, ihnen politisch oder religiös nahestehenden, Terrororganisationen.
So wissen wir vom engen Kontakt des pakistanischen Geheimdienstes zu Taliban in Afghanistan. Kein Wunder also, dass auch Bundeswehrsoldaten beim Kampfeinsatz am Hindukusch – ausgerüstet mit G36-Sturmgewehren von H&K – von Taliban-Terroristen – ausgerüstet zumeist mit G3-Gewehren von Pakistan Ordnance Factory (POF) – beschossen wurden.

Dramatisch sind auch die Folgen der 2008 von der christlich-sozialdemokratischen Bundesregierung unter der Ägide der Bundeskanzlerin Angela Merkel und des Bundesaußenministers Franz-Walter Steinmeier genehmigten Lizenzvergabe für das neue H&K-Sturmgewehr G36 an Saudi-Arabien. Wieder werden Abertausende von H&K-Sturmgewehren auf Jahrzehnte hinaus von MIC für die Streitkräfte des wahhabitischen Herrscherhauses gefertigt.

Die Prognose ist wenig gewagt: Wieder werden über lange Jahre  hinweg H&K-Sturmgewehre unter Bruch des Enduser Certificates illegal in andere Länder reexportiert. Der Anfang ist gemacht: Jüngst wurden kistenweise H&K-Sturmgewehre von der saudischen Luftwaffe über dem Jemen abgeworfen. Diese sollen jemenitische Rebellen erhalten, die sich - mit Unterstützung von Riad – im Krieg mit der jemenitischen Regierung befinden.

Wie wenig die Bundesregierung aus all den dramatischen Fehlentwicklungen gelernt hat, belegen unter anderem die bis heute fortdauernden Waffenexportgenehmigungen an zahlreiche menschenrechtsverletzende Staaten. Folgenschwer waren die – pars pro toto zu erwähnenden - Transfers von insgesamt mindestens 8.000 (womöglich bis zu 19.000) G36-Gewehren nach Mexiko zwischen 2005 und 2009. Rund die Hälfte der Sturmgewehre gelangten mit Wissen führender H&K-Mitarbeiter widerrechtlich in verbotene Unruheprovinzen wie Chiapas, Chiahuahua, Guerrero und Jalisco. Längst schießen und morden neben hochkorrupten Polizisten auch Mitglieder mexikanischer Drogenkartelle mit den Oberndorfer Sturmgewehren. Wer Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete exportiert, nimmt deren – zumeist illegalen – Reexport an menschenrechtsverletzende Regime und Terroristen zumindest billigend in Kauf. Endverbleibserklärungen sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt werden, eine unangekündigte Vor-Ort-Kontrolle fand und findet bislang nicht statt. De facto helfen nur strikt eingehaltene und überwachte Rüstungsexportverbote und Waffenembargos.   

Immerhin zeichnet sich zurzeit ein bedeutender Lichtblick bei der juristischen Sanktionierung illegalen Waffenhandels ab: Die erste meiner Strafanzeigen gegen Heckler & Koch-Beschäftigte vom April 2010 (zwei weitere laufen) führte im November 2015 endlich zur Anklageerhebung seitens der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegenüber sechs früheren H&K-Mitarbeitern. Unter ihnen – das gab es noch nie – befinden sich zwei vormalige Geschäftsführer. Die öffentlichen Prozesse sollen im Frühjahr am Landgericht Stuttgart stattfinden. Friedensbewegte Prozessbeobachterinnen und -beobachter sind herzlich willkommen.

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Ansprechpartner*innen

Angelika Wilmen

Angelika Wilmen
Referentin für Friedenspolitik
Tel. 030 / 698074 - 13
Email: wilmen[at]ippnw.de


Dr. Jens-Peter Steffen

Kontakt zur Kooperation für den Frieden
Email: steffen[at]ippnw.de

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