Für den Platz in Palästina bin ich nachgerückt. Es blieb nicht viel Zeit zum Organisieren und nachdem mir das letzte Krankenhaus in Bethlehem eine Absage erteilte (man wolle sich mehr auf die Ausbildung lokaler Helfer konzentrieren – gut so!), schrieb ich die Al Quds Universität an, um mich für eines der angegliederten Lehrkrankenhäuser zu bewerben. Überraschend schnell erhielt ich die Zusage vom Chefarzt der Pädiatrischen Onkologie im Auguste-Viktoria-Krankenhaus in Ost-Jerusalem. Freude. Und andererseits: Inwieweit ist Jerusalem eigentlich Palästina?
Der Status von Ost-Jerusalem, der auch die historische Altstadt umfasst, ist – wie so vieles - „Ansichtssache“. Für Israel gehört es ebenso selbstverständlich wie weitere annektierte Gebiete zum Großraum Jerusalem, aus palästinensischer Sicht ist es die Hauptstadt eines sich in Zukunft formierenden palästinensischen Staates. Die internationale Staatengemeinschaft erkennt wiederum die im Sechs-Tage-Krieg annektierten Gebietsgewinne nicht an, ebenso wenig die Ansprüche der jordanischen Armee, die seit dem Unabhängigkeitskrieg 1948 die Altstadt militärisch besetzte. Schwierig. Und gleichzeitig der richtige Ort um mit der Suche anzufangen. Aber Wonach eigentlich?
Ich kam zur Untermiete in einer Wohnung im muslimischen Quartier der Altstadt unter, das ich über eine Facebook Seite gefunden hatte. Die Zimmer der Wohnung wurden für gewöhnlich an Ausländer vermietet, eine Französin hatte gerade die Wohnung verlassen und dabei die Hälfte ihrer Sachen zurückgelassen. Ameisen machten sich über liegen gelassenes in der Küche her. Wenigstens ein paar Mitbewohner dachte ich. Denn das Gefühl von Verlorenheit stellte sich schnell ein in den ersten Tagen. Ich beherrschte weder Arabisch noch Hebräisch, kannte kaum jemanden und wusste gar nicht, wie ich den Überfluss von neuen Eindrücken verarbeiten sollte, außer indem ich es aufschrieb und mit dem Wlan, dass ich im Innenhof des Hauses hatte, nach Hause telefonierte. Das half mir über die Irrungen d
er ersten Tage und kurze Zeit später lernte ich ausgerechnet ein paar Deutsche kennen, die ein Praktikum bei der UN machten und für das Auswärtige Amt arbeiteten. Eine riesige Erleichterung mit jemandem ganz offen über meine Eindrücke zu sprechen, all die Merkwürdigkeiten und Verunsicherungen in Alltagsdingen.
Mein erster Ausflug ging nach Bethlehem. Ich besuchte für eine Nacht das Geflüchteten Camp Dheisheh, das ein kleines Besucherzentrum mit Übernachtungsmöglichkeit hat. Ich bin noch nie in einem Geflüchteten Camp gewesen, hatte unwillentlich Bilder von Zeltlagern vor Augen als ich eincheckte. Dabei existiert das Lager schon seit 60 Jahren. An den Flurwänden des Gästehauses hingen Schwarz-Weiß-Bilder von eben jenen Zeltlagern, wie sie 1949 noch existierten. Daneben das Bild eines israelischen Soldaten, der aus nächster Nähe sein Pfefferspray auf einen palästinensischen Kameramann richtet. Mir wird freundlicherweise eine kleine Tour durch das Camp gegeben. Ein junger Araber in meinem Alter zeigt mir die Drehtür aus schwarzem Eisen, die wie ein Mahnmal an den Zaun erinnert, der während der ersten Intifada von der israelischen Armee um das Camp gezogen wurde. Arabische Schriften an den Häuserwänden rufen zum Widerstand und Mobilisierung auf, Graffitis von Banksy und an die Wände gemaltes erzählen Geschichten und bedauern den Tod meist junger Angehöriger. Mittlerweile steht das Camp unter palästinensischer Verwaltung. Trotzdem kommt es – so erzählt er mir - einmal im Monat zu Militäraktionen, bei denen vor allem junge Palästinenser wegen Terrorverdachts festgenommen werden.
Am Ende der Führung weiß ich nicht, was ich fragen soll. Blöde stotternd versuche ich ihm meinen Respekt auszusprechen und bedanke mich für die Führung. Dabei habe ich vor allem eine Frage an mich selbst, die ich mir nicht beantworten kann: Was zur Hölle mache ich eigentlich hier? Ist es nicht schrecklich vermessen dieses Camp zu „besuchen“? Mit Mitleid muss man den Palästinensern hier nämlich nicht kommen. Sie sehen sich selbst nicht als Opfer. Die Viktimisierung würde von der israelischen Regierung zur Genüge genutzt, um die eigenen Untaten zu rechtfertigen.
Irgendwie ausgelaugt sitze ich immer noch auf der roten Couch in der Lobby des Gästehauses und schaue mir die Wände an, die voller Pokale von sportlichen Wettbewerben sind. Das Frauenteam des Dheisheh Camps ist schon seit 4 Jahren konsekutiv Meister geworden. Über dem Thresen hängt ein eingerahmtes Gedicht auf arabisch mit Englischer Übersetzung:
HERE WE WILL STAY
In Lidda, in Ramle, in the Galilee
We shall remain
Like a Wall on your Chest
And in your Throat
like a Shard of Glass, a Cactus Thorn
And in your eyes
A Sandstorm.
Am nächsten Morgen stehe ich früh auf, weil das Gästehaus für die Feiertage des Opferfests geschlossen wird. Ich passiere den militärischen Check Point ohne großes Prozedere und fahre nach Jerusalem zurück. Daran werde ich noch zu kauen haben.
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