Mazedonien

von Alexander Prum

Der Anflug auf Skopje ist spektakulär. Es sind Berge rechts und links aus den Flugzeugfenstern zu sehen, die Sonne steht tief und taucht die Stadt in ein schönes Licht. Warm ist es auch. Meine Freundin und unsere Tochter begleiten mich auf diesem Abenteurer der nächsten zwei Monate.

Am ersten Tag habe ich die Klinik nicht von innen zu Gesicht bekommen, stattdessen gab es aufgekochten Kaffee mit Sead (der mazedonische IPPNW Präsident) im Krankenhauscafé „Hippokratischer Eid“. Dabei haben wir den Ablauf meiner Famulatur geplant und uns Gedanken über das anschließende Sozialprojekt gemacht, das beim Roten Kreuz angesiedelt werden sollte.

So ein mazedonisches Krankenhaus ist schwierig zu beschreiben, man muss es sehen, erleben und riechen. Draußen auf der Straße die Abgase, dann drinnen auf dem Gelände gleich die vielen Bäckereien, alte Männer auf Lastenfahrrad-ähnlichen Gebilden mit Plexiglasboxen voll mit Sesamringen, Milchbrötchen etc. Dann der Supermarkt, dazwischen überall Stände mit Anziehsachen, Blutdruckmanschetten, Plastikspielzeug und zwischen diesem Gewusel dann Autos die versuchen auf das Gelände zu kommen, Menschen mit zu vielen und zu wenig Beinen, Rollstühle und fliegende Verkäuferinnen die aus ihren Taschen Kleinzeug verkaufen. Sobald ich mich durch diesen Stau gekämpft habe, muss ich noch einen Hügel hoch auf dem überall Menschen sitzen. Mazedonien ist ein sehr kleines Land, d.h. viele kommen für ein paar Tage nach Skopje und wohnen im Auto oder auf dem Rasen während ihre Angehörigen in der prestigeträchtigen Uniklinik behandelt werden. Einmal im Gebäude der Inneren Medizin angekommen fällt überall die Baustelle auf. Auf den Treppengeländern der Etagen sind Fahrräder jeder Art mit einem Minidrahtseil angeschlossen, vom Klapperrad mit zwei Platten bis zum Carbon-Rennrad oder Elektromountainbike. Fahrraddiebstahl gibt es in Mazedonien kaum. An den Wänden und auf den Böden imponieren grün-gelbe Fliesen, sie sind ein Gedenken an die sozialistische Ära.

Die ersten zwei Wochen verbrachte ich in der Pulmologie an Seads Seite: Er hat einen recht abwechslungsreichen Alltag, den einen Tag waren wir auf Normalstation, den nächsten Tag nur mit Konzilen in anderen Kliniken unterwegs und dann wieder einen Tag in der ambulanten Sprechstunde. Gegen Ende war ich ein paar Tage in der Bronchoskopie bei Dr. Maria (noch so eine mazedonische Eigenheit, Menschen beim Vornamen aber mit Titel anzusprechen). Sie erklärte mir genau warum sie was mit den Patienten macht, schaute sich vor der Biopsie mit mir das CT an und zeigte mir im Ultraschall zig Pleura-Ergüsse am Tag, die sie treffsicher abpunktierte. Dabei geht sie stets von sich aus darauf ein wie das a) nach Lehrbuch ablaufen sollte, wie das b) hier in Mazedonien gemacht wird und wie Sie das c) aus Aufenthalten in Kliniken in Westeuropa und den USA kennt. Sie wird nicht müde Raucher an ihr erhöhtes Lungenkrebsrisiko zu erinnern und versucht Kraft ihres Amtes als Oberärztin der einzigen Uniklinik Mazedoniens Einfluss auf die Politik zugunsten von Rauchverboten zu nehmen.

Nach zwei Wochen in der Inneren, wollte ich gerne noch etwas Chirurgie-Luft schnuppern, sodass ich in der Notaufnahme landete. Im beschaulichen Mazedonien läuft sehr viel über Vitamin B, so auch mein Wechsel in die ZNA. Der dortige Chefarzt ist ein Schulfreund von Sead. Der Umgangston war merklich rauer und durch das Rotationssystem traf ich jeden Tag auf eine*n andere*n diensthabend*n Ärzt*in. Die einen waren sehr grimmig, andere tauten sofort auf sobald sie mitbekamen, dass ich ein deutscher Student bin, zeigten mir sehr viel und erklärten mir Frakturen auf Deutsch oder Englisch. Die Schwestern und der eine Pfleger der ZNA sprachen hauptsächlich Mazedonisch oder Albanisch, dann gab es aber doch noch verstaubte Französisch- oder gar Russischkenntnisse aus der Schulzeit und so gelang dann doch auch hier sehr viel Verständigung. Spätestens wenn mir der dritte selbstgemachte Kaffee am Tag und eigenes Obst angeboten wurde, fand ich mich immer wieder in einer gemütlichen Runde wieder.

Jeden Tag sah ich sehr viele Patienten und Patientinnen mit den unterschiedlichsten Beschwerden. Harninfekte, unzählige Babys die aus dem Bett oder von sonst wo auf den Kopf gefallen waren und meist glücklicherweise nur beobachtet wurden, Schnittwunden jeder Facon aber auch Polytraumapatienten. Zwei die mir besonders in Erinnerung geblieben sind, waren zwei Syrer die auf der Flucht mit einem Zug kollidiert waren. Mehr bekam ich während der zwei Monate in Mazedonien von der ehemals so aktiven Balkanroute nicht mehr mit. Hier lernte ich auch den Kinderchirurgen Dr. Alex kennen, der mich gleich mit in den OP nahm. Dort habe ich sehr nah Radiusfrakturen, Splenektomien, Circumcisionen und Materialentfernungen gesehen. Dabei wurde ich etwas komisch beäugt, wenn ich schnell den OP verlassen habe, sobald der C-Bogen angerollt kam. Leider tragen nur wenige eine Röntgenschürze oder gar Dosimeter.

Mein Sozialprojekt verbrachte ich beim mazedonischen Roten Kreuz, welches ebenfalls in Skopje sitzt. Skopje ist die Hauptstadt und das unbestrittene Zentrum des Landes mit ca. ¼ der Einwohner des Landes. Es liegt umringt von Bergen in einem Kessel. Das sieht sehr schön aus, bringt aber im trockenen Sommer auch die nicht ungewöhnlichen 40° C. Um es bei diesen Temperaturen besser auszuhalten, werden im wasserreichen Mazedonien in vielen Bars Wasserzerstäuber vor die Ventilatoren montiert. So auch in den klimatisierten Büros und im schönen Garten des RKs. Hier konnte ich in alle laufenden Projekte reinschnuppern, was für mich jeden Tag Abwechslung bedeutete. Einen Tag hatte ich einen Malereikurs mit betagten Damen und Herren, den anderen Tag war ich mit selbigen zum Chi-Gong im Park. Wieder einen anderen Tag packte ich in einem Versorgungszentrum Essenstüten für Wohnungslose und schaute einem Arzt über die Schulter der Medikamente verteilte. Dazwischen wurde mir leider auch viel Praktikantenarbeit zugewiesen – so übersetzte ich z.B. allerlei Präsentationen vom Deutschen ins Englische oder umgekehrt.

FAZIT

F&E ist für mich deswegen besonders, weil man bewusst in einem Land mit unbekannter Sprache ist und in den zwei Monaten Strategien entwickeln muss wie man dennoch kommunizieren und am Alltag teilhaben kann. Während meiner Famulatur sah ich viele medizinisch interessante Fälle, deswegen war ich jedoch nicht dort. Das meiste was ich mitgenommen habe ist die Stimmung und das Lebensgefühl der Menschen in Skopje. Zuerst fühlte ich mich sehr fremd in diesem Land und dieser Stadt. Der gastfreundliche Umgang mit uns als einzelne Personen aber auch als Familie haben uns dieses Gefühl schnell vergessen lassen. Wir konnten an den Wochenenden das sehr kleine Land erkunden und in der Woche blieb genug Zeit für Spaziergänge, kleine Wanderungen, Schwimmbad- und Cafébesuche. Was ich nicht vergessen werde ist der erste Abend, als die Bäckerin über die Theke hinweg fragte, ob sie meine Tochter küssen könne und es sogleich tat. Gefolgt von ihren beiden Kolleginnen.

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