Kosovo

von Fridtjof Harder

“Warum gerade Kosovo?” - Diese Frage habe ich nicht nur vor meiner Abreise aus Deutschland einige Male gehört, sondern auch nach meiner Ankunft im Kosovo. Viele Menschen in Deutschland verbinden den kleinen Balkanstaat südlich von Serbien noch immer mit dem Jugoslawienkrieg, mit Korruption und Armut, und würden ihn nur mit großer Mühe auf einer Europakarte finden. Auf dem Balkan andererseits gilt Deutschland für manche als ein (wegen sehr restriktiver Visabestimmungen) schwer erreichbares Land nahezu unbegrenzter Möglichkeiten, und dass es jemanden gewissermaßen gegen den Trend von Westeuropa nach Kosovo zieht, verwundert einige.

Nun, warum gerade Kosovo? Zunächst hatte ich ein anderes Wunschziel ausgewählt und erfuhr, dass der Platz dort bereits vergeben sei, es aber noch einen Platz im Kosovo gebe. Ich merkte, wie wenig ich über dieses Land wusste und wie schwer es mir fiel, die mit ähnlichen Klischees belegten Länder des Balkans auseinanderzuhalten. Ein guter Grund also, einen Blick zu wagen!

(Das/der) Kosovo ist einer der weltweit jüngsten Staaten und hat erst vor zehn Jahren seine Unabhängigkeit erklärt, wird jedoch von der internationalen Gemeinschaft nur zum Teil anerkannt. Der vermutlich schärfste Gegner kosovarischer Souveränität ist die Regierung des nördlichen Nachbarn Serbien, die Kosovo als abtrünnige Provinz betrachtet. Die angespannte Lage ist das Ergebnis der äußerst komplexen Geschichte der Region, die sich blutig im Jugoslawienkrieg ausdrückte. Der Konflikt erstreckte sich über die gesamten 90er Jahre, und in dessen Verlauf zerfiel das von Serbien dominierte Jugoslawien in die heutigen Einzelstaaten.

Die tiefen Spuren des Krieges sind allgegenwärtig: in Gedenkstätten und Heldenfriedhöfen, in den Medien, den Namen der Menschen (mein Sitznachbar im Bus auf der Hinreise trug den Vornamen “Patriot”) und in ihren Geschichten. Kosovo ist die Heimat vieler Menschen unterschiedlicher Identitäten und Muttersprachen, die Mehrheit spricht jedoch albanisch und betrachtet sich als (Kosovo-)Albaner. Größere Minderheiten werden von den Bosniaken gestellt sowie den Serben, hinzu kommen etwa “Roma, Ashkali, Egyptians” (RAE), die einige Gemeinsamkeiten mit Sinti und Roma aufweisen, sowie Türken. Auch wenn es Spannungen insbesondere mit der serbischen Minderheit gibt und einige Menschen sich diffus vor einer drohenden Invasion aus dem Norden fürchten, ist Kosovo ein sehr sicheres Land mit sehr wenig Gewaltkriminalität (Korruption und Wirtschaftskriminalität stehen auf einem anderen Blatt).

Die meiste Zeit meines etwa neunwöchigen Aufenthalts habe ich in der Hauptstadt Pristina verbracht. Mit meinen drei sehr herzlichen Mitbewohnern konnte ich einen ersten Blick in die komplexen ethnischen Verhältnisse des Landes werfen: Ein Kosovo-Albaner und zwei Bosnier, die aus einer Stadt mit starker serbischer Minderheit stammen. Mit ihnen konnte ich lange über Politik, Geschichte und Religion reden: Im Kosovo leben Muslime, orthodoxe Christen, Katholiken und Menschen anderer oder ohne religiöse Bekenntnisse weitgehend friedlich miteinander, und für die bestehenden Konflikte spielt Religion eine untergeordnete Rolle. Der Islam als Mehrheitsreligion ist zwar mit zahlreichen Moscheen im Stadtbild sichtbar, spielt jedoch für den Großteil der Menschen in ihrem Alltag keine bedeutend größere Rolle als das Christentum für die meisten Einwohner Deutschlands.

Pristina ist die größte Stadt des Landes, wobei die Einwohnerzahlen schwanken, je nachdem wen man fragt. Die Stadt wurde im Krieg von Pogromen heimgesucht, im Gegensatz zu vielen anderen Orten im Kosovo aber nicht schwer zerstört. Von Ausnahmen abgesehen (Moscheen aus der osmanischen Zeit und einigen Gebäuden aus der österreich-ungarischen Periode), gibt es hier jedoch wenig Altstadt zu erkunden. Die vielen Cafés der Stadt bieten dennoch ausreichend Gelegenheit, freie Nachmittage zu verbringen. Als schönste Stadt des Landes gilt Prizren (siehe Foto), das mit dem Bus in etwa 90 Minuten zu erreichen ist.

Meine Zeit in der Klinik verbrachte ich für zwei Wochen auf der Pneumologie und weitere zwei Wochen auf der Neurologie, gefolgt von einigen Tagen auf der Psychiatrie. Meine hochtrabenden Pläne, vor meiner Anreise Albanisch auf Smalltalk-Niveau zu erlernen, waren selbstredend gescheitert, die Verständigung mit den Menschen im Uniklinikum gelang jedoch mit Englisch, Deutsch, einfachstem Albanisch, Händen und Füßen ganz passabel. Mir war weitgehend freigestellt, wie viel Zeit ich im Krankenhaus täglich verbringe, und meistens begann mein Tag mit der Visite gegen 8 Uhr und endete am Nachmittag zwischen 14 und 16 Uhr. Studenten im Kosovo erwerben an der Uni wenig praktische Fertigkeiten, und klassische Famulanten-Tätigkeiten wie Blutentnahme wurden auch von mir nicht routinemäßig erwartet. Insbesondere auf der Psychiatrie zeigte sich für mich ein deutlicher Gegensatz zur Versorgung in Deutschland: Die Klinik war äußerst sparsam eingerichtet und besonders mit Pflegepersonal dramatisch unterbesetzt. Auf der Pneumologie gab es eine eigene Tuberkuloseabteilung, eine Krankheit, die besonders in entlegenen Dörfern noch vergleichsweise häufig angetroffen wird.

Nach meiner Zeit am Uniklinikum arbeitete ich einen Monat in einer von “The Ideas Partnership” (TIP), einer kosovarischen NGO, betriebenen Schule in einem Dorf in der Nähe Pristinas sowie in einem Kindergarten. An der Schule, die sich besonders an die Minderheit der RAE richtete, unterrichtete ich Deutsch und Englisch gemeinsam mit einer albanischen Lehrerin. Die Klasse war äußerst heterogen hinsichtlich Alter, Vorkenntnissen und Motivation, und es fiel mir nicht einfach, einen Unterricht zu erteilen, der allen gerecht wurde. Dennoch machte mir die Arbeit mit den Kindern sehr viel Spaß, und es beeindruckt mich noch immer, was die Menschen von TIP trotz sparsamer Finanzierung alles auf die Beine stellen. Die Organisation ist neben der Bildungsarbeit auch im Umweltschutz tätig und unterstützt kleine Betriebe in marginalisierten Gemeinschaften.

Am meisten vermisse ich all die Menschen, die mich so herzlich empfangen haben. Besonders Pëllumb, der Präsident der IPPNW-Studigruppe, hat einen großen Teil seiner Zeit aufgewendet, damit ich mich schnell wohl fühlen konnte. Gemeinsam mit ihm, seiner Freundin Festa und einem verzweigten Netzwerk aus Freunden und Cousins (die Unterscheidung ist mir oft schwer gefallen) erkundeten wir am Wochenende oft die übrigen Städte des Landes, unternahmen Wanderungen in der Umgebung und besuchten einige Male Albanien, das mit dem Auto oder mit dem Bus schnell zu erreichen ist. Besonders in dieser Freundschaft ist mir jedoch auch meine privilegierte Stellung als westeuropäischer Besucher deutlich geworden. Während sich Pëllumb, ein äußerst begabter und ehrgeiziger Mediziner mit guten Deutschkenntnissen, in dem klammen Gesundheitswesen des Kosovo schwer entfalten kann und für die Hoffnung auf ein Visum (bisher vergeblich) den deutschen Behörden ausgeliefert ist, konnte ich mit meinem Pass die Grenzen des Balkan mühelos überschreiten und habe lediglich per Staatsbürgerschaft ungleich größere Möglichkeiten.

Natürlich gibt mein Text nur einen kleinen Ausschnitt meiner Erlebnisse in diesem sehr vielseitigen und spannenden Land wieder, und meine Erlebnisse sind nur ein sehr kleiner Einblick aus einem begrenzten Blickwinkel. Ein bisschen mehr kann ich euch gerne persönlich erzählen, und vielleicht könnt ihr euch dann im Sommer ja selbst ein Bild machen!

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