Türkei

von Conrad Matthes

Mit f&e in die Türkei zu gehen, bedeutete für mich nach meinem Auslandssemester in Istanbul, noch mehr in die türkische Kultur einzutauchen, die Sprachkenntnisse zu vertiefen, mehr vom Land zu sehen, neue Freundschaften zu schließen und alte zu festigen und die aktuellen Probleme vor Ort besser zu erkunden.

Im Vorfeld

Vor dem Beginn meiner Reise kam es zum Anschlag in Suruç durch den IS, unweit der von Kurden kontrollierten Gebieten um Rojava im Norden von Syrien. Dabei starben 33 junge Menschen, die sich am Aufbau der Stadt Kobanî beteiligen wollten. Da die türkische Regierung unter Erdoğan immer wieder in den Verdacht geriet, IS Kämpfern den Zugang durch die Türkei nach Syrien und in den Irak zu erleichtern, kam es nach einem längeren wichtigen Friedensprozess zwischen der PKK und der Regierung wieder zu Anschlägen der PKK auf Militär und Polizeieinrichtungen, worauf hin diese wieder damit begannen, PKK Stellungen im Kandilgebirge zu bombardieren und „verdächtige“ Personen hauptsächlich im Südosten der Türkei verschwinden zu lassen. Mittlerweile ist der ganze Südosten der Türkei, in dem mehrheitlich Kurden leben, wieder Schauplatz vieler tödlicher Auseinandersetzungen geworden und auch in den großen westlichen Städten der Türkei kommt es zu zahlreichen Anschlägen mit vielen Toten.

Das alles machte es mir nicht leichter, meine Reise gegenüber meinen Eltern und Freunden in Deutschland zu rechtfertigen und ich selbst hatte am Anfang ein eher ungutes Gefühl. Durch Anschläge oder kriegerische Auseinandersetzungen zu Schaden zu kommen, ist jedoch unwahrscheinlich, wenn man sich entsprechend verhält. Das galt auch für den Südosten. Im Westen der Türkei ist die Präsenz von Militär und Polizei weniger offensichtlich ausgeprägt als im Südosten und so habe ich mich in Izmir sehr schnell wohl und immer sicher gefühlt.

Vor Ort

Ich bin erst nach Istanbul geflogen, und konnte dann glücklicher Weise mit meinem zukünftigen Mitbewohner nach Izmir fahren. In der WG, in der ich einen Monat wohnte, stellte sich gleich am Anfang heraus, dass mein Mitbewohner und ich die gleichen Freunde in Istanbul haben und so verstanden wir uns auf Anhieb super. Leider ist Savaş im Sommer oft in seinem Heimatdorf um dort zu arbeiten und so hatte ich die Wohnung mehr für mich. Trotzdem habe ich viele interessante Menschen und Orte kennen gelernt.

Famulatur

Anfänglich war ein zweimonatiger Aufenthalt in Izmir geplant. Die Famulatur fand im Dokuz Eylül Universitätskrankenhaus statt und das soziale Engagement sollte bei der Menschenrechtsstiftung THIV statt finden. Die THIV lehnte meine Anfrage mit der Begründung ab, sie hätten leider keine ausreichenden englischen Sprachkenntnisse, um mich über einen längeren Zeitraum zu beschäftigen. Die Famulatur im Krankenhaus wird von Bülent Kılıç organisiert. Er ist Professor im Public Health Department und war für mich im Vorfeld der Ansprechpartner vor Ort. Er möchte gern, dass man zwei Wochen in den Allgemeinarztpraxen in und um Izmir hospitiert. Das System der sogenannten Family Doctor Center ist sehr verschieden von dem deutschen System. So war es trotz weniger Aufgaben für mich sehr interessant, die verschiedenen Ärzt*innen bei ihrer Arbeit zu beobachten, wenn ausreichend Sprachkenntnisse auf beiden Seiten vorhanden waren, mit Çay interessante Gespräche über die aktuelle politische Lage zu halten und durch die außerhalb von Izmir gelegenen Praxen auch die schöne Umgebung kennen zu lernen. Izmir ist nämlich die Perle der Ägäis und hat ein sehr schönes hellblaues Meer mit fabelhaften Stränden. Außerdem gibt es in der Nähe viele alte Ruinen wie zum Beispiel die von Efes, die es sich lohnt an einem Nachmittag zu besichtigen. Weiterhin konnte ich zwei Vormittage in einer Poliklinik für registrierte syrische Geflüchtete hospitieren. Die nächsten zwei Wochen habe ich dann in der Notaufnahme verbracht. Auch hier verlässt man die bekannten Bahnen der Patientenversorgung, da die Türkei nach dem amerikanischen System ihre ZNA organisiert. Das bedeutet große Räume, in denen die Patienten bei Untersuchungen nur durch Vorhänge voneinander getrennt werden. Die Atmosphäre war sehr freundlich und ich habe viele aufgeschlossene Medizinstudent*innen im letzten Jahr ihrer Ausbildung kennen gelernt. Wenn man an die Richtigen gerät, ist es kein Problem Maßnahmen wie i.v. Zugänge, arterielle Punktionen und das Nähen mittelgroßer Wunden zu erlernen. Bei der Diagnosefindung und weiteren Therapieplanung ist man auf Grund der Struktur und Arbeitsteilung zwischen Arzt und Student leider nicht mit dabei.

In meiner Freizeit habe ich mich hauptsächlich mit der Situation von Geflüchteten in Izmir und auf den nahen griechischen Inseln Chios und Lesbos beschäftigt. Zu meiner Zeit befanden sich 70000 registrierte Geflüchtete in der Stadt. Wahrscheinlich viel mehr, da sich Geflüchtete mit dem Ziel Europa ungern registrieren lassen. Außerdem habe ich eine NGO besucht, die sich um die rechtliche Beratung der hauptsächlich nicht syrischen Geflüchteten kümmert. Bei Mülteci-Der (mülteci bedeutet Geflüchte*r) könnte auch die Möglichkeit eines Praktikums bestehen. In Izmir gibt es auch noch eine weitere Organisation, die Essen und Sachspenden an Geflüchtete verteilt. Leider habe ich es in den kurzen vier Wochen nicht geschafft, diese zu besuchen. In der Türkei gibt es kein unbegrenztes Asyl und die Situation für nicht syrische Geflüchtete ist eine andere als für syrische Geflüchtete. Diese Unterschiede sind sehr bedeutend für den Zugang zu Gesundheit, Bildung und Wohnung.

Engagement

Nach Izmir wollte ich eigentlich nach Iğdır, ganz in den Osten der Türkei an die armenische Grenze fahren. Allerdings hatte sich die aktuelle Lage so verschlechtert, dass mein Ansprechpartner vor Ort mir empfahl, nicht zu kommen. So bin ich über Suruç und Urfa nach Diyarbakır gefahren und habe dort vor Ort nach Möglichkeiten gesucht, wo ich mich die nächsten Tage engagieren könnte. Über Gisela Penteker von der IPPNW Deutschland habe ich von Sarmasik e.V. erfahren. Sarmasik bedeutet Efeu auf Deutsch und ist ein Verein, der arme Familien in Diyarbakır unterstützt. Zum einen ermöglicht der Verein monatliche Lebensmittelhilfen für Bedürftige und zum anderen bietet er ein Studentenprogramm an, welches Schüler*innen mit Sachspenden und Hausaufgabenbetreuung hilft. Auch Student*innen werden weiter gefördert, wenn sie die Schule verlassen haben und der Förderungsbedarf noch besteht. Die Menschen im Verein sind sehr hilfsbereit und haben mir ein Zimmer bei Studenten besorgt, so dass ich das Hotel verlassen konnte.  Auch über Sarmasik gäbe es wahrscheinlich die Möglichkeit, einen Monat lang ein Praktikum zu machen. Außerdem könnte man in Diyarbakir auch eine weitere Famulatur absolvieren. Der Südosten der Türkei ist eine sehr krisengeschüttelte Region. Nichts desto trotz gibt es hier viele schöne Orte, die man besuchen sollte. Zu nennen sind hier neben der Altstadt Diyarbakırs auch Mardin und Hazankeyf.

Geschichte und Landschaft im Südosten der Türkei. Foto: privatInsgesamt ist es von Vorteil, ein bisschen türkisch zu beherrschen, da die meisten Menschen, auch jüngere, nur sehr wenig Englisch sprechen. Im Südosten kommt man auch mit Kurdisch überall weiter und wenn man diese Sprache ein wenig lernt, öffnet es einem vielleicht auch Türen zu sehr besonderen Begegnungen.

Ich konnte in diesen zwei Monaten wichtige und prägende Erfahrungen sammeln und bin sehr dankbar, dass ich durch die IPPNW diese Möglichkeit erhalten habe. In meinen Gedanken bin ich auch jetzt noch oft bei den Menschen, denen ich begegnet bin und die sich zum Teil trotz schwerster Lebensumstände Zeit für mich genommen haben.

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