01.12.2012 Es ist Mitte November und vor einigen Minuten lese ich die Meldung, dass es im Gaza-Konflikt zur Waffenruhe gekommen ist. Kurzes Aufatmen. Für die Menschen, die mir vor zwei Monaten einen Einblick in ein Leben unter konstanter Besetzung gegeben haben, für meine zahlreichen und herzlichen Gastgeber auf beiden Seiten der acht Meter hohen Mauern.
Ankunft
Mein Flugzeug landet um 4 Uhr Morgens in Tel Aviv. Genau die richtige Uhrzeit, um mit einer besonderen Sensibilität in die neue Atmosphäre einzutauchen. Ben Gurion Airport – Israel. Ähnelt um diese undankbare Zeit eher einem Disneyland in blau-weiß als dem Hochsicherheitsapparat der er eigentlich ist. Ich überlege mir an diesem Ort zu verweilen, um das Treiben zu beobachten und den Tagesanbruch abzuwarten, bis ich auf das Sicherheitspersonal treffe und vielleicht ein wenig zu stolz auf die Frage antworte welches mein Ziel sei: „ Bethlehem ! “ Es folgen : Fragen – Antworten – Unmut - mehr Fragen - weniger Antworten - Skepsis – Warten – Warten – Warten – Unsicherheit - tadelnde Blicke.
Ich halte einen Brief von IPPNW in den Händen, der diplomatisch meinen Aufenthalt in den palästinensischen Gebieten erklärt und habe das Gefühl, dass er sehr nützlich ist. Ich hätte ihn (sinnloserweise) gerne der arabischen Familie gegeben , die am Nachbarschalter schon viel länger und rigoroser befragt wird als ich. Nach dieser ermüdenden Prozedur möchte ich gehen. Ich frage also am Informationsschalter, wie ich am besten nach Bethlehem gelange, erhalte noch einen dieser Blicke und die Antwort : „ Dieser Ort existiert für mich nicht !“
Dann sitze ich im Sheirut, fahre durch einen warmen israelischen Morgen nach Jerusalem, unterhalte mich mit dem Fahrer über die Notwendigkeit der Mauern und Checkpoints und kämpfe gegen meine wenig fundierten Vorurteile. Schon während des Vorbereitungsseminars in Göttingen entwickelte sich im Laufe der Gespräche mit meiner Vorgängerin Christiane das Gefühl bei mir, einem sehr einseitigen Schwarz-Weiß-Schema zu folgen. In Gut und Böse einteilen zu wollen kommt mir jetzt lächerlich vor. „Die Palästinenser sind eben genauso wie wir, einfache Opfer des Holocaust! Das wart doch Ihr , Ihr Deutschen ! “ sagt der Fahrer und fügt noch resigniert hinzu: „Da kann man nichts machen !“, setzt mich vor dem Chekpoint 300 nach Bethlehem ab, fährt einen, wie auf Verfolgungsfahrten üblichen geräuschvollen U-Turn und zieht von dannen. Nach einigen Momenten der Orientierung wird mir ein wunderschönes Bild zu Teil : Ein friedlicher Strom von Hunderten Muslimen, die durch den Checkpoint pilgern um den Ramadan in Jerusalem zu zelebrieren. Fesselnd auf eine Weise, die mich die bis auf die Zähne bewaffneten israelischen Soldaten vergessen lässt.
Unterkunft
Das Bethlehem Youth Hostel existiert seit ungefähr einem Jahr und ist mit der französischen NGO “Les enfants, le jeu et l'éducacion“ verknüpft. Die Einkünfte des Hostels dienen der Schule “Le petit prince“, einem Pilotprojekt der NGO, als finanzielle Grundlage. Palästinensische Kinder werden hier im Sinne des französischen Schulsystems unterrichtet und erhalten so bessere Zukunftsperspektiven. Die Schule befindet sich im selben Gebäude wie das Hostel. Leider waren im August Schulferien, und ich konnte im Schulbetrieb nicht hospitieren, allerdings machten die Erzählungen einen viel versprechenden Eindruck auf mich. Die Jugendherberge war vielleicht nicht der geeignete Ort um nach einem langen Famulaturtag ein bisschen Ruhe zu finden, geschweige denn eine Nacht durchzuschlafen - aber es war der richtige Ort um sich auszutauschen, neues zu erfahren und potentielle Reisebegleiter zu treffen. Der Portier, Baha, war eine ausgeflippte Mischung aus Künstler und Psychologie-Student und sehr engagiert in der isralisch-palästinensichen Genderbewegung. Dem entsprechend bunt gemischt waren auch die Menschen die an diesem Ort verkehrten. Meine Unterkunft war so etwas wie eine Schnittstelle zwischen arabischer und europäischer Kultur, und ich bin sehr dankbar für die vielen guten Gespräche die ich dort führen konnte.
Famulatur im Caritas Baby Hospital
Seit 1952 ist und bleibt das Caritas Baby Hospital (CBH) das einzige Krankenhaus in palästinensischem Gebiet, welches auf Kleinkinder spezialisiert ist. Zwar arbeitet es in Kooperation mit dem „Holly Family“ aber dort gibt es lediglich eine Neonatologie.
Der moderne Krankenhauskomplex liegt 200 Meter vom Checkpoint 300 nach Jerusalem entfernt . Außer dem Krankenhaus gibt es auf dem Gelände noch eine Schwesternschule und ein Gebäude in dem sich Administration und Sozialarbeiter ansiedeln. Sowohl diese Einrichtungen als auch das Krankenhaus selbst werden durch die Kinderhilfe Bethlehem, eine Stiftung die all dies durch das Sammeln von Spenden möglich macht, finanziell aufrecht erhalten. Für das Sammeln von Spenden vor Ort sind vor allem die italienischen Ordensschwestern zuständig, deshalb gehörte es zum alltäglichen Bild mehrere Reisebusse eintreffen zu sehen und als engagierter Famulant vorgestellt zu werden. Lächeln nicht vergessen! Lächeln ist sowieso eine wunderbare Zutat, die fast immer und überall Anwendung findet im CBH. Jeden Morgen schon vor dem Betreten des Krankenhauses wird man von warmen Mutter- oder schüchternem Kinderlächeln begrüßt. Oft traf ich dann auf den überschwänglich gut gelaunten Pförtner und seinen siebenjährigen Schützling Achmat, der mit seinem Status als Dauerpatient offenbar auch eine Ausbildung zum Krankenhauspförtner angetreten hat.
Ähnlich wie bei meinen Vorgängern war die schwer verständliche Morgenbesprechung und das anschließende Frühstück eine Konstante ohne Ausnahme, ein Routineelement, welches mir erlaubte mich schnell in das Team zu integrieren und das auch mein Erraten von arabischen Wortbedeutungen verbesserte. „Arabisch ist eine schöne Sprache “, dachte ich immer wenn wieder das Rauschen begann in der Visite. Ein ästhetischer Klang der oft zwischen mir und dem Verstehen stand.
Aber glücklicherweise gab es Chiara, meine italienische Co-Famulantin, die dem Arabischen ein wenig mächtiger war. Chiara bedeutet übrigens Salatgurke auf Arabisch. Gemeinsam lernten wir also die Krankheitsprofile und verschieden Pathologien kennen, die Besetzung, mangelnde Aufklärung und Armut mit sich bringen. Zu ihnen zählen Mangelernährung, Stoffwechselstörungen, Darmkrankheiten, Erkrankungen der Atemwege und Fehlbildungen. Dabei sind viele Krankheiten genetischen Ursprungs, da es in der Bevölkerung aufgrund von finanziellen Engpässen und auch wegen demographischer Einschränkungen oft zu Verwandtenehen kommt. Solche Zusammenhänge haben mir oft die Sozialarbeiterinnen erklärt, die bei vielen Visiten dabei sind, um direkt nach den Ärzten mit den Angehörigen reden zu können und das weitere Vorgehen nach einer Diagnose zu besprechen. Eine Besonderheit des CBH ist, dass es den Müttern ermöglicht wird während der Verweildauer ihrer Kinder auf dem Gelände zu wohnen, um stets in unmittelbarer Nähe zu ihren Kinder zu sein. So können die Frauen auch aktiv in die Pflege ihrer Kinder mit einbezogen werden. Die gesamte Atmosphäre im Krankenhaus wirkte auf mich sehr familiär. So hatten auch die lehrenden Oberärzte ein eher väterliches Verhältnis zu den Assistenzärzten, Schwestern und selbst zu uns Famulanten.
Von so viel persönlichem Engagement in der Lehre kann man bei der Studentenmassenabfertigung hierzulande ja oft nur träumen.
Ich muss an dieser Stelle Dr. Jones zitieren, der immer sagte : „ Bereitschaftsdienste gibt es für mich nicht, denn ich habe immer Bereitschaft, deshalb wohne ich ja auch so nah am Krankenhaus.“ Diese Aussage fand ich besonders wegen der Freude die in seinen Worten mit klang bemerkenswert. Im Alltag des CBH gab es für mich jedoch auch oft Situationen, die in Deutschland unvorstellbar gewesen wären, wie zum Beispiel den erheblichen Aufwand den es bedeutete ein Kind von einem Krankenhaus in ein anderes zu überweisen oder der Mangel an Technik und auch Kommunikation, die schon im relativ weit entwickelten CBH zu beobachten waren.
Letztendlich ist es für mich trotzdem ein Ort an welchem die verschiedensten Menschen sich auf diesem sonst so polarisierendem Stück Land zusammentun um anzupacken, um durchzugreifen und liebevoll Kinderhände zu halten. Eine kuriose Patchworkfamilie aus Ordensschwestern, lebhaften Dauerpatienten, Assistenzärzten, temperamentvollen Schwestern, lächelnden Sozialarbeiterinnen und einem exzellenten Küchenchef. Dort habe ich sehr starke Charaktere getroffen, wie z.B. Dr. Jamal, der voller Integrität die Rolle des Weisen und erfahrenen Lehrers übernimmt und mit aller Ruhe versucht, die nächste Generation auf ihre medizinische und politische Verantwortung in ihrem Land vorzubereiten.
Die Sozialprojekte
Das GTC (The Guidance and Training Center for the Child and Family) ist eine lokale NGO die sich um die psychische Gesundheit von palästinensischen Familien kümmert. Dabei konzentriert sich das Team aus Psychologen und Sozialarbeitern besonders auf Kinder. Auf vier verschiedene Arten versuchen sie die Familien zu erreichen. Es werden Präventionskampagnen organisiert, die zur Reduktion von Diskriminierung, zur Aufklärung und Früherkennung psychischer Krankheitsbilder dienen sollen. Abgesehen von den Therapie- und Gesprächsangeboten für die Familien bilden die Therapeuten selbst auch Studenten aus, was in der West Bank von großer Wichtigkeit ist, da vor allem Psychologen dort gebraucht werden und momentan nur eine Hand voll existiert. Außerdem beteiligt sich das GTC auch an Studien. Während meines Aufenthalts wurde ich vor allem im administrativen Bereich eingesetzt, ich korrespondierte mit potentiellen Spendern, richtete die Facebookseite des GTC ein und half bei den Planungen für die Webside , die leider bis heute noch nicht online ist. Außerdem wohnte ich den Gruppensitzungen, Therapiesitzungen und Meetings bei die es so über die Woche verstreut gab und übte mich im auf Arabisch Essen bestellen, um Mittagessen für die Crew zu organisieren. Ein sehr netter und engagierter Haufen Menschen, die man schnell ins Herz schließt. In Fall des GTC war die Sprachbarriere leider etwas problematischer, da es hier wirklich darum gegangen wäre mit den Patienten und Hilfesuchenden zu kommunizieren. Auch war es den Therapeuten nicht möglich während der Sitzungen ständig zu übersetzen.
Im Großen und Ganzen eine sehr gemütliche Zeit mit viel schwarzem Tee auf dem Beobachtungsposten.
Das Tent of Nations (ToN), unter Insidern auch schlicht „der Weinberg“ genannt, liegt wenige Kilometer von Bethlehem auf der Straße nach Hebron. Seitdem der Berg von jüdischen Siedlungen wie der Neve Daniel umgeben ist wurde die Region zu einer sogenannten Region C erklärt , was bedeutet dass es sich um israelisches Gebiet handelt, welches sowohl auf administrativer als auch militärischer Ebene durch den israelischen Staat kontrolliert wird. Auf diesem Stück Land kämpft die palästinensische Familie Nassar seit Jahrzehnten vor Gericht um die Anerkennung Ihres Eigentums. Immer noch sind sie nicht ans Stromnetz angeschlossen und dürfen keinen Brunnen bohren, und immer noch bekommen sie Abrissbescheide für alles was für die Israelis aussieht wie ein Haus, also auch für Tierställe und Vogelkäfige. Trotz oder vielleicht genau wegen dieser erschwerten Umstände ist das ToN zu einer der wichtigsten Begegnungsstätten für Engagierte und Wissbegierige geworden. Das Projekt soll Menschen, vor allem Jugendliche, aus verschiedenen Kulturen zusammenbringen, um „Brücken des Verständnisses und des Friedens “ zu bauen. Dies gelingt durch das Veranstalten von summercamps für Kinder, die sich ihrer Verantwortung für den Frieden und für ihre eigene Zukunft bewusst werden sollen. Motor dieses sehr internationalen Projekts ist der charismatische Daout Nassar, der wortgewandt Tag für Tag Reisegruppen die Situation seiner Familie , seine Pläne und seine Ansätze von Friedensarbeit erklärt. Da die Zahl der Reisegruppen immer mehr ansteigt sind auch Jihan , Daouts Frau, und Daher, der Bruder, im ständigem Arbeitsmodus. Jihan bewirtet die Gäste und Daher übernimmt die Betreuung der Volunteers.
Das Tent of Nations ist unter den westlichen Volunteers und Reisenden ein bunter Hund. Fast jeder kennt den Weinberg, und die Meinungen über das Projekt sind so divers wie die Fruchtauswahl auf dem Markplatz von Bethlehem. Schon im Youth Hostel habe ich sehr viel von der Familie Nassar und ihrem Projekt gehört. Leider kamen mir vor allem zu Beginn meines Aufenthalts in Bethlehem eher zweifelnde Aussagen über das Projekt zu Ohren. So empfanden einige Volunteers die 150 Schekel pro Tag/Nacht (ca. 30€ ), die viele zahlen mussten, als zuviel. Andere erwähnten , dass sie ihre Arbeit dort als sinnlos empfanden. Aussagen wie diese verunsicherten mich zu Anfang ein wenig, aber als ich mir mein eigenes Bild machte, konnte ich den Großteil der Negativaussagen in meiner Erinnerung verwerfen. Sowohl die Familie als auch die Langzeitvolunteers (wie soll es anderes sein - es sind 3 Deutsche) haben sehr authentisch in ihren Vorhaben auf mich gewirkt. Alle arbeiteten mit großer Aufopferung, und in der Arbeit die wir dort taten sah ich auch oft sehr viel Sinn. Natürlich läuft nicht immer alles reibungslos, und man saß auch manchmal herum, aber das will man auch bei 34 Grad im Schatten. Abgesehen davon hatte der Berg auch einen sehr meditativen Aspekt, und man brauchte auch unbedingt Zeit zum Nachdenken, Zeit für Gespräche, Zeit für sich.
Unser Tag begann sehr früh, mit dem Sonnenaufgang,und einem wunderbaren gemeinschaftlichen Frühstück. Danach wandte sich jeder seinem Aufgabenbereich zu. Auch dies war ein Angriffspunkt für Kritiker, die meinten, dass die Arbeit strikt nach Geschlechterrollen verteilt werde und Frauen in der Küche arbeiten, während Männer Zisternen für die Wasserversorgung graben. Auf Nachfrage durfte ich dann auch mal in die Zisterne.
Meine Hauptaufgabe in der Zeit meines Aufenthalts war die kleine Apotheke auf Vordermann zu bringen und einen Erste-Hilfe-Kurs für die Volunteers zu geben. Dieser Kurs ist mir aufgrund der Nähe zu den Teilnehmern und dem laxen Pathos eher weniger gut gelungen, und ich fordere schon an dieser Stelle meine(n) Nachfolger/in dazu auf sich auf den Kurs besser vorzubereiten als ich es getan habe.
Man wächst auf diesem Stück Land relativ schnell zusammen, vor allem wenn man Momente teilt wie das Auffinden von verlassenen Hundewelpen, das Eintreiben von verrückten Pferden oder das Antreffen von ebenso verrückten Siedlern, die behaupten ihnen gehöre dieses Land. Abgesehen von diesen „Unsere-kleinen- Farm-Erlebnissen“ in politischem Setting ist ein wesentlicher Grund warum man in Palästina/Israel als Beobachter so schnell zusammen wächst die Intensität der Erfahrungen. Das Konstruieren von Weltbildern in Gedanken, die man gleich darauf wieder einreist um ein neues zu erdenken. Das verstehen oft nur Menschen die Ort und Zeit mit einem teilen, glaube ich.
Es ist schwer zu erklären was man auf persönlicher Ebene dort erfährt, und genauso wie Christiane und Ida vor mir muss ich feststellen dass diese Reise in mir weiterarbeitet.
Ich nutze diese Steilvorlage um mich bei meinen Vorgängerinnen zu bedanken und auch um Ullas Arbeit zu würdigen, bei der man immer viel Verständnis und ein offenes Ohr findet.
Ich wünsche Euch viel Glück mit den Bewerbungen für 2013.
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