Ausgeträumt

Keine Renaissance der Atomenergie in den USA

15.07.2018 Atomenergie ist weltweit vor allem in Ländern mit militärischen Atomwaffenprogrammen oder ihren engen Verbündeten verbreitet. Ein Drittel aller Atomenergie weltweit wird allein durch die USA produziert. Frankreich steht mit 15% der globalen Atomenergieproduktion an Platz zwei, gefolgt von China mit 9% und Russland mit 7,5%. Großbritannien liegt mit 2,5% dagegen relativ abgeschlagen auf Platz 9 der atomenergieproduzierenden Staaten. Zusammen produzieren die 5 offiziellen Atomwaffenstaaten rund 2/3 der Atomenergie weltweit. Atomenergie ist also bei weitem kein globales Phänomen, sondern auf eine Handvoll von Staaten begrenzt, wobei die USA das mit Abstand wichtigste Land für die militärische und zivile Atomindustrie bleiben.

Umso bemerkenswerter sind die neuesten Einschätzungen konservativer Analysten der Carnegie Mellon University, die ein schleichendes Ende der US-amerikanischen Atomenergieproduktion vorhersehen. Zwar produzieren die 99 US-Atomreaktoren aktuell noch rund 20% der Gesamtstrommenge der USA, doch dieser dürfte in der nahen Zukunft deutlich abnehmen. Die Gründe für den Niedergang sind vielgestaltig: gesteigerte Sicherheitsbestimmungen und damit explodierende Konstruktionskosten für neue AKW‘s nach den Katastropen von Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima, ein dramatisches Absinken der öffentlichen Zustimmung für Atomenergie (2016 sprachen sich in einer Gallup-Umfrage 54% der US-Amerikaner gegen Atomenergie aus), eine stagnierende Energienachfrage durch Energieffizienz- und Sparmaßnahmen in den letzten Jahren und schließlich der kometenhafte Aufstieg von billigem Fracking-Gas und Erneuerbaren Energien.

Wurde Anfang des Jahrtausends in den USA noch von einer “Renaissance der Atomenergie” gesprochen, ist mittlerweile ein gegenläufiger Trend eingetreten: Immer mehr Atomkraftwerke werden frühzeitig vom Netz genommenen. Seit 2013 wurden insgesamt 6 Reaktoren abgeschaltet, 8 weitere haben eine baldige Abschaltung angekündigt, unter anderem der noch laufende Reaktor 1 in Three Mile Island, New York und die beiden Reaktoren in Diablo Canyon, Kalifornien. Die Gründe liegen vor allem in der sinkenden öffentlichen und politischen Unterstützung für Atomenergie und im Strompreisverfall durch neue Energieformen, der Atomkraftwerke schlichtweg unwirtschaftlich macht.

Die Regierung Trump sah sich im Januar 2018 genötigt, diesen Prozess durch massive Subventionen für AKW-Betreiber abzufedern. So sollen verpflichtende Abnahmemengen festgelegt werden, die sicherstellen, dass unwirtschaftliche Kraftwerke nicht schließen müssen. Die Regierung begründet dies mit Argumenten der nationalen Sicherheit und scheint bereit, über Notstands-Subventionsprogramme hohe Summen an Steuergeldern in die Hände der Atom- und Kohleindustrie umzuleiten. Auch auf Ebene der Bundesstaaten wird mancherorts versucht, den Niedergang der Atomindustrie künstlich zu verlangsamen. In New York und Illinois konnten die Regierungen durch Gelder aus staatlichen Fonds für schadstofffreie Energien die Stilllegung von insgesamt 6 Atomreaktoren verhindern - eine Praxis gegen die Umweltinitiativen derzeit Sturm laufen. In anderen Bundesstaaten wie Pennsylvania und Ohio haben sich die Regierungen hingegen geweigert, Subventionen für AKWs zu zahlen, so dass in diesen Staaten mehrere Atomreaktoren vor dem baldigen Aus stehen.

Parallel zur Abschaltung alter Reaktoren werden in den USA seit Jahrzehnten praktisch keine neuen mehr gebaut. Zwischen 1996 und 2016 ging kein einziger Reaktor mehr ans Netz. 2016 wurde, nach mehr als 40 Jahren Bauzeit und einer Kostenexplosion von 5,7 Milliarden US-Dollar Mehrkosten, ein neuer Reaktor am AKW Watts Bar in Tennessee in Betrieb genommen. Die Triebkraft hinter diesem Neubau dürfte weniger die zivile Energieproduktion gewesen sein als vielmehr die Herstellung von militärisch nutzbarem Tritium für das US-Atomwaffenprogramm (siehe IPPNW Atomenergie-Newsletter von November 2016). Die Konstruktion von zwei Reaktoren am AKW Summer in South Carolina wurde im Juli 2017 beendet, nachdem es auch hier zu nicht mehr hinnehmbaren Kostensteigerungen gekommen war und die einzigen beiden noch laufenden Neubauprojekte am AKW Vogtle im Bundesstaat Georgia stehen ebenfalls vor enormen Problemen.

Man bemerkt bei den Neubauvorhaben einen deutlichen Unterschied in Bundesstaaten mit einem liberalisiertem Strommarkt wie Conneticut oder New York und Bundesstaaten mit einem reguliertem Strommarkt wie Georgia oder South Carolina. In einem liberalisierten Strommarkt stehen die einzelnen Stromanbieter sowie die Energieformen in Konkurrenz zueinander. Der Strompreis richtet sich nach Angebot und Nachfrage und so tragen die Anbieter ein hohes Risiko für Kraftwerksneubauten. Dies schreckt Investoren ab und führt dazu, dass die durchweg unwirtschaftlichen AKW-Projekte chancenlos sind gegenüber Erneuerbaren Energien und Gaskraftwerken. In eine regulierten Strommarkt hingegen besitzen die Energieunternehmen eine Monopolstellung und können über den willkürlich festgesetzten Strompreis Konstruktionskosten für neue Kraftwerke an die Stromkunden weitergeben ohne selber das finanzielle Risiko zu tragen.

Was das im konkreten Fall bedeutet, lässt sich sehr gut am Beispiel des Bundesstaats Georgia aufzeigen. Der Staat hat einen regulierten Strommarkt und der Stromanbieter Georgia Power besitzt ein Monopol über die Stromproduktion. Die staatliche Georgia Public Service Commission hat die Aufgabe, den Strompreis entsprechend der Marktsituation anzupassen und darauf zu achten, dass Anbieter einen „vernünftigen“ Profit durch ihre Investitionen erwarten können. 2013 wurde mit dem Bau von zwei neuen Reaktoren am AKW Vogtle in Waynesboro, Georgia begonnen. Fertig gestellt werden sollten die Reaktoren ursprünglich 2016 – nun wird eine Fertigstellung im Jahr 2021 angepeilt. Die Kosten für die Reaktoren wurden ursprünglich auf 11,5 Milliarden US-Dollar geschätzt, haben sich aber mittlerweile auf über 25 Milliarden verdoppelt. Bereits jetzt hat der Bau der beiden Atomreaktoren für die rund 2,5 Millionen Kunden von Georgia Power zu einer Erhöhung des Strompreises um 5% geführt. Es wird damit gerechnet, dass der Strompreis nach Fertigstellung der Reaktoren um insgesamt 10% ansteigen wird. Die Stromkunden subventionieren somit den Bau von Atomreaktoren, ohne dass wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden oder Erneuerbare Energieformen als Alternativen geprüft werden. Gleichzeitig werden steuerliche Subventionen der Bundesregierung in Washington und die Festlegung von Mindestabnahmemengen erwartet, ohne die auch die neuen Reaktoren in Georgia auf dem Strommarkt wirtschaftlich nicht überlebensfähig wären. So hat die Regierung in Georgia bereits angekündigt, das Bauvorhaben abzubrechen, wenn Subventionen der Bundesregierung nicht genehmigt werden. Ähnlich sieht die Situation in South Carolina aus, einem weiteren Staat mit reguliertem Strommarkt, wo der Bau der beiden Reaktoren am AKW Summer zu einer Steigerung des Strompreises von 18% führte – und das, obwohl sie jemals fertig gestellt wurden und das Bauvorhaben mangels wirtschaftlicher Perspektiven 2017 eingestellt wurde.

Die Probleme mit den AKW-Neubauten in South Carolina und Georgia führten nicht nur zu steigenden Strompreisen für die Verbraucher, sondern bereiteten auch dem weltweit wichtigsten Reaktorhersteller Westinghouse große Verluste. Insgesamt 9 Milliarden US-Dollar soll das Traditionsunternehmen allein durch diese beiden Bauvorhaben verloren haben und musste im März 2017 Insolvenz anmelden – ein sinnbildhaftes Fanal für die US-Atomindustrie und ihren Traum von einer „Atomaren Renaissance“.

 

Dr. med. Alex Rosen

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Materialien

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Statement von Dr. Angelika Claußen "Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie – zivil wie militärisch"

Titelfoto: Stephi Rosen
IPPNW-Forum 174: Der unvollendete Ausstieg: Wie geht es weiter für die Anti-Atom-Bewegung?
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