Bündnis-Pressemitteilung vom 4. November 2024

Kritik an Antisemitismus-Resolution

Zivilgesellschaftliche Initiative unterstützt Alternativvorschlag

Als Reaktion auf den Resolutionsentwurf "Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken" und das intransparente und undemokratische Verfahren seiner Entstehung ist eine breit getragene zivilgesellschaftliche Initiative entstanden. Die seit Monaten geäußerte Kritik von Jurist*innen, Jüd*innen und Juden sowie israelischen Menschenrechtsorganisationen, Wissenschaft und Kultur wurde in konkrete Alternativvorschläge übersetzt, die nun breite Unterstützung erfahren. Diese sprechen sich für inklusive Wege, Jüd*innen und Juden zu schützen, aus und fordern eine öffentliche Debatte über den richtigen Umgang mit dem wichtigen Thema, anstelle einer schnellen und intransparenten Abstimmung.

Ohne Rücksicht auf die Kritik von jüdischen Intellektuellen, israelischen Menschenrechtsorganisationen und einem breiten Appell aus der Zivilgesellschaft, ohne Rücksicht auf die schwerwiegenden Zweifel führender Jurist*innen an der Verfassungsmäßigkeit, ohne Rücksicht auf die Sorgen von Organisationen um ihre internationale Arbeit, ohne Rücksicht auf Angebote aus Kultur und Wissenschaft zur Entwicklung eigener Programme zur Bekämpfung von Antisemitismus, ohne Berücksichtigung von Alternativvorschlägen aus der Wissenschaft und ohne Beteiligung der eigenen Parteimitglieder im Bundestag setzen die Fraktionsspitzen der Ampelregierung und der CDU/CSU in einer Resolution zum Schutz jüdischen Lebens auf Repression statt Dialog.

Am Freitag, den 1.11.2024, haben sich nach einem Bericht im Spiegel die Fraktionsspitzen der Ampel-Regierung sowie der CDU/CSU - unter Ausschluss ihrer eigenen Fraktionen - auf eine Resolution mit dem Titel "Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken" geeinigt. Sie setzten damit ein besorgniserregendes Zeugnis zum Zustand unserer Demokratie. Ein im Sommer geleakter Entwurf wurde für Inhalte und Verfahren vehement kritisiert; wiederholt wurde auf Transparenz gedrungen. Gesprächsangebote an die Politik wurden jedoch fast vollständig ignoriert. Nicht einmal die Abgeordneten der beteiligten Parteien wussten vom Inhalt der Gespräche unter den Fraktionsvorsitzenden.

In dieser Situation legte eine diverse Gruppe von sechs Wissenschaftler*innen (Ralf Michaels, Jerzy Montag, Armin Nassehi, Andreas Paulus, Miriam Rürup und Paula-I. Villa Braslavsky) Anfang September den Verhandelnden alternative Formulierungsvorschläge sowie eine Einordnung der geleakten Resolutionsfassung vor und veröffentlichte diese am 23. Oktober 2024 in der FAZ. Ihr Motto: Konsens statt Kompromiss. Ihre Ziele: Integration jüdischer Pluralität, Vereinbarkeit mit Grundgesetz und Völkerrecht, Fokus auf Eigenverantwortlichkeit statt Repression.

Auf diesem Vorschlag aufbauend haben sich bis Sonntag, den 3.11.2024, bereits über 1400 Stimmen aus der Zivilgesellschaft gemeldet, um die längst überfällige öffentliche Debatte einzufordern. Sehr verschiedene prominente Stimmen aus Politik, Kunst, Kultur und Wissenschaft begrüßen die vorgeschlagenen Formulierungen, bekennen sich zu einem anderen, inklusiven Modell des Schutzes von Minderheiten und der Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus, und bekräftigen ihren Wunsch nach einer offenen Debatte über die geplante Resolution und ihre Alternativen.

Unterzeichnende dieses Aufrufs fordern, dass der Bundestag diesen undemokratisch verhandelten Entschließungsentwurf so nicht verabschiedet und setzen sich stattdessen dafür ein, dass die alternativen Formulierungsvorschläge aufbauend auf weiteren öffentlich geführten Debatten in die Diskussion einbezogen werden. Denn sie beunruhigt, nicht erst, aber verstärkt seit dem Aufstieg der AfD und dem 7.10.2023 der Anstieg von antisemitischen, antimuslimischen, rassistischen, misogynen und queerfeindlichen Entwicklungen in unserem Land. 

Die formulierten Vorschläge erscheinen daher als wertvoller Ausgangspunkt für die wichtige Debatte darüber, wie Staat und Zivilgesellschaft jüdisches Leben in Gänze und im Rahmen des Rechts schützen können, ohne Minderheiten gegeneinander auszuspielen, indem sie: 

  • Demokratisches Miteinander, Dialog, Bildung und Aufklärung als oberstes Gut für die Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung ansehen,
  • die Menschenwürde aller Menschen anerkennen, diskriminierte Bevölkerungsgruppen nicht gegeneinander ausspielen und damit einen realen Minderheitenschutz zulassen,
  • Diskriminierungsstrukturen in ihren intersektionalen Verflechtungen in den Blick nehmen und ihnen entgegensteuern,
  • auf Eigenverantwortung und Mitgestaltung setzen,
  • grundgesetzkonform sind, 
  • statt auf unsichere Definitionen auf konkrete Handlungen (Sensibilisierung, Förderung, Bildung, Reform des AGG, etc.) setzen,
  • ein breites Bewusstsein für die Notwendigkeit politischer Bildung und Strukturarbeit schaffen 

und damit nachhaltig jüdisches Leben ebenso wie das anderer marginalisierter Gruppen schützen.

Zu den Unterzeichner*innen gehören neben der IPPNW Deutschland, Organisationen wie Amnesty International Deutschland, European Media Art Festival, Forum Ziviler Friedensdienst e.V., medico international, der Migrationsrat Berlin, Oxfam Deutschland, pax christi Deutsche Sektion, Weltfriedensdienst e.V., das Wissenschaftskolleg zu Berlin oder der Vorstand der FG Geschlechterstudien / Gender Studies sowie prominente Vertreter*innen des öffentlichen Lebens.

Pressekontakt bei der IPPNW:
Angelika Wilmen, IPPNW-Friedensreferentin, Tel. 030 / 698074 - 13, Email: wilmen[at]ippnw.de

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