Gefährliche Atom-Fantasien

Warum die neuen Atomkraftwerke einer internationalen Atom-Allianz nur Luftschlösser sind, aber dem Klima schaden

„Die Atomkraft ist zurück“, verkündet Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron am 3. Dezember 2023 in Dubai. Ort und Zeitpunkt sind nicht zufällig gewählt. Macron nutzt die Weltklimakonferenz (COP28) als Bühne für seinen Presseauftritt. Gerade haben 22 Staaten eine Verpflichtungserklärung unterzeichnet, wonach sie die globalen Kapazitäten des Atomenergiesektors bis 2050 verdreifachen wollen. Auch wenn die Erklärung rechtlich keine Bedeutung hat und die Atomindustrie aktuell weit davon entfernt ist, auch nur bestehende Kapazitäten zu erhalten, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit ist Macron auf der COP28 gewiss. Die Nachricht von der Rückkehr der Atomenergie geht um die Welt.

Wenige Monate später, im März 2024, folgt der nächste medienwirksame Auftritt. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) veranstaltet in Brüssel den ersten Atomgipfel. Das Ganze ist eine große Werbeveranstaltung, die Atomkraft als Heilmittel gegen Klimawandel verkauft. „Atoms for Net Zero“ nennt die IAEA ihre Kampagne, mit der sie die Atomindustrie wiederbeleben will. Sie wirkt. Rund 30 Staaten verpflichten sich im Zuge des Gipfels, sich gemeinsam dafür einzusetzen, „das Potenzial der Nuklearenergie voll auszuschöpfen“. Dabei gehe es nicht nur darum, neue Atomkraftwerke zu bauen, sondern auch Laufzeitverlängerungen für alte Reaktoren zu erwirken. Dies sei der Weg zu Klimaschutz und Energieunabhängigkeit, so das Versprechen. Zugleich fordert die neue Atom-Allianz die Weltbank auf, Atomprojekte verstärkt zu unterstützen und reklamiert, die Entwicklungsbanken würden „andere alternative Energieträger“ bislang bevorzugt behandeln. Die vorsichtigen Formulierungen sind alles andere als harmlos. Sie zielen auf öffentliche Klimaschutzgelder ab und sind somit eine direkte Kampfansage an die Erneuerbaren Energien.

AKWs laufen nur mit Subventionen

Wie so oft, geht es um Geld. Die Atomindustrie braucht viel davon. Schließlich betreibt sie die teuerste Form der Energieerzeugung. Der Neubau eines Atomkraftwerkes kostet im internationalen Durchschnitt etwa 10 Milliarden Euro. Die Schätzungen für Instandhaltungskosten im Zuge von Laufzeitverlängerungen reichen von hunderten Millionen Euros bis zu mehreren Milliarden. Vor dem Hintergrund, dass das Durchschnittsalter der weltweiten Reaktorflotte bei 31,5 Jahren liegt, braucht die Atomindustrie enorm hohe Investitionssummen, will sie den Sektor am Leben halten. Dafür kommen in erster Linie öffentliche Gelder infrage. Denn Finanzunternehmen wie etwa die weltweit größte Finanz-Ratingagentur Standard & Poor's warnen private Anleger*innen vor Investitionen in Atomkraft. AKW-Projekte lohnen sich seit jeher nur, wenn Staaten dahinter stehen, die das Ganze mit Steuergeldern und vollen Händen subventionieren.

Die IAEA ist eine Werbeagentur für Atomkraft

Mit Klimaschutz hat die „Atoms for Net Zero“-Initiative der IAEA nichts zu tun. Die Atomenergiebehörde, die eine Einrichtung der Vereinten Nationen ist, folgt lediglich ihren Grundstatuten, wonach sie neben ihren Überwachungs- und Inspektionsaufgaben verpflichtet ist, die weltweite Verbreitung der Atomenergie zu fördern. Die Behauptung, Atomenergie sei klimafreundlich, beruht dabei lediglich auf dem Argument, dass AKW-Schornsteine keine CO2-Emissionen ausstoßen. Diese Betrachtung greift nicht allein deshalb zu kurz, weil Atomkraftwerke in ihrem Lebenszyklus deutlich höhere Emissionen verursachen als erneuerbare Energien. Vielmehr geht es auch um eine realsitische Einschätzung des Potenzials. Aktuell liegt der Anteil des Nuklearsektors an der globalen Stromerzeugung bei unter zehn Prozent. Bezogen auf die weltweite Netto-Energiemenge macht Atomkraft nur einen Bruchteil von etwa zwei Prozent aus. Das heißt, Atomenergie hat global betrachtet weder eine Relevanz für die Energieversorgung noch für den Klimaschutz. Sie ist eine Nischentechnologie, die noch dazu schrumpft, wie unter anderem die jährlichen Statistiken und Analysen des World Nuclear Industry Status Reports aufzeigen.

Atomkraft gefährdet den Klimaschutz

Die Vorstellung, die Atomindustrie könnte ihre Kapazitäten innerhalb der nächsten 26 Jahre verdreifachen, ist eine gefährliche Illusion. Denn sie stellt sich in Konkurrenz zu den erneuerbaren Energien und dem notwendigen Umbau unseres Energiesystems. Dabei droht sie zwei wichtige Ressourcen zu verschwenden, die im Kampf gegen den Klimawandel begrenzt zur Verfügung stehen: Zeit und Geld.

Gelder, die in den Erhalt und in den Ausbau der nuklearen Energiekapazitäten fließen, fehlen für die Transformation des Energiesektors. Das betrifft auch die Milliardensummen, die Staaten in die Erforschung vermeintlich neuer Reaktorkonzepte und in die Kernfusion stecken. Bei den „neuen“ Reaktortypen handelt es sich um Technologie-Linien, die bereits in den 1950er Jahren erforscht, entwickelt und aus technischen Gründen wieder verworfen wurden. Sollten sie überhaupt jemals Serienreife erlangen, für den Klimaschutz kämen sie zu spät. Ebenfalls ist keine der diskutierten Reaktortechniken in der Lage, das Atommüllproblem zu lösen, auch wenn das über die Medien bis in den Bundestag hinein kolportiert wird. Wenn von AKW-Neubau-Projekten die Rede ist, handelt es sich in erster Linie um die herkömmliche Druckwasser-Reaktortechnik mit allen bekannten Folgen und Sicherheitsrisiken. Planung und Bau eines Atomreaktors dauern durchschnittlich 20 Jahre. Autokratische Staaten wie China oder Russland setzten AKW-Projekte schneller um – dafür verzichten sie auf demokratische Prozesse und machen Abstriche bei der Sicherheit. Grundsätzlich sind AKW-Bauprojekte mit hohen Risiken verbunden. So ist der einzige Reaktor-Neubau, den das Atomland Frankreich in den letzten Jahrzehnten gebaut hat, bereits seit zwölf Jahren in Verzug. Die Kosten sind gegenüber der ursprünglichen Planung um etwa zehn Milliarden Euro gestiegen. In Großbritannien ist die Situation ähnlich. Die einzige Anlage in Bau, Hinkley Point C, ist ein Desaster. Kostenexplosionen und extremer Zeitverzug sind beim Bau von Atomkraftwerken keine Ausnahme, sondern die Regel. Auch Laufzeitverlängerungen sind mit Unsicherheiten verbunden; sie sind zudem ein großes Sicherheitsrisiko, da der Reaktorkern, der enormen Belastungen ausgesetzt ist, nicht austauschbar ist.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Initiative der Atom-Allianz wie Realitätsverweigerung. Sie dient jedoch dem Versuch, Klimaschutzgelder in die Atomkanäle umzuleiten, um eine überlebte Technik zu retten. Dennoch verfangen die leeren Versprechen in der Öffentlichkeit und in der Politik. Denn sie suggerieren, mit Atomkraft seien unsere Energieprobleme in Zukunft gelöst. Das mag einfacher klingen als Veränderung – es ist aber eine Lüge.

Klimaschutz geht anders

Zahlreiche wissenschaftliche Studien und Analysen zeigen, dass es machbar und sinnvoll ist, den Energiebedarf auch eines Industrielandes wie Deutschland zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien zu decken. Der Umbau des Energiesektors ist komplex und bedarf neben dem Ausbau erneuerbarer Energiequellen und der Erweiterung von Speicherkapazitäten auch Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und -suffizienz. All dies lässt sich auf die Kilowattstunde gerechnet um ein Vielfaches schneller und kostengünstiger umsetzen als der Bau von Atomkraftwerken. Von Energieunabhängigkeit kann im Zusammenhang mit Atomkraft ebenfalls nicht die Rede sein. So haben die USA und die EU für den Nuklearsektor bislang keine Sanktionen gegen Russland verhängt, weil sie von dessen Urangeschäften abhängig sind. Auch ohne den Verweis auf das ungelöste Atommüllproblem und die untragbaren Sicherheitsrisiken ist Atomkraft weder Zukunfts- noch Brückentechnologie.

Angela Wolff, Referentin Atomausstieg, Energiewende und Klima

zurück

Tarifportal der Umweltverbände

Materialien

Titelfoto: Stephi Rosen
IPPNW-Forum 174: Der unvollendete Ausstieg: Wie geht es weiter für die Anti-Atom-Bewegung?
auf ISSUU lesen  |  PDF  |  im Shop bestellen

Risiken und Nebenwirkungen der Atomenergie
Risiken und Nebenwirkungen der Atomenergie
pdf-Datei herunterladen

Im IPPNW-Shop bestellen

Navigation