Den neuen Ton in der Gentechnik hat Bundeskanzler Schröder Ende vergangenen Jahres mit einem programmatischen Beitrag für die Zeitung "Die Woche" eingleitet. Darin wandte sich Schröder provokativ gegen "ideologische Scheuklappen" und "absolute Verbote" in der Gentechnikdebatte. Schröder rückte in seiner Abwägung der Chancen und Risiken hauptsächlich die forschungspolitischen, ökonomischen und Standortargumente in den Vordergrund. Entscheidend für den Kanzlerbeitrag war wohl das kurz zuvor geäußerte Bekenntnis des britischen Regierungschefs Tony Blair, die Genwissenschaft massiv zu fördern - insbesondere die Stammzellenforschung und das sogenannte therapeutische Klonen - um damit den Spitzenplatz in Europa zu untermauern.
Das konnte den deutschen Kanzler wohl nicht ruhen lassen. Zumal die Briten zu diesem Zeitpunkt bereits den ersten Schritt getan hatten, um das "therapeutische Klonen" zu erlauben. Das ist in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Beim "therapeutischen Klonen" werden menschliche Embryonen alleine zu dem Zweck erzeugt, um an embryobale Stammzellen heranzukommen. Dafür müssen die Embryonen vernichtet werden. In diesen Stammzellen sehen viele Forscher ein enormes Potential, um große Leiden wie Morbus Alzheimer, Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen entscheidend lindern oder sogar heilen zu können.
Früher geplant: strenges Regelwerk
Allerdings hatte sich Andrea Fischer, die Anfang des Jahres wegen der BSE-Krise zurückgetreten war, stets für die Beibehaltung der strengen deutschen Gesetze und Standards ausgesprochen. Zum Leidwesen großer und einflussreicher Teile der SPD. Fischer wollte noch in diesem Jahr ein sogenanntes Fortpflanzungsmedizingesetz vorlegen, das das strenge Embryonenschutzgesetz erstens fortschreiben, zweitens an die neuen technischen Möglichkeiten anpassen und drittens die Fragen der Biomedizin - vom Klonen über Gentests an Embryonen und Embryonenforschung - in einem einzigen sinnvoll aufgebauten Regelwerk zusammenfassen sollte. Allerdings blies Fischer da schon scharfer Wind entgegen. Zum einen von der Vorsitzenden der Bioethik-Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, Margot von Renesse (SPD), die sich gegen das absolute Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) aussprach. Die PID wäre, wenn Fischer Ministerin geblieben wäre, das wichtigste biomedizinische Regelungsthema der laufenden Wahlperiode gewesen. Bei dieser Methode wird im Reagenzglas erzeugten Embryonen eine Zelle abgetrennt und diese genetisch untersucht. Der Test gibt Aufschluss, ob bei dem Embryo ein Gendefekt vorliegt. Ist dies der Fall, wird der Embryo der Frau nicht in die Gebärmutter eingepflanzt, sondern weggeworfen. Das deutsche Gesetz verbietet dieses Verfahren, weil in diesem frühen Stadium der Zellentnahme für die Genuntersuchung aus jeder einzelnen Zelle noch ein kompletter Mensch erwachsen kann. Diese eine Zelle gilt deshalb als Embryo. Aber auch der Zweck des Embryonenschutzgesetzes wird mit der PID berührt. Denn laut Gesetz ist die Herbeiführung einer Schwangerschaft bei der künstlichen Befruchtung das alleinige Ziel; bei der Präimplantationsdiagnostik wird im negativen Fall ein Embryo weggeworfen und eben nicht eine Schwangerschaft herbeigeführt. Aber auch die Bundesärztekammer hatte sich bereits für eine begrenzte Zulassung der PID in begründeten Ausnahmefällen ausgesprochen.
Und nun: Des Kanzlers Coup
Die neue Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) gilt als "Schröder-Frau". Sie als Ministerin installiert zu haben, wird im Umfeld des Kanzler als dessen "Coup" dargestellt. Daraus kann man ableiten, dass Schmidt sicherlich Schröders Gen-Vorstellungen exekutieren wird. Die ersten Personalentscheidungen im neu geführten Ministerium deuteten dies auch prompt an. Die anerkannte Gentechnik-Expertin und Abteilungsleiterin für Gentechnik, Ulrike Riedel (Grüne), ist abgelöst worden. Sie war wesentlich an den restriktiven Vorstellungen Andrea Fischers beteiligt. Sie hat die inhaltlichen Positionen des Ministeriums erarbeitet und vorformuliert sowie Fischer in entscheidenden Sachfragen positioniert. Neue Staatssekretärin im Ministerium ist die Frankfurter SPD-Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch, die schon gleich flugs und ohne Umschweife erklärte, ein Medizinfortpflanzungsgesetz werde es in dieser Wahlperiode nicht mehr geben - wenn überhaupt noch eines nötig sei. Auch der Staatssekretär im Wissenschaftsministerium, Wolf-Michael Catenhusen (SPD), sieht nun mit der neuen Ministerin "natürlich" eine Akzentverschiebung in der Gentechnikpolitik der Bundesregierung.
Bundesärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe warnte denn auch prompt vor einem "Kurswechsel" in der Biopolitik. Eine Entscheidung zugunsten des "therapeutischen Klonens" sei aus ethischer Sicht nicht zu rechtfertigen. Denn dafür werde ein "Mensch in einem sehr frühen Stadium benutzt und getötet, um damit einem anderen Menschen zu nutzen". Die Debatte um das so genannte therapeutische Klonen wertet der Ärztefunktionär als ein Zeichen für das "generelle Aufweichen des Lebensschutzes" in Deutschland. Auch das Mitglied der Bioethik-Enquetekommission des Deutsches Bundestages, die Frankfurter Soziologie-Professorin Therese Neuer-Miebach, sieht einen Umschwung vonstatten gehen. Sie äußerst die Befürchtung, dass jetzt der "Mainstream" in der SPD Oberwasser gewinne. Wenn Ulla Schmidt wirklich das von Andrea Fischer geplante Fortpflanzungsmedizingesetz streiche, verzichte sie damit auf den "großen Wurf". Stattdessen, fürchtet Neuer-Miebach, werde fortan wohl versucht, mit technokratischen Entscheidungen "an verschiedenen kleinen Punkten Türen zu öffnen".
Die Unsicherheit und der Zick-Zack-Kurs der Schröder-Regierung in der Gentechnikpolitik zeigen aber auch, wie hart umkämpft dieses thematische Feld derzeit ist. Hatte Schröder anfangs seine Haltung zum britischen Vorstoß zur Legalisierung des so genannten therapeutischen Klonens zumindest nicht eindeutig fixiert, schob er später nach, dass die Forschung an erwachsenen Stammzellen Priorität haben solle. Dafür werden nämlich keine menschlichen Embryonen benötigt, weil diese so genannten adulten Stammzellen aus dem Organismus eines jeden Menschen isoliert werden können. Unklar ist derzeit aber noch, welches therapeutische Potenzial im Vergleich mit embryonalen Stammzellen sie haben.
Auch innerhalb der Enquete-Kommision des Deutschen Bundestages wird über derlei Fragen kontrovers diskutiert. Da zwischen dem Klon-Beschluss der Briten und Schröders Zeitungsartikel gegen "ideologische Scheuklappen" einerseits und der nächsten Sitzung der Enquete andererseits ein recht langer Zeitraum lag, konnte sich das Experten- und Politikergremium nicht sofort mit dem "therapeutischen Klonen" befassen. Deshalb ergriff eine Gruppe von acht Sachverständigen die Initiative und wandte sich in einem öffentlichen Aufruf in der Frankfurter Rundschau gegen die "Verroh(stofflich)ung des Menschen. Zu der Gruppe gehört unter anderem die Frankfurter Soziologin Therese Neuer-Miebach, der Gladbecker Chefarzt und Publizist Linus Geisler, die Tübinger Molekularbiologin und Philosophin Sigrid Graumann und der Mainzer Katholische Theologe Johannes Reiter.
In ihrem Beitrag fordern die Experten die Bundesregierung und den Bundestag auf, das "therapeutische Klonen" als eine "moralische Grenzüberschreitung" zu "missbilligen". Die Unterzeichner weisen darauf hin, dass dieselbe Technik des "therapeutischen Klonens" natürlich auch für das reproduktive Klonen eingesetzt werden könne, also für das Erzeugen von Menschen. Das Herstellen und Benutzen von menschlichen Embryonen überschreite eine ethische Grenze. Damit gehe auch eine "folgenschwere Veränderung des Selbstverständnisses von Menschen" einher.
Die acht Unterzeichner legen in ihrer Stellungsnahme besonderen Wert auf einen überlicherweise vernachlässigten wichtigen Aspekt des "therapeutischen Klonens". Denn als Voraussetzung für den Einsatz der Technik ist die Gewinnung von menschlichen Eizellen "in bisher unbekanntem Ausmaß" nötig. Denn die Zellkerne der Spenderzelle müssen für das Klonen in eine zuvor entkernte Eizelle transferiert werden, damit ein Embryo entstehen kann, aus dem dann die begehrten Stammzellen isoliert werden können. "Eine Eizellgewinnung", schreibt die Gruppe, "ist jedoch ein invasiver, medizinisch keineswegs risikofreier Eingriff, der im Falle der fremdnützigen Verwendung für Dritte nicht mit einem Nutzen für die 'Spenderinnen' selbst gerechtfertigt werden kann."
Das "therapeutische Klonen" birgt nach Ansicht der Experten deshalb die Gefahr, dass Frauen in die Rolle von "Rohstoffliferantinnen" gedrängt und damit in erster Linie nicht mehr als Patientin, sondern als Ressourcenproduzentin wahrgenommen" werden würden. Zudem werde durch Wissenschaftler suggeriert, dass durch die Stammzellenforschung in absehbarer Zeit neue Therapien für "konkrete, bislang nicht oder unzureichend behandelbare Krankheiten" angeboten werden könnten. Die Experten kommen aber zu dem Schluss: "Die in Aussicht gestellten therapeutischen Effekte beim Menschen sind jedoch rein spekulativer Natur, der bisherige Stand der Forschung basiert nahezu ausschließlich auf tierexperimentellen Befunden (Mäuse) und erlaubt keine Voraussagen über konkrete therapeutische Optionen." Die Enquete-Mitglieder resümieren ihre Überlegungen: "Es widerspricht aber der wissenschaftlichen Redlichkeit, Hoffnungen für schwerkranke Patienten zu wecken, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht eingehalten werden können, um die Etablierung eines neuen Forschungsfeldes politisch durchzusetzen. Genau das ist aber in England geschehen."
Das britische Beispiel hat aber auch gezeigt, dass sachliche, ethische und wissenschaftliche Argumente nicht immer den Ausschlag geben. Denn bei einer Probeabstimmung im Parlament, hatte es noch eine Mehrheit gegen das "therapeutische Klonen" gegeben. Innerhalb nur weniger Tage hatte sich dann aber das Meinungsklima grundlegend geändert. Welche Gründe auch immer dafür ausschlaggebend gewesen sein müssen.
Michael Emmrich
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