Statt Sanktionen und Krieg brauchen die Menschen im Irak und besonders die Kinder unsere Hilfe - damit hat die IPPNW im Vorfeld des Irak-Krieges geworben. Dem Krieg, der wie ein "Mega-Pathogen" auf alle betroffenen Menschen wirkt, haben wir unser ärztliches Handeln für die Gesundheit entgegengestellt. Jeweils 2002, 2003 und 2004 veröffentlichte die internationale IPPNW Studien zu den Auswirkungen des Krieges. Sie sind erschienen unter dem Namen "Kollateralschaden" und fanden weltweit Beachtung. Krankheit und Tod als Folgen des Krieges für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen war und ist wichtige Friedensarbeit, gerade für uns ÄrztInnen.
Aktionen gegen den Krieg und konkrete Hilfe müssen miteinander verbunden sein, denn das macht uns glaubwürdig. So haben wir mit Hilfe der Pace- Fahnen, Aktionen, Konzerten u.ä. Spenden gesammelt für die IPPNW-Kinderhilfe, um dem Willen der Friedensbewegung für konkrete und mögliche Alternativen Ausdruck zu verleihen. Unser Projekt Irak-Kinderhilfe wurde von der Friedensbewegung gerne angenommen, etwa 250.000 Euro Spenden gingen ein.
Was haben wir bisher damit gemacht? Wie haben wir unser Versprechen, etwas für die Gesundheit der Kinder im Irak zu tun, eingehalten? Wie haben wir die begonnene Verknüpfung von politischer Aufklärungsarbeit zur Kriegsverhütung und die konkrete Hilfe für die Betroffenen weiter fortgeführt?
Das Ärzteblatt veröffentlichte im Juli letzten Jahres einen Bericht der IPPNW: Irak- Medizin unter Kriegsbedingungen. Es gab Presseerklärungen zum Einsatz von Folter sowie das Symposium "Folter und Humanität" im November 2004 in Berlin, wo Kollegen aus dem Irak ihre Erfahrungen bez. Folter unter Saddam Hussein und Folter jetzt dargestellt haben.
Mit einem Teil der Spendengelder haben wir unbürokratisch Medikamente, Heil- und Hilfsmittel in Krankenhäusern Akut-Hilfe geleistet. Die Hilfslieferungen dauern trotz Kriegszustand weiter an. Ein weiterer Teil soll für die Entwicklung von mittelfristigen Projekten zur Verbesserung der Gesundheit verwandt. Dazu haben wir uns zwei von vielen möglichen Bereichen herausgesucht:
1. Traumatisierte Kinder - Aufbau einer Kinder- und Jugendpsychiatrie im Irak
2. Umweltkontaminationen infolge der Kriege - Unterstützung von Lehre und Forschung im Irak im Bereich Umweltmedizin
1. Traumatisierte Kinder - Aufbau einer Kinder- und Jugendpsychiatrie im Irak
Ausgangslage:
Es gibt keine eigenständige Kinder- und Jugendpsychiatrie im Irak. Etwa 60-70
Erwachsenenpsychiater im ganzen Land betreuen die Kinder- und Jugendlichen mit. Die psychiatrische Arbeit ist fast ausschließlich und einseitig pharmatherapeutisch ausgerichtet. Psychotherapeutische und soziotherapeutische Konzepte sind nicht verbreitet.
Die Bevölkerung des Landes hat nach ca. 25 Jahren Krieg (seit 1980) massiv gelitten.
Bisher gibt es wenige konkrete Studien über die psychische Lage der 12 Millionen Kinder und Jugendlichen im Irak.
Eine Ausnahme ist dabei die Studie des Projekts "warchildcanada", die im Januar 2003 Interviews mit 85 Kindern und Jugendlichen im Alter von 4 bis 18 Jahren in Bagdad, Kerbela und Basra durchführte. Zusätzlich besuchten sie zwei Schulen und ließen 232 Schulkinder zwischen 10 und 16 Jahren Fragebögen ausfüllen.
Danach gefragt, welche der drei Gefühle am stärksten sei: Wut, Traurigkeit oder Angst, antworteten die meisten Kinder "Angst". Bei der Auswertung der Fragebögen ergab sich, dass die Hälfte der Kinder an Schlafstörungen und Alpträumen, und 40 % der Ansicht waren, das Leben sei nicht mehr lebenswert. Fast die Hälfte der Kinder fühlte sich sehr einsam.
Unser Projekt:
In Bagdad soll eine Ambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie errichtet werden, die in enger Kooperation mit der psychiatrischen Abteilung der Universität Al- Mustansariya und dem psychiatrischen Akut-Krankenhaus von Bagdad steht. Die Ambulanz wird stadtteilbezogen arbeiten und sowohl als psychotherapeutische Ambulanz für Kinder und Jugendliche arbeiten sowie Fortbildung zu psychischen Störungen für Lehrer/ Erzieher anbieten.
Eine zweite Ausrichtung ist der Aufbau einer universitären Konsiliarpsychiatrie. Diese Projektidee wurde vom Verein "Children of Bagdad" konzipiert. Der Verein wurde von Frankfurter IPPNWlerinnen, irakischstämmig, die größtenteils Kinder-und Jugendpsychiaterinnen sind, gegründet. Weitere Mitglieder sind inzwischen dazu gekommen. Die IPPNW-Kinderhilfe, vertreten durch Prof. Gottstein und Angelika Claußen für den IPPNW-Vorstand sind ebenfalls Mitglieder. Es wurde ein Projektantrag an Unicef geschickt, um die langfristige Finanzierung über mindestens 5 Jahre zu sichern.
Parallel zu diesem Projekt wurde mit einem Ausbildungsprojekt begonnen: Ein Reihe von mehrwöchigen Fortbildungskursen, in denen die theoretischen und praktischen Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie vermittelt werden. Der erste 14-tägige Kurs wird im Februar dieses Jahres für 25 TeilnehmerInnen in Damaskus angeboten. Projektleiter ist Prof. Riedesser von der Universität Hamburg, ebenfalls IPPNW-Mitglied. Den TeilnehmerInnen werden ebenfalls Praktikumsmöglichkeiten in Hamburg und am Klinikum Darmstadt angeboten. In Darmstadt arbeitet Dr. Fahri Khalik, irakischstämmiger Kinder- und Jugendpsychiater sowie Psychotherapeut. Er wird auch einen wichtigen Teil bei dem Ausbildungsprojekt übernehmen. Der unermüdliche Organisator ist Dr. Najah Rahman aus Frankfurt. Ohne diese beiden Kollegen hätten wir das Projekt wohl nicht geschafft.
2. Umweltkontaminationen nach den Kriegen im Irak - Aufbau von Lehre und Forschung im Bereich Umweltmedizin
Ausgangslage:
Sowohl das Umweltmonitoring als auch die epidemiologische Forschung sind im Irak bisher nur mangelhaft entwickelt. Die während drei Kriegen eingesetzten Waffensysteme (Chemiewaffen vor allem im Iran-Irak-Krieg, Uranwaffen während der beiden letzten Golfkriege, In-Brandsetzen der Ölquellen) lassen eine erhebliche Umweltverseuchung als wahrscheinlich vermuten. Hierauf weisen erste Bevölkerungsstudien aus dem Südirak hin, die noch unter Embargobedingungen erhoben wurden. Die bisher durchgeführten Studien sind jedoch mit etlichen konzeptionellen und methodischen Mängeln behaftet, die ihre Validität und Aussagekraft erheblich einschränken.
Im Nachkriegs-Irak sind neue epidemiologische Studien dringend erforderlich, um die Gefahrenzonen präzise zu definieren und die gesundheitliche Gefährdung der Bevölkerung korrekt einzuschätzen.
Auch im Bereich Umweltmedizin will die IPPNW über Bereitstellung von qualifizierten Lehrangeboten helfen. Prof. Hoffmann, Umweltepidemiologe der Universität Greifswald wurde dazu gewonnen, den ersten zweiwöchigen Kurs in Umweltepidemiologie zusammen mit anderen WissenschaftlerInnen aus Deutschland im Februar 2005 in Amman durchzuführen. 16 TeilnehmerInnen aus Basra, Bagdad und Erbil werden teilnehmen. Wir hoffen, im Verlauf dieser Fortbildung Teams für gemeinsame Forschungen bilden zu können.
Ein wichtiger Punkt wird ein möglicher Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Kinderkrebserkrankungen und des fortgesetzten Einsatzes von Uranwaffen durch die Besatzungsmächte 1991 und 2003 sein.
Angelika Claußen
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