Berliner Erklärung (1990)

Dokumente und Erklärungen

In Berlin treffen sich IPPNW-RepräsentantInnen aus 22 europäischen Staaten und beraten die neue politische Situation nach dem Fall der Berliner Mauer. Sie geben eine "Berliner Erklärung" aus, die an alle Regierungen Europas und der Welt appelliert, das nukleare Wettrüsten zwischen Ost und West zu beenden.

"Wir, die europäischen Repräsentanten aus 22 Staaten der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW), wenden uns mit folgendem Appell an alle Regierungen Europas und der Welt:

Die Berliner Mauer ist gefallen. Der Kalte Krieg zwischen Ost und West nähert sich seinem Ende. Trotz dieser tiefgreifenden und historischen Veränderungen wird das nukleare Wettrüsten zwischen Ost und West unter dem Deckmantel von "Modernisierungs"-Programmen fortgesetzt. Durchschnittlich findet weltweit alle acht Tage ein unterirdischer Atombomben-Test statt; das deutet auf das Streben nach immer perfekteren und tödlicheren Instrumenten des Völkermords hin.

Solange Rüstungskontroll-Abkommen mit dem Auftauchen neuer und verheerender Waffen nicht Schritt halten können, wird die Entwicklung von Nuklearwaffen niemals aufhören. Ein Verbot aller Nukleartests bleibt der erste wesentliche Schritt, dieses gefährliche Wettrüsten zu beenden.

Das neue politische Klima hat nicht zur Verringerung der enormen Militär-Ausgaben geführt, die sich dieses Jahr weltweit auf fast eine Billion US-Dollar belaufen werden. Solch ein Aderlaß knapper menschlicher und materieller Ressourcen verhindert die Lösung drängender Probleme.

Die Umwelt-Zerstörung und der sich daraus ergebende Zusammenbruch des Ökosystems verursachen den langsamen Tod unseres Planeten und können, wenn sie über einen längeren Zeitraum anhalten, einem Atomkrieg entsprechen. Während wir unbekümmert das Erbe unserer Kinder verschwenden, spricht die Ungleichheit zwischen den armen und reichen Nationen den elementarsten menschlichen Werten hohn. Wir beenden das Jahrhundert mit weit mehr unendlich armen Menschen, Analphabeten, Flüchtlingen, Verhungernden und Kranken, als wir es begannen. Im Vor-Atomzeitalter waren die menschlichen Ungerechtigkeiten größtenteils zu überleben, wenn auch mit dem Gewissen schlecht vereinbar. Global betrachtet, beschwört die ungerechte Verteilung im Atom-Zeitalter Unheil herauf.

Als Ärzte, die sich moralisch und ethisch der Gesundheit aller Menschen verpflichtet fühlen, verordnen für folgendes "Rezept":

1. Eine sofortige Beendigung aller Nuklearwaffen-Modernisierungen, die flankiert wird von der Einstellung der unterirdischen Atombomben-Versuche.
2. Alle europäischen Regierungen unterstützen die Teststopp-Konferenz der UN dabei, im Januar 1991 das teilweise Teststopp-Abkommen von 1963 in ein vollständiges Teststopp-Abkommen (CBT) umzuwandeln. Das CTB ist zur Einhaltung des Non-Proliferations-Vertrags von 1968 unbedingt notwendig.
3. Die sofortige Entfernung aller Nuklearwaffen aus den nicht-nuklearen Nationen. Europa muss vom Atlantik bis zum Ural eine atomwaffen-freie Zone werden.
4. Die Verringerung aller Militär-Budgets um mindestens 50 %. Mit den freiwerdenden Mitteln soll den Problemen der Gesundheit, der weltweiten Armut und unserer verwüsteten Umwelt begegnet werden.

Die machtvollen Stimmen der einfachen Menschen haben überall in Europa bewiesen, dass eine längst überfällige neue Tagesordnung humaner Prioritäten möglich ist. Als Ärzte sprechen wir im Geiste der Hoffnung und des Optimismus. Nur wenn wir zusammen arbeiten, um den Nuklearismus und Militarismus zu beenden, können wir schließlich beginnen, einen kranken Planeten zu heilen."

Berlin, 14. Januar 1990

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