Atomare Renaissance in Frankreich

16.09.2019 Seit mehr als 15 Jahren spricht die Atomindustrie von einer vermeintlichen „Atomaren Renaissance“, von einer neuen Generation moderner, sicherer, sauberer Atomkraftwerken und von einer goldenen Zukunft für die Kernspaltung. Wie viel Bestand diese Träumereien in der Realität tatsächlich haben lässt sich derzeit nirgendwo so gut beobachten wie in den Wirtschaftsspalten französischer Zeitungen, die den Niedergang des französischen Energiekonzerns EDF begleiten.

EDF ist das Gesicht der europäischen Atomindustrie und einer der weltweit größten Stromproduzenten und Betreiber von Atomkraftwerken überhaupt. EDF gehört aktuell zu rund 84% dem französischen Staat und betreibt 58 Atomreaktoren in Frankreich und ist in zahlreichen anderen Ländern am Energiemarkt beteiligt – so z.B. im Vereinigten Königreich, wo EDF alle 15 britischen Atomreaktoren betreibt. Knapp 2/3 der Stromproduktion stemmt EDF aus Atomkraftwerken, gegenüber nur etwas mehr als 10% aus Erneuerbaren Energien.

In den letzten Jahren machte EDF allerdings vor allem durch negative Schlagzeilen von sich reden. Eine toxische Mischung aus drei wirtschaftlichen Fehlentwicklungen führten zu einem Absturz des Unternehmens an der Börse.

Als erster ist da der stetig steigende Schuldenberg von aktuell mehr als 70 Milliarden Euro bei gleichzeitig einbrechenden Gewinnen. Nach der Pleite des französischen Atomunternehmens Areva übernahm der Staatskonzern EDF 2017 die bankrotte Firma – und mit ihr hohe Schulden und Verpflichtungen. Die Gewinne von EDF brachen derweil ein – von rund 3 Milliarden Euro im Jahr auf mittlerweile nur noch rund 1 Milliarde Euro im Jahr.

Zweitens belasten den Konzern die hohen Investitionskosten. Das aktuelle Durchschnittsalter der EDF-Atomkraftwerke liegt bei 33 Jahren. Seit 2002 ist kein einziges neues Kraftwerk ans Netz gegangen. In den nächsten 5 Jahren wird die Hälfte der 58 EDF-Reaktoren in Frankreich die magische 40-Jahresgrenze erreichen. Für notwendige Baumaßnahmen werden bis 2025 rund 50 Millarden Euro benötigt – und weitere 50 Milliarden bis 2030.

Als drittes plagen EDF die anhaltende Probleme beim neuen Europäischen Druckwasserreaktor (European Pressurised Reactor – EPR). Im finnischen Olkiluoto wird seit 2005 am EPR gebaut. Dieser sollte ursprünglich 2009 in Betrieb genommen werden und den finnischen Steuerzahler 3 Milliarden Euro kosten. Mittlerweile wurde die Inbetriebnahme auf 2020 verschoben, mehr als 10 Jahre später als ursprünglich angesetzt, und die Kosten belaufen sich bereits jetzt auf das dreifache der ursprünglichen Summe.

Das französische Unternehmen Areva, welches den Reaktorbau maßgeblich zu verantworten hatte, ging an diesem Projekt zu Grunde und während der Problemreaktor in Finnland nach der Pleite von Areva aus dem bankrotten Firmengeflecht ausgegliedert wurde, baut EDF an der französischen Nordwestküste in Flamanville seit 2007 einen zweiten EPR. Auch hier haben sich die Kosten mittlerweile verdreifacht, von 3,3 Milliarden auf 11 Milliarden Euro, und auch die projizierte Inbetriebnahme des neuen Meilers im Jahr 2012 entpuppte sich als grobe Fehleinschätzung.

Erst im Juni 2019 stoppte die französische Atomsicherheitsbehörde ASN den Bau in Flamanville erneut und wies EDF an, acht schwer zugängliche und fehlerhafte Schweißnähte am Dampferzeuger des Reaktors zu ersetzen. Damit ist eine Inbetriebnahme vor 2022 gänzlich unrealistisch geworden und weitere hunderte Millionen Euro müssen eingestellt werden. Auch scheinen mindestens vier weitere EDF-Reaktoren in Frankreich von den Schweißnahtproblemen betroffen zu sein, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass weitere Reaktoren vom Netz gehen müssen.

Der Börsenwert des Unternehmens stürzte in kurzer Zeit um mehr als 8% ab. Knapp 3 Milliarden Euro Börsenwert wurden so innerhalb weniger Tage verbrannt – Geld, welches vom französischen Steuerzahler vorgestreckt worden war, wohlgemerkt. Erst 2017 hatte der französische Staat 4 Milliarden Euro Steuergelder in die Firma gepumpt, kurz nachdem der kaufmännische Geschäftsführer von EDF aus Protest über die Fortführung der EPR-Projekte zurückgetreten war.

Bis heute ist unklar, ob die beiden Reaktoren jemals in Betrieb genommen werden können. Dennoch hat EDF bereits das dritte EPR-Projekt begonnen. Diesmal auf Einladung der britischen Regierung, die für mehr als 22 Milliarden Euro zwei neue Atomreaktoren in Hinkley Point C bauen lässt. 2/3 der Investitionen in diesem Projekt werden durch EDF geschultert, der Rest durch das chinesische Staatsunternehmen CGN.

Die französische Regierung hat mittlerweile erkannt, dass das derzeitige Geschäftsmodell von EDF nicht aufrechterhalten werden kann. Erst im März 2019 hatte sich das EU-Parlament  dafür ausgesprochen, dass Investitionen in Atomenergie nicht mit einem Label für „nachhaltige Investitionen“ bzw. „grüne Finanzanlagen“ versehen werden dürfen. Die Reaktion aus Paris erfolgte prompt. Im Juni wurden Pläne bekannt, das Atomgeschäft von EDF in eine Art „bad bank“ auszugliedern (EDF Bleu), einem Unternehmen, welches, komplett verstaatlicht, dem Druck des Marktes entzogen wäre und auf Kosten der Steuerzahler die alternde Flotte französischer Atomreaktoren aufrechterhalten und die EPR Projekte fortführen würde. Die wirtschaftlichen attraktiven Sparten, also vor allem die Erneuerbaren Energien würden hingegen in ein dynamisches neues Unternehmen übergehen (EDF Vert).

Man fragt sich, welches Interesse EDF überhaupt hat, an dem verlustreichen Atomgeschäft festzuhalten, insbesondere da mit dem Rückbau der Atommeiler und der Entsorgung des Atommülls Ewigkeitskosten in ungeahnter Höhe drohen. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der zivilen Atomindustrie lässt sich nur verstehen vor dem Hintergrund des französischen Atomwaffenprogramms.

Nur durch eine robuste zivile Atominfrastruktur ist die ‚Force de frappe‘, die französische nukleare Abschreckung, aufrechtzuerhalten. Die Investitionen in EDF und die EPR-Projekte sind somit vor allem als versteckte Quersubventionen für das militärische Atomwaffenprogramm des Landes zu verstehen. So wird die Rettung von Areva und EDF durch Steuergelder, das Festhalten an Flamanville und Olkiluoto und schließlich auch der Bau von Hinkley Point C verständlich.

Die erstaunliche Erkenntnis ist, dass es in dieser vielbeschworenen „Atomaren Renaissance“ völlig zweitrangig ist, ob diese Reaktoren jemals ans Netz gehen und Strom produzieren, erst recht für welches Preis. Wichtig ist nur, dass mit ihrem Bau das Fundament des militärischen Atomprogramms gesichert wurde – durch die Ausbildung von Atomtechnikern, Investitionen in Forschung, Entwicklung und Infrastruktur und nicht zuletzt durch die positive PR für die Kernspaltung.

Von Dr. med. Alex Rosen

 

Quellen:

•    Bretau PP „L’EPR de Flamanville ne sera pas en service avant 2022“. Le Monde 24.06.19. https://www.lemonde.fr/les-decodeurs/article/2019/06/24/epr-de-flamanville-visualisez-comment-le-cout-et-la-duree-du-chantier-ont-triple-depuis-2007_5480745_4355770.html

•    Trentmann N. “French Nuclear Power Producer EDF Plans a Turnaround”. The Wall Street Journal, 14.06.19. https://www.wsj.com/articles/french-nuclear-power-producer-edf-plans-a-turnaround-11560526991

•    Thomas R. „French nuclear to suffer after exclusion from EU’s green investment label“. Euractiv Website 25.06.19. https://www.euractiv.com/section/energy-environment/news/french-nuclear-will-suffer-following-its-exclusion-from-eus-green-investment-label/

•    Keohane D. „EDF nuclear blow sparks share price meltdown“ Financial Times, 10.09.19. https://www.ft.com/content/c63ebe88-bcde-11e9-89e2-41e555e96722

•    Vidalon D „France flags welding fault at five or more EDF nuclear reactors“. Reuters, 12.09.19. https://www.reuters.com/article/us-edf-safety/france-flags-welding-fault-at-five-or-more-edf-nuclear-reactors-idUSKCN1VX0N7


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Ansprechpartner


Patrick Schukalla
Referent Atomausstieg, Energiewende und Klima
E-Mail: schukalla[AT]ippnw.de

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Titelfoto: Stephi Rosen
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