Nachlässigkeit war Ursache für Super-GAU in Japan

Ein Gericht in Japan hat dem AKW-Betreiber TEPCO und den japanischen Behörden Nachlässigkeit im Umgang mit bekannten Sicherheitsrisiken an den AKW-Standorten in Fukushima vorgeworfen und ein wegweisendes Urteil erlassen, das nachhaltige Folgen für die Zukunft der Atomenergie in Japan haben könnte.

Seit nunmehr sechs Jahren prozessieren in Japan Betroffene der Atomkatastrophe von Fukushima gegen die Betreiberfirma TEPCO und die japanischen Atomenergiebehörden. Der Untersuchungsausschuss des japanischen Parlaments hatte 2011 von einer "menschengemachten" Katastrophe gesprochen und Korruption sowie illegale Absprachen zwischen der japanischen Atomindustrie, den Aufsichtsbehörden und der Politik für den mehrfachen Super-GAU in Japan verantwortlich gemacht.

Letzten Monat fiel nun ein erstes wegweisendes Urteil in einer Klage von 137 BürgerInnen vor dem Maebashi Gericht der Präfektur Gunma. Die Richter erklärten am 17. März, dass sowohl TEPCO als auch die japanische Regierung sich des Risikos eines großen Erdbebens und eines Tsunamis bewusst waren, die wissenschaftlichen Erkenntnisse jedoch ignorierten und notwendige Schutzmaßnahmen unterließen, welche die Atomkatastrophe eventuell hätten verhindern können. Das Gericht erkannte somit die Haftbarkeit der staatlichen Behörden und der Betreiberfirma TEPCO für die Folgen der Kernschmelzen an.

Die Richter zitierten für ihr Urteil eine Einschätzung der japanischen Regierung von 2002, die eine 20% Wahrscheinlichkeit für ein Seebeben der Stärke 8 oder höher in den Jahren 2002-2032 feststellte. Zudem wurde ein TEPCO-Bericht zitiert, der die Möglichkeit einer 15,7 Meter hohen Tsunamiwelle am AKW-Standort diskutierte. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass TEPCO auf der Basis dieses Wissens effektive Schutzmaßnahmen hätte einrichten müssen und stellt weiter fest, dass es die Verantwortung der Regierung gewesen wäre, die Betreiberfirma zu diesen Schritten zu verpflichten und deren Installation zu überwachen.

Das Urteil könnte Auswirkungen auf die noch ausstehenden Gerichtsverfahren in Japan haben. Insgesamt laufen derzeit 29 zivilrechtliche und strafrechtliche Verfahren in insgesamt 18 Präfekturen. An diesen Klagen sind mehr als 10.000 betroffene BürgerInnen beteiligt, die Schadenssummen umfassen mehr als 46 Milliarden Euro. Auch die öffentliche Meinung zur Atomenergie dürfte durch das Urteil und seine Implikationen einen weiteren Dämpfer erhalten. Schon jetzt sprechen sich in einer repräsentativen landesweiten Umfrage der Mainichi Shimbun Tageszeitung 55% aller Befragten gegen eine Rückkehr zur Atomenergie aus, währen lediglich 26% eine solche befürworten.

Zudem ist zu erwarten, dass die Verfahren zum Hochfahren stillgelegter Atomkraftwerke ebenfalls von dem Urteil des Gerichts in Gunma beeinflusst werden könnten. Derzeit befinden sich nur 3 der insgesamt 54 japanischen Atomreaktoren am Netz: Reaktoren 1 und 2 des AKW Sendai in der Präfektur Kagoshima und Reaktor 3 des AKW Ikata in der Präfektur Ehime. Wenn künftig verstärkt seismologische Daten in die Verfahren zur Erteilung von Betriebsgenehmigungen einbezogen werden sollten, würde dies das Ende der japanischen Atomindustrie bedeuten – denn das Risiko von Erdbeben und Tsunamiwellen besteht an allen japanischen AKW-Standorten.

 

Dr. med. Alex Rosen

 

Quellen:

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Referent Atomausstieg, Energiewende und Klima
E-Mail: schukalla[AT]ippnw.de

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