Pfefferminzdragees und Katastrophenschutz

Atomkraftgegner fordern komplette Stilllegung von Gundremmingen 2017

"Wer B sagt, muss auch C sagen!"

11.05.2017 Mit einer Kampagne unter dem Motto "Wer B sagt, muss auch C sagen!" fordern Atomkraftgegner die vollständige Stilllegung des Atomkraftwerks Gundremmingen im Jahr 2017. Blcok A der Anlage musste schon 1977 nach einem schweren Störfall endgültig stillgelegt werden. Ende 2017 soll nun Block B der Siedewasserreaktoranlage stillgelegt werden, während RWE und E.On Block C noch bis Ende 2021 weiterbetreiben wollen. Kritiker halten den Siedewasserreaktor für hochgradig gefährlich und verlangen die sofortige Stilllegung.

Die Kampagne "Wer B sagt, muss auch C sagen!" wird von der Anti-Atom-Organisationen ausgestrahlt, dem Umweltinstitut München, dem Forum Zwischenlager und von der Ärzteorganisation IPPNW getragen. Sie verweisen auf massiver Sicherheitsprobleme und auf die Gefahr gravierender gesundheitlicher Folgen, sollte es zu einem Unfall kommen.

Wie in Fukushima handelt es sich auch in Gundremmingen um ein Atomkraftwerk mit Siedewasserreaktoren. In Block A kam es am 13. Januar 1977 zu einem schweren Störfall mit Ausfall der Hauptwärmesenke und Schäden an den Sicherheitsventilen. Nach dem Totalschaden musste Gundremmingen A stillgelegt werden. 

Die derzeit noch laufenden Blöcke Gundremmingen B und C weisen zahlreiche Sicherheitsmängel auf. Der ehemalige Mitarbeiter der Gesellschaft und Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS), Professor Manfred Mertins, stellte in einem Gutachten fest, dass in Gundremmingen die Voraussetzungen zur Störfallbeherrschung nicht gegeben seien. Die Untersuchungen des Bundesumweltministeriums für ein Not- und Nachkühlsystem seien nicht umfassend, es fehlten Nachweise und Kenntnisse, es gebe zu viele Vermutungen, die Aussagen seien "nicht belastbar". Nach den bislang verfügbaren Unterlagen sei das Not- und Nachkühlsystem "Zuna" seit seiner Errichtung nicht als Sicherheitssystem eingestuft worden, obwohl die Betreibergesellschaft des Kraftwerks es als solches betrachte und das Bundesumweltministerium es auch so sehe. Zudem verfüge es nicht, wie es für solche Anlagen vorgesehen sei, über einen Zwischenkühlkreislauf. 

Die IPPNW, der Physiker Reiner Szepan und Professor Dr. Klaus Buchner verwiesen unlängst auf GRS-Analysen über die Gefahren beim "Ausfall der Hauptwärmesenke". Es könne in Gundremmingen bei diesem "Auslegungsstörfall" zu Brennelementeschäden und sogar zum Super-GAU kommen.

 

Protest mit Pfefferminzdragees

Die Ärzteorganisation IPPNW weist im Rahmen der Kampagne gemeinsam mit der Organisation ausgestrahlt und anderen insbesondere auch auf die gesundheitlichen Folgen eines möglichen Super-GAU in Gundremmingen hin: Packungen mit Pfefferminzdragees werden symbolisch als "Jod-Tabletten" an die Bevölkerung verteilt. Damit soll über die Möglichkeiten und Grenzen des atomaren Katastrophenschutzes aufgeklärt werden.

"Lesen Sie diese Packungsbeilage sorgfältig durch", warnen die Atomkraftgegner vor der Einnahme der Pfefferminzdragees in einem "Beipackzettel". Bei einem Super-GAU in einem AKW würde durch die Pfefferminzdragees in dieser Packung nicht vor den frei gesetzten radioaktiven Partikeln geschützt - dafür benötige man spezielle, hochdosierte Tabletten mit nicht-radioaktivem Jod. "Doch auch diese schützen Sie nur vor drohenden Schilddrüsenerkrankungen, die durch  radioaktives Jod ausgelöst werden. Die Jodblockade schützt Sie nicht vor den zahlreichen Krankheiten, die durch  andere radioaktive Elemente  wie z.B. Cäsium, Strontium und Plutonium verursacht werden."
 
Hochdosierte  Jodblockade-Tabletten schützen auch nur dann vor radioaktivem Jod, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt und möglichst schon vor der radioaktiven Belastung eingenommen werden. Dafür benötige die Bevölkerung aber zuverlässige Informationen der Behörden und der AKW-Betreiber über die belasteten Gebiete und die notwendige Dauer der Einnahme - "und wie sicher werden diese Informationen dann im entscheidenden Moment sein?", fragen die Atomkraftgegner.
 
Hochdosierte  Jodblockade-Tabletten werden in Deutschland nur in wenigen Zentrallagern vorrätig gehalten. Eine Vorverteilung an alle möglicherweise betroffenen Menschen wird von den Behörden abgelehnt und die Vorratsmenge ist umstritten. "Vor allem ist nicht sicher, dass die für Sie und Ihre Familie rechnerisch geplante Tabletten-Packung  Sie rechtzeitig erreichen wird. Um die hochdosierten  Jodblockade-Tabletten an den dafür  vorgesehenen Ausgabestellen zu erhalten, müssten Sie bei einer Reaktorkatastrophe Ihr Haus verlassen, obwohl Ihnen gleichzeitig geraten wird, in den Keller zu gehen und  Fenster und Türen geschlossen zu halten."
 
Hochdosierte Jodblockade-Tabletten würden auch bei rechtzeitiger und richtiger Einnahme nicht vor einer dann notwendigen Umsiedlung schützen. Berechnungen des Bundesamtes für Strahlenschutz zeigten, dass auch Gebiete, die hunderte Kilometer vom AKW entfernt sind, wegen der Verstrahlung über Jahrzehnte unbewohnbar  werden können.
 
Im Ergebnis wird dargelegt, dass nur eine Stilllegung beider Atomkraftwerksblöcke in Gundremmingen Schutz bieten kann: "Gegen die wirklichen Folgen einer Reaktorkatastrophe ist auch ein noch so gut aufgestellter Katastrophenschutz hilflos. Der einzige sichere Schutz ist, das AKW rechtzeitig vor einem Super-GAU stillzulegen."

Von Henrik Paulitz

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Ansprechpartner


Patrick Schukalla
Referent Atomausstieg, Energiewende und Klima
Email: schukalla[at]ippnw.de

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Materialien

Titelfoto: Stephi Rosen
IPPNW-Forum 174
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