2023: AKW Runterfahren!

Eigentlich waren die Argumente ausgetauscht. Und eigentlich sprach zusammengefasst nichts für den sogenannten Streckbetrieb der noch am Netz verbliebenen drei deutschen Atomkraftwerke Neckarwestheim 2, Isar 2 und Emsland. Angestoßen durch die für den Winter antizipierte Gasmangellage in Folge des Angriffskriegs auf die Ukraine durch den bislang größten und wichtigsten Erdgaslieferanten Deutschlands Russland, führten die Stromnetzbetreiber den sogenannten Stresstest durch. Dessen Ergebnis musste als Argument für einen Weiterbetrieb herhalten, obwohl daraus ersichtlich wurde, dass die Stromversorgung in Deutschland auch ohne Atomkraftwerke gewährleistet ist. Analysen des Stresstests[1] verdeutlichten, dass es hierzulande auch ohne AKW kein Versorgungsproblem mit Strom gäbe. Vielmehr legen die Analysen eine Reform des Strommarktdesigns nahe, das Rücksicht auf die tatsächlichen Leitungskapazitäten nimmt und für eine erneuerbare Energiewende ausgelegt ist. Auch dürfte nunmehr allen, die es ernsthaft wissen wollen, klar sein, dass weder Atomkraft für Erdgas in der Wärmeproduktion einspringen kann, noch AKW in der Lage sind, durch schnelles Hoch- und Runterfahren in der Spitzenlast flexibel eingesetzt zu werden. Und dennoch haben die Abgeordneten des Bundestages am 11. November 2022 einer Laufzeitverlängerung bis zum 15. April 2023 zugestimmt.

Grundsätzliche Folgen und Risiken der Atomkraft, die gesundheitlichen Folgen im Normalbetrieb[2], die konkreten Gefährdungen in den drei noch laufenden AKW, die 13 Jahre zurückliegende Sicherheitsüberprüfung, die Rolle des russischen staatlichen Atomkonzerns für die Versorgung der Europäischen Atomindustrie – all das spielte kaum eine Roll in der Debatte. Vielmehr überwogen die Beteuerungen, sich fernab von „Ideologie“ für einen Weiterbetrieb entscheiden zu wollen. Der Ideologiebegriff, der diesen Beteuerungen zugrunde liegt, bleibt derweil unhinterfragt. Kritik an der Zerstörung von Lebensgrundlagen und der weiteren Sabotage der Energie- und Klimawende werden unterdessen immer wieder als „Denkverbote“ diskreditiert. Im Ergebnis heißt das: Lützerath soll abgebaggert werden und der deutsche Beitrag zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels rückt damit in weitere Ferne[3], ein allgemeines Tempolimit soll es nicht geben und seit dem Jahreswechsel erhöht sich bereits der Takt, in dem Forderungen nach weiteren AKW-Laufzeitverlängerungen erhoben werden. „Wir haben gezeigt, dass Gorleben lebt, jetzt werden wir zeigen, dass Lützerath lebt“, schrieb dazu Clara Tempel, Pressesprecherin von „Runterfahren“ auf Twitter[4], „[d]ie Klimagerechtigkeits- und die Anti-Atom-Bewegung gehören zusammen“. Bereits jetzt haben fast achthundert Menschen die Selbstverpflichtung[5] der Initiative unterzeichnet: „Atomenergie ist eine der gefährlichsten und am wenigsten nachhaltigen Formen der Energiegewinnung. Wenn die laufenden Atomkraftwerke über den 15. April 2023 hinaus in Betrieb bleiben sollen, werde ich mich an gewaltfreien Aktionen Zivilen Ungehorsams gegen den Ausstieg aus dem Ausstieg beteiligen.“ Für den 29. Januar 2023 mobilisiert die Initiative für eine Warnblockade am AKW Emsland in Lingen[6].

 

Patrick Schukalla

Referent für Atomausstieg, Energiewende und Klima

 

[1] https://www.ausgestrahlt.de/themen/energiewende-retten-atomkraftwerke-abschalten/stresstest/

[2] https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/atomkraft/20220927_BASK_Papier_Unsichbare_Opfer_der_Atomkraftnutzung.pdf
https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/factsheet_risiken_normalbetrieb.pdf

[3] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.819609.de/diwkompakt_2021-169.pdf

[4] https://twitter.com/AKWRunterfahren/status/1612492391054811136

[5] https://runterfahren.org/selbstverpflichtung/

[6] https://runterfahren.org/?na=v&nk=1-b1c743088f&id=7

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Materialien

Titelfoto: Stephi Rosen
IPPNW-Forum 174: Der unvollendete Ausstieg: Wie geht es weiter für die Anti-Atom-Bewegung?
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