Aus dem ATOM-Energie-Newsletter August 2016

Soll Atommüll rückholbar „endgelagert“ werden?

04.08.2016 Jahrzehntelang war für die sogenannte "Endlagerung" hoch radioaktiver Abfälle ein rascher und endgültiger Verschluss in tiefen geologischen Formationen vorgesehen. Der sichere Abschluss von der Biosphäre war die wesentliche Zielsetzung. Daneben strebte man an, den Zugang zu dem gefährlichen und potenziell waffenfähigen Atommüll für spätere Generationen maximal zu erschweren. Seit mehreren Jahren wird international und auch in Deutschland eine Diskussion um die Forderungen nach Reversibilität von Entscheidungen, Rückholbarkeit und Bergbarkeit des Atommülls geführt. Es gibt sehr viele Aspekte, die sehr gründlich gegeneinander abzuwägen sind. Die Diskussion der vergangenen Jahre führten von atomkritischer Seite schließlich u.a. zu Forderungen nach raschem Verschluss und einem „Konzept der Bergbarkeit“. Die Endlagerkommission begründete in ihrem Abschlussbericht die Option eines „Endlagerbergwerks mit Reversibilität“.

Reversibilität, Rückholbarkeit und Bergbarkeit

Zunächst ist es wichtig, drei zentrale Begriffe dieser Fachdiskussion zu verstehen. Aufgrund der großen Herausforderungen bei der Endlagersuche und der Einlagerung wird inzwischen verlangt, einmal getroffene Entscheidungen rückgängig machen und auf gegebenenfalls andere Entsorgungspfade umsteigen zu können. Das bezeichnet man als „Reversibilität von Entscheidungen“. „Rückholbarkeit“ ist die Fähigkeit, hoch radioaktiven Abfall aus einem Endlager wieder zurückzuholen, wenn dieser bereits in einem Endlager eingelagert ist. Als „Bergung“ bezeichnet man eine Notfallfallmaßnahme, bei der beispielsweise nach einem Wassereinbruch der Atommüll aus dem verschlossenen Bergwerk wieder herausgeholt wird.

Position der Fachgremien

Praktisch alle zuständigen Institutionen des Bundes, das Bundesumweltministerium, die Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit (GRS), die Reaktorsicherheitskommission (RSK), die Strahlenschutzkommission (SSK) und die Entsorgungskommission (ESK) wiesen jahrelang die internationalen und zunehmend auch deutschen Forderungen nach Rückholbarkeit zurück. 

Flexibilität

In der öffentlichen Debatte um die Rückholbarkeit in Deutschland spielte die unsachgemäße Einlagerung von Atommüll in der Asse eine wesentliche Rolle. Das wichtigste sicherheitstechnische Argument für die Rückholbarkeit ist die Flexibilität gegenüber künftigen Entwicklungen und Erkenntnissen. Langzeitprognosen können niemals absolut sicher sein, da die dafür zu betrachtenden Zeiträume zu lang sind. Angeführt werden unzureichende geologische Kenntnisse, mögliche Fehler beim Bau eines Endlagers, mögliche neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder Verfahren beim Umgang mit dem radioaktiven Müll, die eventuelle Bildung von kritischen Massen mit der Gefahr atomarer Kettenreaktionen im abgelagerten Atommüll und die Möglichkeit, dass künftige Generationen das Lager versehentlich anbohren könnten, wenn die entsprechenden Informationen verloren gehen sollten.

Dazu die Grüne Bundestagsfraktion: „All diese Argumente sind stichhaltig. Ihr Problem ist, dass sie es über den gesamten Zeitraum der Million Jahre sind, d.h. sie stehen genauso gegen einen Verschluss nach 500, 1.000 oder 5.000 Jahren. Lässt man sie uneingeschränkt gelten, landet man beim „Hüte-Konzept“: wie auf dem Jahrmarkt wird der Atommüll von einem Hütchen in den nächsten verschoben - eine "endlose kontrollierte Zwischenlagerung.“ Eine dauerhafte kontrollierte Zwischenlagerung des Atommülls wurde aber praktisch einhellig als völlig unrealistisch verworfen.

Viele offene Fragen

Es bleibt die Lagerung in tiefen geologischen Formationen. Hierbei stellen sich im Kontext der Forderung nach Rückholbarkeit viele Fragen: Kann man nachfolgende Generationen ethisch und praktisch dazu verpflichten, das erforderliche Know-how und den Willen zum Umgang mit hoch-radioaktivem Atommüll zu erhalten? Wie kann der Atommüll von der Biosphäre abgeschirmt werden, wenn Kabel für ein „Endlagermonitoring“ zur Überwachung des Zustands des Atommülls die geologischen Barrieren durchbrechen? Ist es wünschenswert und ethisch vertretbar, dass rückholbar eingelagerter Atombrennstoff den Weg für einen Wiedereinstieg in die Atomenergienutzung bahnen oder eine militärische Nutzung ermöglichen könnte? Wie steht es mit möglichen radioaktiven Freisetzungen bei einer Bergung und mit den Gefahren für die Beschäftigten? Inwieweit beeinträchtigen Maßnahmen für die Rückholbarkeit bzw. Bergbarkeit des Atommülls die Langzeitsicherheit des Lagers? Geht es bei der Rückholbarkeit in Wirklichkeit darum, den Atommüll schließlich dem Entsorgungspfad einer „Partitionierung und Transmutation“ zuzuführen, bei der ein Teil der Radionuklide in neuen Atomreaktoren umgewandelt werden? Oder will man ein „Ewigkeits-Geschäft“ für eine Atommüll-Industrie schaffen, für das künftige Generationen auf Dauer zur Kasse gebeten werden?

Bergbarkeit in Kombination mit raschem Einschluss?

Es muss jedenfalls darum gehen, eine bestmögliche Lösung für die Entsorgung des gefährlichen Atommülls zu finden, bei dem die Gesundheitsvorsorge und die Sicherheit oberste Priorität haben. Atom-kritische Wissenschaftler erhoben vor diesem Hintergrund – in Übereinstimmung mit BMU, GRS, RSK, SSK und ESK - die Forderung nach raschem und wartungsfreiem Einschluss des Atommülls in tiefen geologischen Formationen mit mehreren Barrieren.

Ebenso sprach sich auch die grüne Bundestagsfraktion „nach Abwägung des Für und Wider“ und der Auswertung der bisherigen Erfahrungen in anderen Ländern „gegen eine dauerhafte Offenhaltung eines Atommüll-Endlagers aus. Lediglich während der einige Jahrzehnte währenden Betriebsphase sollte das Lager offen bleiben und zur Beobachtung der chemisch-physikalischen Prozesse genutzt werden.“ Präferiert wird ein so genanntes „Konzept der Bergbarkeit“, bei dem das Bergwerk verschlossen und von der Biosphäre so gut wie möglich getrennt wird. Mit optimierten Behältern soll für rund 500 Jahre eine Bergbarkeit ermöglicht werden. „Nach dieser Zeitspanne sollte eine Bergung der Atommüllbehälter wegen der damit verbundenen Risiken nicht mehr angestrebt werden.“ Anders als bei einem offen gehaltenen Endlager treffe dieses Konzept Vorsorge für den Fall, „dass sich im Lauf der Jahrhunderte niemand mehr um den Atommüll kümmert“.

„Endlagerbergwerk mit Reversibilität“

Die Endlagerkommission hat im Sommer 2016 in ihrem Abschlussbericht eine Option mit der Bezeichnung „Endlagerbergwerk mit Reversibilität“ als Entsorgungsstrategie nahegelegt. Nicht zuletzt aufgrund entsprechender Vorgaben des Gesetzgebers im Standortauswahlgesetz vom 23. Juli 2013 heißt es dazu: „Gegenüber früheren Ansätzen, in denen ein möglichst rascher Verschluss ohne besondere Berücksichtigung einer späteren Rückholbarkeit oder Bergbarkeit der Abfälle vorgesehen war, misst die Kommission der Reversibilität von Entscheidungen und der Rückholbarkeit beziehungsweise Bergbarkeit der Abfälle hohe Bedeutung bei“.
Diese Option sei in sich selbst vielgestaltig und könne aus sehr unterschiedlichen Prozesswegen bestehen. Trotz aller Vielfalt lautete die Empfehlung: „Das heutige von der Kommission mit dieser Option verbundene Ziel ist jedoch ein sicher verschlossenes Endlagerbergwerk.“ Eine solche Lösung sei in Deutschland in absehbarer Zeit umsetzbar. Zukünftige Generationen seien „von einem bestimmten (allerdings möglicherweise recht weit entfernten) Zeitpunkt an von Belastungen durch die radioaktiven Abfälle befreit“. Die Option erlaube hohe Flexibilität. Über die erforderlichen geologischen Voraussetzungen (passive Sicherheitssysteme, Barrieren) lägen „weit reichende wissenschaftliche Kenntnisse vor, welche die Realisierung als aussichtsreich erscheinen lassen“.

Man steuert von offizieller Seite also auf ein Bergwerk zu, wobei die Frage weiterhin offen bleibt, wie schnell es zu einem Verschluss kommen wird. Hinzu kommen aber zuvor die erheblichen Unwägbarkeiten bei der jetzt geplanten Standortsuche.


Von Henrik Paulitz

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Ansprechpartner


Patrick Schukalla
Referent Atomausstieg, Energiewende und Klima
Email: schukalla[at]ippnw.de

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