Ärztetag unterstützt IPPNW-Forderung zum AKW-Rückbau

13.09.2017 Wird strahlendes Metall aus abgerissenen AKWs irgendwann unkontrolliert in Heizkörpern, Kochtöpfen oder Autokarossen auftauchen? Beim AKW-Rückbau ist vorgesehen, gering radioaktiven Restmüll aus dem Abriss von Atomkraftwerken „freizumessen“. „Freimessung“ bedeutet, dass gering radioaktives Material anhand willkürlich festgelegter Grenzwerte und hypothetischer Belastungsdosen für unbedenklich erklärt und aus der Aufsicht der Strahlenschutzbehörden entlassen wird. Der strahlende Abfall soll dann ohne weitere Strahlenschutzkontrollen auf regulären Mülldeponien gelagert oder überwiegend in die allgemeine Wiederverwertung eingespeist werden. 

Vor diesem Hintergrund fordert die Ärzteorganisation IPPNW seit längerem, aus gesundheitlichen Gründen heraus dieser „Freigabe“ von gering radioaktivem Müll aus dem Abriss von Atomkraftwerken einen Riegel vorzuschieben. Gleichzeitig formulierte die IPPNW  machbare Alternativen zum Rückbau mit Freimessen, sodass sowohl Einzel-personen als auch die Bevölkerung weniger gesundheitlich belastet werden würden (1).

IPPNW-Ärzte begannen sich mit dieser Position in die öffentliche Diskussion an den vom Rückbau betroffenen AKW-Regionen einzubringen – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Meinungsbildung auch innerhalb der Ärzteschaft.

So sprach sich als erste Vertreterversammlung diejenige der Landesärztekammer Baden-Württemberg per Entschließung mit großer Mehrheit im November 2016 gegen die Freimessung des beim  Abbau von AKW anfallenden Gebäudemüll und der anschließenden Verbringung auf Deponien aus (2).

Die Politik reagierte auf diese eindeutige Positionierung der Ärzteschaft verärgert: Der grüne Umweltminister in Baden-Württemberg bat den Präsidenten der Landesärzte-kammer  (LÄK) zu einem Gespräch, an dessen Ende der Versuch stand, das Votum der Delegierten zu neutralisieren und zu relativieren. Nach einer kurzen Intermezzo, innerhalb dessen die Freimess-Entschließung nicht mehr online auf der Webseite der Kammer abrufbar war, hat sich nun der LÄK-Arbeitskreis „Prävention und Umwelt“ des Themas angenommen: Im Februar 2018 wird er in Stuttgart ein wissenschaftliches Symposium durchführen, in dem diese wissenschaftlich/politische Kontroverse fachlich geführt werden kann.

Aber damit nicht genug. Der  Deutsche Ärztetag hat sich im Mai 2017 hinter die Forderung der Ärzteorganisation IPPNW gestellt (3). Auch die Delegierten des Ärztetags warnen vor der Verharmlosung möglicher Strahlenschäden und vor einer unnötigen und vermeidbaren zusätzlichen Strahlenbelastung der Bevölkerung durch den Abrissmüll. Wie nicht anders zu erwarten, wurde nun der Präsident des Deutschen Ärztetags zu einem Gespräch, diesmal im Bundesumweltministerium, eingeladen – auch hier geht es darum, politischen Einfluss auf die Ärzteschaft zu nehmen und kritische Stimmen in den Hintergrund zu drängen.

Gerade diese letzten Beschlüsse der ärztlichen Gremien wurde von mehreren Landkreisen explizit in ihre Begründung aufgenommen, die Einlagerung von kontaminierten Abrissmüll auf ihren Deponien zu verweigern (4).

Von Dr. Jörg Schmid

 

Anmerkungen

(1) Freigabe radioaktiven Materials beim AKW-Abriss, IPPNW Akzente 2016

Gutachterliche Stellungnahme zu  einem Verbleib von gering radioaktiven
Materialien aus der Stilllegung von Atomkraftwerken an deren Standorten


(2) Entschließung der LÄK BaWü v 26

(3) Entschließung des 120. Deutschen Ärztetages 2017 (S. 240)

(4) Rhein-Neckar-Zeitung v. 13.07.17

Stuttgarter Nachrichten v. 21.07.17
 

 

 

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