Bislang waren die Atomkraftwerksbetreiber gesetzlich verpflichtet, die Entsorgung des Atommülls vollständig zu bezahlen. Nach monatelangen Verhandlungen mit den mächtigen Atomkonzernen beschloss nun der Deutsche Bundestag im vergangenen Dezember, dass nach einer Einmalzahlung der Betreiber das volle Risiko für die Kosten der sogenannten Zwischen- und Endlagerung auf die Steuerzahler und somit auch auf kommende Generationen übergehen soll.
Das "Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung“ sieht vor, dass nach Einzahlung von nur 23,55 Milliarden Euro in einen staatlichen Fonds die Haftung für die sogenannte Zwischen- und Endlagerung des Atommülls vollständig auf den Staat übergeht. Der Staatsfonds wird also künftig für die Zwischen- und Endlagerung bezahlen, während sich die gerade entstehende Atommüllindustrie auf lukrative Entsorgungsaufträge freuen darf.
Diese Atommüllindustrie, die ab sofort die Hand auf halten wird, könnte u.a. über Großbanken indirekt mit den bisherigen Atomkraftwerksbetreibern verflochten sein, so dass das eingezahlte Geld in den kommenden Jahrzehnten wieder in die Konzerntaschen zurückfließen könnte. Der geplante öffentlich-rechtliche Vertrag, dessen Inhalt völlig ungewiss ist – könnte den Konzernen hierfür die entsprechenden Spielräume eröffnen.
Es wird damit gerechnet, dass die 23,55 Milliarden Euro in Abhängigkeit von Verzinsung, Inflation, „Preisgestaltungen der Atommüllindustrie“ und Komplikationen bei der Standortsuche für ein „Endlager“ hinten und vorne nicht ausreichen werden. Es gibt seitens der Banken und Konzerne ja nun keinerlei Interesse mehr, die Kosten für die Atommüllentsorgung zu begrenzen. Im Gegenteil: Je länger sich die Suche nach einem geeigneten Standort und der Bau einer dauerhaften Lagerstätte für Atommüll in die Länge zieht und je teurer er wird, desto interessanter könnte das neue Geschäftsmodell werden.
Dass die Betreiber nun zahlreiche Klagen gegen den Staat zurückziehen, klingt besser als es ist: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts geht es dabei um nur noch rund 600 bis 800 Millionen Euro. Die Klagen gegen die Brennelementsteuer bzw. vor einem internationalen Schiedsgericht wegen des AKW Krümmel sollen aber offenbar fortgeführt werden.
Bei diesen geht es um Forderungen von bis zu 12 Milliarden Euro. Die Energiekonzerne könnten sich also rund die Hälfte ihrer Fondseinzahlungen schnell wieder zurückholen. Hinzu kommt der Wegfall der Brennelementesteuer Ende 2016. Dadurch entgehen dem Fiskus bis 2022 fast sechs Milliarden Euro. Insgesamt bleibt also kaum etwas, was die Konzerne für die Atommüll-Entsorgung zu bezahlen haben.
RWE, E.On, Vattenfall und EnBW sind nun ein für allemal die Verantwortung für die sogenannte Zwischen- und Endlagerung los. Lediglich das Verpacken (Konditionieren) in endlagerfähige Behälter bleibt noch als Aufgabe für sie bestehen. Damit haben es die mächtigen Atomkonzerne geschafft, ein Grundprinzip des Umweltrechts außer Kraft zu setzen: Das Verursacherprinzip.
„Über Jahrzehnte haben die Unternehmen bestens an der Atomenergie verdient“, schreibt Michael Bauchmüller in der Süddeutschen Zeitung. „Dass damit später auch Kosten verbunden sein würden, für den Abriss der Kraftwerke und die Entsorgung des nuklearen Mülls, das war ihnen immer bekannt. Die nötige Vorsorge war immer auch im Strompreis enthalten, sie war sogar ein Geschäft. Die so angesammelten Milliarden waren ein zinsfreies Darlehen, mit dem die Konzerne munter investieren konnten; zu allem Überfluss konnten sie die Rückstellungen von der Steuer absetzen. So profitierten die Unternehmen von einer Leistung, die sie nie erbracht haben. Jetzt aber, wo sie fällig wird, dürfen sie den ganzen Müll an den Staat abwälzen.“
Die bittere Realität ist: So oder so kommen die Stromkunden und Steuerzahler für alles auf, während die Konzerne stets nur die Hand aufhalten. Problematisch wird es insbesondere dann, wenn eine jahrhundertelange „Nachsorge“ zu finanzieren ist und nachfolgenden Generationen Risiken und Lasten aufgebürdet werden, denen keinerlei Nutzen mehr gegenübersteht.
Es wird insofern sehr gründlich darüber nachzudenken sein, wie die Energieversorgungsstruktur und das Umweltrecht künftig auszugestalten wären, um derartige „Ewigkeitskosten“ zu vermeiden.
Von Henrik Paulitz
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