Atom-Finanzkommission entlastet Atomindustrie

12.05.2016 Nach dem Atomausstieg steht in Deutschland der Umgang mit den nuklearen Hinterlassenschaften auf der Tagesordnung: Was passiert mit den stillgelegten Atomkraftwerken – und was passiert mit dem radioaktiven Atommüll, der auf Jahrzehnte in Zwischenlagern verbleiben wird und dann in einem Endlager eingelagert werden soll? Dabei stellt sich als erstes die Frage, wer all das finanzieren soll. Nicht nur der jahrzehntelangen Propaganda zufolge, sondern auch nach jahrzehntelang geltendem Recht müssen die Atomkonzerne alles bezahlen – eigentlich. Doch es kam, wie es kommen musste: sobald es konkret wird, möchte man die Atomindustrie großteils aus der Haftung nehmen und den Steuerzahlern den größten Teil der Lasten aufbürden.

Zu diesem Zweck hatte die deutsche Bundesregierung im Herbst 2015 eine „Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Atomausstiegs (KFK)“ eingesetzt. Diese besteht aus Politikern, BDI-Präsident Ulrich Grillo, Atommanager Gerald Hennenhöfer (E.On/Viag), Bischof Ralf Meister und Regine Günther vom WWF Deutschland.

 

Haftungsbegrenzung für die Atomindustrie

Am 27. April 2016 legte die so genannte Atom-Finanzkommission ihren einstimmig beschlossenen Vorschlag vor, der die finanzielle Verantwortung und die Haftung der Atomindustrie eng begrenzt. Die Industrie bleibt so für den Atomkraftwerks-Rückbau weitgehend verantwortlich, wird aber für die äußerst schwierige Atommüll-Entsorgung kostengünstig aus der Verantwortung genommen:

  • Die Rücklagen für den Atomkraftwerks-Rückbau und für die Verpackung des Atommülls bleiben bei den Unternehmen. Sie sind dafür verantwortlich und müssen auch vollumfänglich zahlen, wenn die Kosten steigen. Dieser Teil der Rückstellungen soll transparenter ausgewiesen und gesichert werden, Bilanzierungstricks soll so angeblich ein Riegel vorgeschoben werden.
  • Der Staat soll dem Vorschlag zufolge die volle Verantwortung für das Betreiben der Zwischenlager und der (potenziellen) Endlager übernehmen. Die Hoffnung der Kommission: Eventuelle langwierige Gerichtsverfahren über Standards für die Zwischenlagerung würden damit der Vergangenheit angehören.

Die Atomkraftwerksbetreiber rechnen für den Atomkraftwerks-Abriss und die Lagerung des Atommülls offiziell mit 47 Milliarden Euro – zu Preisen von 2014. Bis 2099 wächst diese Summe laut „Stresstest“ des Bundeswirtschaftsministeriums durch Inflation und angenommenen Preissteigerungen auf 182 Milliarden Euro an. Davon entfällt voraussichtlich ein Drittel auf Abriss und Verpackung sowie zwei Drittel auf Atommüll-Lagerung und -Transporte.

Die Rückstellungen der Konzerne betrugen – ebenfalls mit Stand 2014 – 38 Milliarden Euro, davon 21 Milliarden Euro für Abriss und Verpackung und 17 Milliarden Euro für die Lagerung des Atommülls. Nach dem Vorschlag der Atom-Finanzkommission sollen nur die 17 Milliarden in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführt werden, zuzüglich weiterer 6 Milliarden Euro. „Damit sind nach unseren Berechnungen die Kosten für Zwischen- und Endlagerung des Atommülls sehr umfassend gedeckt und das Risiko für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler deutlich reduziert“, schreibt der Co-Vorsitzende der Kommission Jürgen Trittin.

Diese Aussage trügt jedoch: Für den Transport und die Lagerung des Atommülls soll die Atomindustrie demnach nur 23 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, obwohl allein bis zum Ende des Jahrhunderts mit Gesamtkosten in Höhe von 120 Milliarden Euro gerechnet wird.

Es läuft also wie befürchtet: Während die Atomwirtschaft jahrzehntelang exorbitante Profite mit dem Atomkraftwerksbetrieb machte, sollen am Ende Steuerzahler/innen die Zeche zahlen.

 

AKW-Abriss ohne Alternative?

Eng mit der Frage der Finanzierung verbunden ist die Diskussion um die Art des Rückbaus von Atomkraftwerken. Hier werden vor allem zwei Varianten genannt: der "sofortige" Rückbau und der Rückbau nach einer Einschluss- und Abklingphase von ca. 30 Jahren. Es wurde bislang noch keine öffentliche Diskussion darüber geführt, ob es tatsächlich sinnvoll und notwendig ist, Atomkraftwerke überhaupt abzureißen. Über die Frage der Finanzierung hinaus geht es hier auch um die Sicherheit von Zehntausenden Arbeitern, die den Rückbau der deutschen Atommeilern über Jahrzehnte durchführen müssten und den Schutz der öffentlichen Gesundheit vor den verstrahlten Hinterlassenschaften der Atomindustrie.

Klar ist, dass die radioaktiv belasteten (kontaminierten und aktivierten) Komponenten der Atomkraftwerke entfernt und so sicher wie möglich für tausende Jahre aufbewahrt werden müssen. Die Frage ist aber, was mit den verbleibenden Bauwerksstrukturen geschehen soll. Die IPPNW hat eine Diskussion angestoßen, ob nach Entfernung der hochradioaktiven Komponenten Atomkraftwerke nicht dauerhaft an Ort und Stelle stehen bleiben könnten. Es geht bei dieser Überlegung nicht darum, die Bauwerke nach 30jährigem Einschluss dann doch rückzubauen (Konzept des sog. Sicheren Einschlusses mit anschließendem Rückbau), sondern darum, auf den langwierigen Rückbau gänzlich zu verzichten.

Hintergrund der Überlegung ist, dass der weit überwiegende Teil des Abbruchmaterials nach Vorstellung der Atomindustrie und der Behörden per „Freigabe“ als „Wertstoffe“ in den normalen Wirtschaftskreislauf eingespeist oder auf normalen Mülldeponien abgeladen werden soll. Das wirft die Frage auf, ob die Atomkraftwerksgebäude, nicht besser einfach stehen bleiben könnten, sofern die Statik es zulässt. Eine Belastung von Arbeitern und die weite Verbreitung des gering belasteten Materials könnte dadurch verhindert werden. So könnte es beispielsweise nicht passieren, dass Heizkörper in Kinderzimmern aus Alt-Stahl aus einem Atomkraftwerk besteht. Die Debatte um die Freigabe von Strahlenmüll wird in den nächsten Jahren noch intensiv geführt werden müssen.

 

Gefahren für die Gesundheit

Was hingegen den schwach-, mittel-  und hochradioaktiven Atommüll angeht, so besteht das Hauptproblem darin, die radioaktiven Stoffe auf Dauer sicher von der Biosphäre abzuschirmen. Der Begriff "Endlagerung" ist zwar euphemistisch angesichts der langen Halbwertszeiten der radioaktivem Stoffe, aber das Ziel muss sein, sichere, beständige, gesellschaftlich akzeptierte, technisch umsetzbare und finanzierbare Lösungen zu finden. Es ist nur schwer abzusehen, inwieweit Unfälle, Naturkatastrophen, menschliches Versagen oder auch Terrorismus zu relevanten Freisetzungen führen können.

In den vergangenen Jahren wurden in der Fachwelt schwierige Diskussionen über Rückholbarkeit bzw. Bergbarkeit des Atommülls aus einem Endlager geführt, für den Fall, dass es beispielsweise zu einem Wassereinbruch kommt. Die Endlagerkommission des Bundes hält die Rückholbarkeit während der Dauer der Einlagerung des Atommülls in ein Endlager für sinnvoll, nicht aber nach dem Verschluss. Danach müsste man im Fall der Fälle auf die schwierige Notfallmaßnahme der Bergung des Atommülls zurückgreifen. Diese setzt aber voraus, dass die Behälter, in die der Atommüll verfüllt wurde, zum gegebenen Zeitpunkt noch intakt sind. Da dies alles sehr ungewiss ist, setzen die offiziellen Gutachter und Behörden letztlich auf den sog. "Schutz durch geologische Barrieren" - man hofft also, dass radioaktiver Müll im Fall eines Lecks nicht an die Oberfläche oder ins Grundwasser gelangt.

Abschließend gilt festzustellen, dass die Atommüll-Entsorgung insbesondere auch eine Frage der Generationengerechtigkeit ist. Wenn es in absehbarer Zeit nicht zu keiner Entscheidung über den Verbleib des Atommülls kommt, so ist das auch eine Entscheidung: Es ist dann klar, dass man die gesamte Last der Entscheidung und der Finanzierung dann auf nachfolgende Generationen überträgt. Dies erscheint höchst fragwürdig und ungerecht, weswegen es notwendig erscheint, diese Fragen nach dem vollzogenen Atomausstieg nicht länger auf die lange Bank zu schieben.

Von Henrik Paulitz

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Ansprechpartner


Patrick Schukalla
Referent Atomausstieg, Energiewende und Klima
Email: schukalla[at]ippnw.de

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