Weitaus weniger bekannt als die COP-Klimagipfel im Herbst sind die alljährlichen Vorbereitungs- und Zwischenkonferenzen, die im Sommer am Sitz des UN-Klimasekretariats in Bonn stattfinden. Im Juni dieses Jahres nutzt die IAEO die Gelegenheit, um „innovative Finanzierungswege“ für die Erschließung „sauberer Energien wie der Atomenergie“ auszuloten.
In diesem Jahr wird die dreißigste Weltklimakonferenz, die COP30, im brasilianischen Belém stattfinden. An der COP nehmen mittlerweile 197 Staaten und die Europäische Union teil, somit gibt es 198 Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC). Bereits im Vorfeld des UN-Weltumweltgipfels in Rio de Janeiro im Jahr 1992 wurde die UNFCCC ausgehandelt und trat 1994 in Kraft. Der Gipfel von Rio gilt somit als Vorreiter aller UN-Klimakonferenzen, der COPs. Als einer seiner wichtigen Fortschritte wurde damals die vergleichsweise große Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen angesehen.
Im Herbst wird sich zeigen, wie sich die Rückkehr nach Brasilien auf den Gestaltungsspielraum der Zivilgesellschaft auswirken wird. Die COP1 fand 1995 in Berlin statt. Seither wandert der Gipfel, der mit einer pandemiebedingten Ausnahme 2020 jährlich stattfand, um die Welt. Immer wieder von großem Interesse begleitet sind die Momente der Profilierung und Ankündigung, aber auch der Aushandlung und des Protests.
Die COP21, die 2015 in Paris stattfand, ist wohl der bekannteste Gipfel, insbesondere aufgrund des regelmäßig als Referenzpunkt genommenen 1,5-Grad-Ziels. In Paris verpflichteten sich erstmals alle Vertragsstaaten, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, um die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 °C gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen und den Temperaturanstieg bis 2100 auf möglichst 1,5 °C zu beschränken. Dieses und weitere „Ziele von Paris” gelten seither als Messlatte, an der sich zeigt, dass sich die Welt gegenwärtig leider auf keinem entsprechenden Pfad befindet. Auch lassen die Pariser Kriterien in einigen Bereichen zu wünschen übrig.
Die internationale IPPNW ist seit der COP28 als zivilgesellschaftliche Beobachterorganisation akkreditiert, kann mit offiziellen Delegationen an den Konferenzen teilnehmen und weist etwa darauf hin, dass militärische Aktivitäten schon ohne Kriegseinsätze zu ca. 5,5 % der weltweiten Treibhausgasemissionen beitragen. Da die Berichterstattung über militärische Emissionen im Rahmen der UNFCCC jedoch freiwillig ist, fallen die offiziellen Daten entsprechend spärlich aus und bieten somit keine realistische Datenbasis.
Die IPPNW richtet sich mit ihren Delegationen und Partnern auch gegen die Versuche, die Atomenergie als vermeintliche Klimaretterin zu positionieren. Dafür bieten die Gipfel der Atomlobby regelmäßig Gelegenheit. Zwar nimmt die Atomenergie in den Beschlüssen der COPs keine herausgehobene Rolle ein, sie wird aber immer wieder unter den zu fördernden „emissionsfreien und emissionsarmen Technologien“ aufgeführt. Ein besonders großer Mediencoup gelang den Initiatoren der „Declaration to Triple Nuclear Energy“ auf der COP28 in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Unter Nutzung der Aufmerksamkeit um die COP schlossen sich im Verlauf des Gipfels letztlich 22 Länder einer Absichtserklärung an, die eine Verdreifachung der Stromerzeugungskapazitäten aus Atomenergie bis zum Jahr 2050 anstreben. Die Erklärung, die die Atomenergie ins Zentrum der Zukunftsvision einer dekarbonisierten Energieversorgung stellt, war bereits vor dem Gipfel von den USA angestoßen worden und wurde zunächst von zehn Staaten, darunter Frankreich und Großbritannien, unterstützt. Nicht dabei waren die einzigen zwei Staaten, die tatsächlich im großen Stil neue Reaktoren bauen: China und Russland. Der Aufruf, der im Wesentlichen darauf abzielt, dem wirtschaftlich strauchelnden Atomsektor neue Finanzierungswege zu eröffnen, fand kurzzeitig einige Aufmerksamkeit. Das dabei angekündigte Ziel ist jedoch äußerst ambitioniert, vergleicht man es mit dem internationalen Stand der Atomindustrie. Denn allein um die alternden Anlagen zu ersetzen, die voraussichtlich bis 2050 abgeschaltet sein werden, müssten jährlich zehn Reaktoren neu gebaut werden – doppelt so viele wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Wie der jüngste World Nuclear Industry Status Report (WNISR) zeigt, müssten zusätzlich etwa 1.000 Reaktoren gebaut werden, um die Stromerzeugungskapazität aus AKW zu verdreifachen. Das ist nicht nur unrealistisch, sondern kann als tatsächlich unmöglich angesehen werden.
Weniger bekannt als die COPs, aber ebenfalls regelmäßig Schauplatz von Greenwashing-Versuchen der Atomenergie sind die alljährlich im Juni am Sitz des UN-Klimasekretariats in Bonn stattfindenden Zwischenkonferenzen. Sie dienen der Vorbereitung der Weltklimakonferenzen und sind somit ein wichtiger Bestandteil des internationalen Klimaverhandlungsprozesses. Im Rahmen des Begleitprogramms, wirbt die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) in diesem Jahr unter dem Titel „Auf dem Weg zu einer gerechten Energiewende: Finanzierungswege von der Kohle zu nachhaltiger Energie” für „innovative Finanzierungswege für eine gerechte Energiewende von fossilen Brennstoffen zu nachhaltigen Energiequellen in Afrika und anderen aufstrebenden Regionen, um dringende Entwicklungsziele zu erreichen”. Der afrikanische Kontinent dient mit seinen fraglos bereits ungedeckten und weiter steigenden Energiebedarfen immer wieder als Projektionsfläche.
„Seit vielen Jahren setzt sich die globale Zivilgesellschaft für einen integrierten Ansatz ein, der die ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und psychologischen Dimensionen des Übergangs zu einer postfossilen Wirtschaft berücksichtigt. Die Forderung nach einem gerechten Übergang zu einer postfossilen Wirtschaft bedeutet, dass dieser grün, nachhaltig und sozial inklusiv sein muss. Die Option der Atomenergie ist mit diesen Forderungen nicht vereinbar.“ (Makoma Lekalakala in: „The alarming rise of false climate solutions in Africa“)
Wie wenig ernst es der IAEO mit der Erreichung der drängenden Entwicklungsziele ist, zeigt sich u.a. daran, dass sie ihre eigene Faustregel zum Verhältnis von AKW-Kapazitäten und Netzinfrastruktur nicht zu beachten scheint. Laut dieser Regel sollte ein einzelnes Kraftwerk nicht mehr als zehn Prozent der gesamten installierten Netzkapazität ausmachen. Der WNISR merkt in diesem Zusammenhang an, dass die Mehrzahl der afrikanischen Länder dieses Kriterium nicht erfüllen würde, wenn man die typische Leistung eines großen Reaktors von etwa 1.000 MW zugrunde legt. Die sich häufenden Ankündigungen neuer AKW-Projekte in verschiedenen afrikanischen Staaten sind in den wenigsten Fällen mehr als Wunschlisten der Industrie.
In Ägypten etwa führt der russische Staatskonzern Rosatom das einzige AKW-Neubauprojekt des Kontinents aus. Der Bau des El-Dabaa-Kraftwerks an der Nordwestküste des Landes am Mittelmeer läuft seit Anfang 2024. Mit dem Abschluss des Projekts wird um das Jahr 2030 gerechnet. Schon bei der „Declaration to Triple Nuclear Energy“ und der EU-Taxonomie, nach der Investitionen in AKW und Laufzeitverlängerungen als nachhaltig gekennzeichnet werden dürfen, war zu sehen: Zentrales Anliegen der Atomkraftbefürworter*innen ist es, Finanzierungswege für die teuerste Art der Stromproduktion zu erschließen. Ob großspurige Ankündigungen im Umfeld der Klimagipfel oder vermeintlich auf Nachhaltigkeit und Reduktion von Energiearmut ausgerichtete Veranstaltungen auf den Zwischenkonferenzen – sie alle drohen, sowohl die öffentliche als auch die politische Energiedebatte in die falsche Richtung zu lenken. Zudem vermitteln sie den falschen Eindruck, Atomenergie könne eine sinnvolle, klima- und umweltfreundliche Option sein.
Report „The alarming rise of false climate solutions in Africa: The nuclear energy misadventure“
Patrick Schukalla ist IPPNW-
Referent für Atomausstieg, Energiewende und Klima.
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