IPPNW Presseinformation vom 20. Oktober 2006

Medizin und Gewissen

IPPNW-Kongress in Nürnberg

Nürnberg- Der heute beginnende Kongress der IPPNW wird 60 Referenten und mehr als 1000 Teilnehmern an drei Tagen die Möglichkeit bieten, über medizinethische Fragen von außerordentlicher Brisanz zu diskutieren. Der 60. Jahrestag der sogenannten Nürnberger Ärzte-Prozesse bietet dabei Anlass, erneut über Verstrickung und Verantwortung der Ärzteschaft des Dritten Reichs an den Euthanasieprogrammen der Nationalsozialisten zu reflektieren.

Professor Robert Jay Lifton, Psychiater, Autor des Buches "Ärzte im Dritten Reich" und Gründungsmitglied der IPPNW, erklärte kurz vor Beginn des Kongresses, es sei wichtig daran zu erinnern, dass die damals angeklagten 23 Ärzte keineswegs Einzelfälle gewesen seien: „Glücklicherweise hatte Alexander Mitscherlich die Courage, nicht nur zu erkennen, sondern auch zu benennen, dass diese 23 Ärzte nur die Spitze des Eisbergs waren. Der Berufsstand selbst hatte Schuld auf sich geladen.” Es sei auch heute noch wichtig zu untersuchen, wie Menschen die noch nie getötet hatten, in diese "Sozialisation des Bösen" geraten konnten, so Lifton.

Die Auswirkungen der Nürnberger Ärzteprozesse auf internationale medizinische Entwicklungen wurde von Professor Paul Julian Weindling skizziert. Unter dem Eindruck von Schilderungen der Grausamkeiten der Euthanasie durch Zeugen und aus Dokumenten sei eine neue Strömung der Pflege entstanden, in der der Pflegende das Leiden des Opfers übernehme. „Die schrecklichen Erkenntnisse der Ärzteprozesse führten als Konsequenz zu einem Einsehen, das bis heute fundamental für die Bewertung von menschlichen Beziehungen ist”, so Weindling.

Für den Zeitzeugen Arno Hamburger, erster Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in Nürnberg, waren die angeklagten Ärzte keine menschlichen Wesen, sondern „nur noch pervertierte Personen”. Hamburger nahm an den Prozessen als Übersetzer und Dolmetscher teil. Die von ihm vorgelesene detaillierte Beschreibung grausamster Menschenversuche an jüdischen Häftlingen durch den KZ-Arzt Sigmund Rascher bezeichnete er als unvergleichbar mit allem vorher und nachher Dagewesenem.

Der Zweite Schwerpunkt des Kongresses ist bereits in seinem Motto angedeutet: Im Streit zwischen Markt und Solidarität.

Professor Gerd Glaeske, seit 2003 Mitglied des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, beschrieb wie erfolgreiche und gleichzeitig solidarische Strukturveränderungen des aktuellen Gesundheitssystems durchgeführt werden könnten. „Wir haben zu teure Strukturen. Allein im Großraum München stehen mehr CTs herum als in ganz Italien. Diese Verschwendung muss aufhören.” Glaeske macht zehn Prozent Einsparpotential im Gesundheitssystem aus. Die Gesundheitsreform der großen Koalition habe davon gerade einmal ein Zehntel vorgesehen, sie sei daher "Murks". Von dem bevorstehenden Kongress erwarte er ein Zeichen der Solidarität zwischen Ärzten und Patienten.

Weitere Informationen über den Kongress und die Referenten sind unter www.medizinundgewissen.de zu finden.

Kontakt:
Jörg Welke, Pressereferent IPPNW 0177 - 480 63 90

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