Vorab: Es ist NICHT ein wertfreier zivilisatorischer Vorgang, das Zusammenrücken der Völker, das Überwinden von Grenzen und Barrieren, die Einigung auf gemeinsame Werte und Ziele, wovon im folgenden unter der Be-zeichnung "Globalisierung" die Rede ist. Thema ist vielmehr die selektive Globalisierung der Konzernherrschaft, wie sie bereits in mehreren anderen Beiträgen eindrücklich beschrieben ist. Ein einseitiger Prozeß, der einer positiven Globalisierung, nämlich der weltweiten Etablierung von Menschenrechts-, Sozial- und ökologischen Standards zuwiderläuft. Der sich zunehmend aller Bereiche des menschlichen Lebens bemächtigt. Und der mit Hilfe gewaltiger Instrumente wie IWF, Weltbank und WTO vorangetrieben wird. Sowie ihres gemeinsamen neoliberalen Dogmas: grenzenlose Freiheit für Wirtschaft, Kapital und Spekulation, zu Lasten der Freiheit der Menschen, ihrer Rechte und ihrer Kultur. (1)
Konflikte und Gewalt enstehen bzw. eskalieren bei diesem einseitigen Prozeß auf zwei Wegen:
1. Gewalt als INSTRUMENT zur Durchsetzung neoliberaler Globalisierung
Dies ist der bekanntere der beiden Zusammenhänge zwischen Globalisierung und Gewalt. In beiden Sektoren der Sozialen Bewegung sowohl in der globalisierungskritischen, als auch in der Friedensbewegung wird er bereits recht häufig diskutiert und bearbeitet.
Länderbeispiele:
- Afghanistan: Als das postkoloniale westliche Engagement mit der Einbeziehung des Landes in die US-Interessensphäre 1979 begann, sprach man noch nicht von Globalisierung. Ziel war vor allem die Initiierung eines Stellvertreterkrieges gegen die Sowjetunion(2). Militärisch gesehen wurden hierzu mit Hilfe der CIA via Pakistan zigtausende Tonnen Waffen für ~2 Mrd. US-$ in das bitterarme Land geschleust, politisch "Die Talibanisierung Afghanistans"(3) betrieben. Deren Ergebnis lieferte später die Begründung für die zweite westliche Intervention dort: "Krieg gegen den Terror". Ziel war der Zugang zu den zentralasiatischen Erdölvorkommen(4) sowie die Einkreisung Chinas(5), als Voraussetzung für eine Globalisierung im o.g. Sinn: grenzenlose Freiheit für westliche Konzerninteressen.
- Zum Irakkrieg erwähnenswert ist, zusätzlich zu den Aspekten Öl und politisch-militärischer Brückenkopf in der Region, auch die komplette neoliberale Restrukturierung des Landes sowie der Besetzung der wirtschaftlichen Schlüsselpositionen mit global agierenden (US-)Konzernen: mit Hilfe des "IRAQ Sub-National Governance and Civic Institution Support Program" von USAID (bereits März 2003!).(6)
2. Gewalt als FOLGE neoliberaler Globalisierung:
Dieser Zusammenhang ist bisher weit weniger diskutiert und analysiert als der erstgenannte in der Öffentlichkeit wie in der Friedens-Forschung und Bewegung: Bereits die Quellenlage ist schwierig. Als der kanadische Ökonom Prof. Michel Chossudovsky eine umfangreiche Reihe von Fallstudien erstellte, die beide Zusammenhänge beleuchtete, und 1997 publizierte, war dies eine Pioniertat(7). Eine Arbeit speziell zu den Konflikt-Folgen der Globalisierung kam erst 6 Jahre später(8) (zu ihren sozioökonomischen Aspekten liegen längst zahlreiche Publikationen vor). (9,10)
Ein wichtiger Schritt zur Globalisierung war die Weltmarkt-Ankoppelung der Dritten Welt, für die die westlichen Länder gleich nach der Entkolonialisierung intensiv warben. Hand in Hand mit dem Entwicklungsbedarf der neuen Staaten wirkte dabei die höchst freigebige, ja aggressive Kreditvergabe-Politik des Nordens (11) , der sie so im Handumdrehen in neue Abhängigkeit zu sich brachte.
Mitverführt wurden sie auch durch die nach dem Weltkrieg boomende Nachfrage. Fast alle verschätzten sich mit den Gefahren des höchst ungleichgewichtigen Weltmarktes, auf dem sie unkoordiniert milliardenschweren und wohlabgestimmten Abnehmerkartellen gegenübertraten einer Lobby aus eben den Ländern, die auch ihre Gläubiger waren. Nur den Erdölländern gelang selbst eine gewisse Kartellbildung (die OPEC). Die anderen, die nur "Kolonialwaren" wie Kaffee oder Südfrüchte anbieten konnten (und dafür ihren Nahrungsmittelanbau aufgeben mußten), sahen sich bald dem Problem gegenüber, daß die Erzeugerpreise unter der Kuratel von Kaffeebaronen und >United Fruit Company< steil abstürzten und sie in Zahlungsschwierigkeiten gegenüber ihren Gläubigern kamen.
Diese reagierten darauf via IWF und Weltbank mit sogenannten "Structural Adjustment Programs" (SAP), die sie den ins Straucheln geratenen Ländern aufzwangen, angeblich zu deren Rekonsolidierung. Tatsächlich führten die verordneten Auflagen kurzfristig zur Stabilisierung des Schuldendienstes, zugleich aber zum Gegenteil einer Wirtschaftkonsolidierung: Staatliche Förderungsprogramme wurden gestrichen und die Weltmarkt-Orientierung verstärkt, Bildung und Gesundheitsversorgung privatisiert und Zölle zum Schutz der heimischen Wirtschaft als "Handelshemmnisse" verboten. Ergebnisse waren eine noch stärkere Abhängigkeit vom Weltmarkt, der Verlust der Selbstversorgungsfähigkeit mit Nahrung sowie die Entstehung von Dauer-Massenarbeitslosigkeit und anderen Strukturproblemen wie Landflucht / Verslummung, ökologischen Krisen und Wuchern der Schattenwirtschaft (Drogen, Prostitution, Gewaltökonomie...).
Konsequenz sind Verteilungskonflikte (weniger aus Armut an sich als vielmeh aus wirtschaftlich-sozialem Niedergang heraus) sowie die Schwächung von Staats-Strukturen, -Autorität und -Glaubwürdigkeit, bis hin zur Entstehung sogenannter "Versagerstaaten"(12) . Da supranationale Ursachen für die Betroffenen selten sichtbar sind, kommt es häufig zur Ethnisierung der resultierenden Konflikte und zur Entladung in Menschenrechtsverletzungen gegenüber schwächeren oder minoritären sozialen Gruppen.
Länderbeispiele gibt es etliche:
- Somalia ist gleich ein mehrfacher Präzedenzfall: als "failing state" mit folgender "humanitärer Intervention" und hierzu "zivil-militärischer Kooperation" (CIMIC) wobei alle drei Begriffe erst später explizit geprägt wurden. Ziel der UN-mandatierten und US-geführten Militärintervention "Restore Hope" (1992-93) war die Bekämpfung der Hungerkatastrophe durch Sicherung der humanitären Hilfe gegen zunehmende Gewalt.
Hintergrund war der sozioökonomische und dann auch politische Zerfall des aus kolonialen Grenzziehungen hervorgegangenen Staates: Nachdem die traditionelle Nahrungsproduktion (Mais- und Hirseanbau, nomadisierende Viehzucht und Tauschwirtschaft) das Land nach der Unabhängigkeit bis in die 70er-Jahre ernähren konnte, führte die West-Anbindung nach 1977 (GSG-9-Aktion in Mogadischu) zu einem Teufelskreis aus Weltmarktorientierung, Verschuldung (Abzahlungsraten 1989: fast 200% der Exporteinnahmen) und "Strukturanpassung". Was hiernach von den heimischen Nahrungsmittel-Erzeugern noch übrig war, wurde von anschwellenden externen Hilfslieferungen vernichtet. Einzig noch lohnender Wirtschaftszweig: das Plündern der Hilfsorganisationen und weitere Formen der Gewaltökonomie.
Modernisierung und Öffnung des Landes wurden so mit Verelendung und Rekolonisierung identifiziert. Da Mechanismen und Protagonisten jedoch im Ausland angesiedelt waren, konzentrierten sich die Auseiandersetzungen auf die mit ihnen kooperierenden heimischen Eliten was Gewalt und Bürgerkrieg anheizte.
Die "Operation Restore Hope" endete, nach kurzen Erfolgen, in einem Fiasko, weil sie nach den Ursachen der Katastrophe gar nicht erst fragte: sie symptomatisch zwar besserte (wie Cortison bei einer Infektion), kausal aber verschlimmerte und zudem in einem Gemenge aus moralischen Begründungen und tatsächlichen Eigeninteressen auch mit erheblichen Konflikten zwischen Interventionsmächten belastet war.
1993 verschwand die Region mit dem Abzug der US/UN-Truppen aus der Wahrnehmung der Weltöffentlichkeit, tauchte dort allerdings 2001 wieder auf: Das zerfallene Somalia galt nun als Hort des Terrorismus. Als "Rot-Grün" nun die Bundeswehr u.a. ans Horn von Afrika entsandte, geschah dies bekanntlich zur Unterstützung der USA im Terror-Krieg...
- Auf Ruanda wirkten im Prinzip die selben Mechanismen. Das besondere Ausmaß der Gewalt hier erklärt sich aus dem Hinzutreten von zwei Phänomenen, die mit Globalisierung nur indirekt zu tun haben: Einer vom Kolonialismus gezielt kultivierten Klassengesellschaft (deren "Hutu" und "Tutsi"(13) freilich bis heute hartnäckig als ethnische Kategorien dargestellt werden), sowie einem Stellvertreterkonflikt zwischen Frankreich und den USA (in dem die Bis-dato-Hegemonialmacht Frankreich das Völkermordregime protegierte und die USA die Tutsi-Rebellen wobei es den USA weniger um das ressourcenarme Ruanda ging als um den benachbarten Kongo und um das Erdöl des afrikanischen Kontinents: Mittelfristig wollen sie den von dort bezogenen Anteil von derzeit ~16% auf 25% steigern.( 14))
- Auch auf Jugoslawien, politisch zwischen Ost und West und ökonomisch zwischen Erster und Dritter Welt angesiedelt, wirkten die o.g. Globalisierungseffekte(15), hier jedoch mehr die vorhandene Industrie betreffend: Allein 1989-1990 trieben die SAP binnen einen Jahres weit über 1.000 Betriebe in den Konkurs, was über ½ Million Menschen arbeitslos machte (~19% der Industriearbeiterschaft). (16)
Hinzu kamen (wie im Falle Ruandas) externe Hegemonialinteressen von USA und Westeuropa hier jedoch mit gemeinsamem Ziel: Abkoppelung Jugoslawiens von Rußland, Absicherung des AMBO-Pipelineprojekts zwischen Schwarzmeer und Mittelmeer sowie NATO- und EU-Integration).
Als sie hierzu nationalistische und sezessionistische Fraktionen stärkten (incl. der mit Al Qaida verbundenen und keineswegs globalisierungsfeindlichen UCK), traf dies eine durch die Wirtschaftskrise hochgradig vulnerabilisierte Gesellschaft.
Folge war eine Mixtur aus sozioökonomischer Instabilität und Bürgerkrieg mit durchaus gravierenden menschenrechtlichen Konsequenzen. Diese wurden zwar im Kriegsinteresse teils massiv übertrieben und verzerrt (u.a. mit Geheimdienstkontrukten wie dem "Hufeisenplan"). Daß sich die Friedensbewegung jedoch bis heute schwertut mit der Einschätzung des tatsächlichen Problems, hat auch mit dem bisherigen Fehlen einer umfassenden globalisierungsbezogenen Analyse zu tun.
- Sudan und Kongo sind aktuelle Beispiele. Es sind Länder, die beide (wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise) durch ein Mißverhältnis zwischen massiven makroökonomischen und geringen eigenen Kräften destabilisiert werden. Im hier vorgegebenen Rahmen ist eine fundierte Darstellung aber nicht möglich: Zum Kongokrieg (~4 Mio. Tote) werden zB. oft die reichen Rohstoffe genannt, die dem Land mehr schadeten als nutzten ("fatal resources") was aber verzerrend wird, wenn man dabei Lumumba-Mord und Oktroyierung der Mobutu-Diktatur verschweigt.
Im Fall des Sudan ist dagegen schon das Ausmaß von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen strittig und wird von antimilitaristischen Stimmen mE. oft unterschätzt während das milliardenschwere deutsche Eisenbahnprojekt das Land zweifellos spaltet und den Konflikt verschärft. (17)
All diese Beispiele wären erheblich zu vertiefen und durch weitere zu ergänzen. Daß sie nur jeweils einem der beiden Zusammenhänge zwischen Globalisierung und Gewalt zugeordnet sind, erfolgte zur Erleichterung des Einstiegs in den komplexen Sachverhalt. Tatsächlich wirken in jedem der genannten Beispiele beide Komponenten, jeweils in unterschiedlicher Gewichtung. Viel Arbeit also, die da vor uns liegt.
Vielleicht sind aber die folgenden Dinge deutlich geworden:
- Globalisierung ist ein komplexes Thema; der Schlüssel zu seiner Bedeutung liegt in der Definitionsmacht darüber.
- Globalisierung ist ein Friedensthema: Zur friedlichen Lösung der heutigen Konflikte können wir jederzeit aufrufen die Wege dazu ebnen können wir aber nur, wenn ihre Wurzeln kennen.
- Dies gilt insbesondere für die immer größere Zahl humanitärer Krisen. Der Ruf nach "humanitären Interventionen" kommt aus der Kapitulation vor dieser wichtigen Aufgabe der Friedensbewegung.
- Im Globalisierungszeitalter muß Globalisierung IPPNW-Thema werden als Gesundheitsproblem, vor allem aber auch als elementares Friedensproblem.
- Globalisierung sollte daher, wie schon in Frankfurt bei der "GKI-Konferenz", auf unseren Kongressen explizit thematisiert werden in Helsinki ebenso wie in Nürnberg!
Anwtorten auf die geschilderten Konflikte fehlen in diesem Beitrag. Sein Anliegen sind vor allem die zu stellenden Fragen, als obligate Voraussetzung für sinnvolle Antworten. Jürgen Hölzingers Initiative zu diesem Forum-Schwerpunkt ist mE. ein wichtiger Beitrag zur Förderung dieses Prozesses.
Christoph Krämer, IPPNW - AK "Süd-Nord" kraemer.ak-sn@ippnw.de
(Text stark gekürzt Posten der Langversion geplant auf www.rootcauses.de)
Fußnoten:
(1) Betrifft auch den Begriff "Globalisierung" selbst er meint meist etwas, was er NICHT sagt: Neoliberalismus (wobei ich verständigungshalber diesen "Neusprech" hier mitmache).
(2) Zb. Brzezinski (dt.): Die einzige Weltmacht [Beltz 1997]
(3) Analyse von M. Baraki, in: Blätter für deutsche und internat. Politik, Nr. 11/01 www.friedenskooperative.de/themen/terrhg25.htm
(4) A. Roy: Krieg ist Frieden (2001), www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/9-11/kriegfrieden.htm
(5) M. Chossudovsky: War and Globalisation [CDN 2002]
(6) corpwatch.org/print_article.php
(7) M. Chossudovsky: The Globalisation of Poverty [MAL 1997] dt.: Global brutal [Zweitausendeins 2002]
(8) A. Chua: World on Fire How Exporting Free Market Democracy Breeds Ethnic Hatred and Global Instability [UK 2003]
(9) SAPRIN: The Policy Roots of Poverty and Inequality (2004), www.saprin.org/global_rpt.htm
(10) J. Mander, ...: Schwarzbuch Globalisierung [Riemann 2002]
(11) J. Perkins: Bekenntnisse eines Economic Hit Man [Riemann 2005]
(12) Robert Cooper: The Breaking of Nations [UK 2003] - C. ist Stratege von New Labour und EU. Pendant in D: Prof. U. Menzel, TU Braunschweig ("Neuer Kolonialismus!")
(13) "Hutu": Ackerbauern; "Tutsi": Viehbesitzer, Oberschichtsangehörige von den Kolonialisten als Abgabeneintreiber und für Repressionsaufgaben eingesetzt
(14) D.Jahn: Die USA und das Öl Afrikas (SZ 08.07.03), www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/143/14129/print.html
(15) unter Tito (Kroate(!)): lWirtschaftswachstum >5%, Zugang zu Bildung und med. Versorgung frei, Ethnien mischten sich...
(16) M. Chossudovsky: Die "Balkanisierung" Jugoslawiens (Kap. 17 in 7)
(17) J.Wagner: Der Sudan als Spielfeld der Mächte (IMI), www.imi-online.de//2002.php3?id=1160
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