Aus dem Atom-Energie-Newsletter November 2020

Japan will radioaktives Wasser ins Meer leiten

Pläne zur Entsorgung des radioaktiven Kühlwassers in Fukushima

Seit den Kernschmelzen in Fukushima 2011 müssen die havarierten Reaktoren kontinuierlich von außen gekühlt werden. Das Kühlwasser wird dabei stark radioaktiv kontaminiert und zum Teil in große Tanks auf dem Kraftwerksgelände gepumpt. Täglich müssen 170 weitere Tonnen hochgradig kontaminiertes Kühlwasser gelagert werden. Insgesamt sind es bereits mehr als 1,2 Millionen Tonnen Wasser, gespeichert in mehr als 1.000 Tanks, von denen viele hastig und schlecht konstruiert sind und in der Vergangenheit undicht waren.

Obwohl die gesamte Region eine unbewohnte Sperrzone ist, soll nun angeblich der Platz für zusätzliche Tanks nicht mehr ausreichen. So plant nun japanische Regierung, das verstrahlte Wasser in den Pazifik zu verklappen, wo es auf „natürlicher Art und Weise“ verdünnt werden soll – ein Horrorszenario für Anwohner und Fischer in der Region.

Die gesundheitliche Risiken seien „gering“, meint die Regierung, da lediglich das „relativ harmlose“ radioaktive Tritium im Wasser enthalten sei und andere Radioisotope durch ein fortgeschrittenes Flüssigkeitsverarbeitssystem (ALPS) herausgefiltert werden.

Allerdings musste die Betreiberfirma TEPCO 2018 nach Bekanntwerden durchgestochener Dokumente einräumen, dass das damals recht kostengünstig angeschaffte ALPS nicht den Erwartungen entsprach und weiterhin mehr als 62 Radionuklide im  behandelten Wassers zu finden waren, darunter Strontium, Cäsium, Jod und Kobalt. Diese Stoffe könnten sich in Fischen, Meeresfrüchten und Algen anreichern und über die Nahrungskette bald auch ihren Weg in Restaurants und Supermärkte finden.

TEPCO entschuldigte sich für die jahrelange Fehlinformation und gab zu, dass mehr als 80% des gelagerten Wassers weiterhin die Strahlengrenzwerte überschritt. Man versprach größere Sorgfalt für die Zukunft. Doch unabhängige Messungen werden weiterhin nicht erlaubt, sodass man ausschließlich auf die Zahlen des Unternehmens selbst angewiesen ist. Aber diese sind schon brisant genug: eine Abfrage der offiziellen Wassertestwerte vom 31. Dezember 2019 zeigt, dass von mehr als 1 Million Tonnen Wasser nur 28% den gesetzlichen Grenzwerten entsprechen.

Unabhängige Wissenschaftler*innen halten die Verklappung des radioaktiven Wassers in den Tanks für ein unverantwortliches ökologisches und gesundheitliches Risiko und betonen, dass auch das vermeintlich  „harmlose“ Tritium ein Betastrahler ist und somit gesundheitsgefährdend, wenn es eingeatmet, mit der Nahrung, Trinkwasser oder über die Haut aufgenommen wird. Im Körper kann Tritium DNA-Schäden verursachen und somit zu Mutationen und Krebs führen. Vor allem während der Schwangerschaft besteht ein Risiko, dass Tritium über die Nabelschnur und das Fruchtwasser das ungeborene Leben im Mutterleib schädigen und zu späteren Krebserkrankungen führen kann. Auch Entwicklungsstörungen, Unfruchtbarkeit und Herz-Kreislauferkrankungen werden nach Strahlenexposition vermehrt beobachtet.

Dabei ist die Küste vor dem havarierten Atomkraftwerk bereits jetzt massiv von der kontinuierlichen Kontamination betroffen. Die Atomkatastrophe von Fukushima stellt die größte jemals gemessene radioaktiven Verseuchung der Ozeane dar. Die Vielfalt und Anzahl der Organismen im Watt vor der Küste Fukushimas ist laut einer Studie in Nature aus dem Jahr 2016 signifikant dezimiert und immer wieder werden hoch radioaktiv verstrahlte Fische und Meeresfrüchte gefangen, die das knapp 2 Meter hohe Netz am Meeresboden überwunden haben, das TEPCO am Eingang des Hafens von Fukushima Dai-ichi aufgestellt hat. Besonders problematisch sind hierbei langlebige Radioisotope, die in der Nahrungskette anreichern, wie Cäsium-137 und Strontium-90. Sie führen dazu, dass Fische um einen Faktor von 1.000 radioaktiver sind, als das Wasser in dem sie schwimmen.

Anstelle der Verklappung in den Ozean wäre eine weitere, möglichst erdbebensichere Aufbewahrung an Land für einen Zeitraum von etwa 100 Jahren denkbar, da viele der radioaktiven Isotope in dieser Zeit allein durch ihren natürlichen Zerfall einiges an Gefährlichkeit einbüßen würden und dann ganz andere technische Verfahren möglich wären, um das Wasser grundlegend zu dekontaminieren. Unabhängig davon, welche technische Lösungen gewählt werden: Das verstrahlte Wasser ins Meer zu kippen ist sicherlich ein Risiko, welches tunlichst vermieden werden sollte.

 

Dr. med. Alex Rosen ist Kinderarzt und Co-Vorsitzender der deutschen IPPNW

 


Dieser Artikel erschien in gekürzter Form als "Außenansicht" in der Mittelbayerischen Zeitung:
https://www.mittelbayerische.de/meinung-nachrichten/verklappung-muss-verhindert-werden-24341-art1955301.html

 

 

 

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Ansprechpartner*in


Patrick Schukalla
Referent Atomausstieg, Energiewende und Klima
Email: schukalla[at]ippnw.de

Materialien

Titelfoto: Stephi Rosen
IPPNW-Forum 174: Der unvollendete Ausstieg: Wie geht es weiter für die Anti-Atom-Bewegung?
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