von Karl Amannsberger / Forum 179

Gesund durch den Reaktor?

Der Forschungsreaktor Garching und sein brisanter Brennstoff

In Garching vor den Toren Münchens steht ein Atomreaktor. Und er steht buchstäblich, obwohl er vom sogenannten Atomausstieg 2023 nicht betroffen ist und betrieben werden dürfte. Anders als die abgeschalteten deutschen Atomkraftwerke (AKW) produziert der Forschungsreaktor München 2 (FRM 2) der Technischen Universität nämlich keinen Strom, sondern erzeugt durch Kernspaltung Neutronen für die Forschung. Noch etwas unterscheidet ihn von einem AKW: Anstatt auf vier Prozent ist das spaltbare Uran 235 beim Garchinger Reaktor auf 93 Prozent – und damit auf eine atomwaffenfähige Konzentration angereichert. Dieses hoch angereicherte Uran, Highly Enriched Uranium (HEU), löste weltweit Kritik aus.

Schon lange sollte der Reaktor, der vor 20 Jahren startete, auf niedriger angereichertes Uran umgerüstet sein, doch bis heute hat sich nichts geändert. Deshalb hat der BUND Naturschutz in Bayern Klage gegen den Freistaat Bayern mit dem Ziel der Stilllegung des Reaktors erhoben – und im Juni in der ersten Instanz in München vorerst verloren.

Das bedeutet, dass der Atommeiler, der wegen verschiedener technischer Probleme seit über vier Jahren außer Betrieb ist, Ende 2024/Anfang 2025 wieder anlaufen dürfte. „Angesichts der weltweit wachsenden Atomgefahren ist der Weiterbetrieb des Forschungsreaktors Garching mit atomwaffenfähigem Uran-Brennstoff unverständlich und ein völlig falsches Signal“, findet die IPPNW-Vorsitzende Angelika Claußen.

Von Anfang an umstritten


Schon in der Planungsphase in den 1990er Jahren sorgte der brisante Brennstoff  für internationale Verwerfungen, sogar mit den USA. Die Vereinigten Staaten hatten in den 1970er Jahren die weltweite Umstellung des Betriebs von Forschungsreaktoren von hoch angereichertem auf niedrig angereichertes Uran angestoßen, um die Gefahr der Verbreitung (Proliferation) von atomwaffenfähigem Material einzudämmen. Ein ziemlich erfolgreiches Programm, mit dem es gelang, durch besondere hochdichte Materialien anstelle von hoher Anreicherung die gewünschten hohen Neutronenflüsse in Reaktoren zu erzielen. Die Münchener Forscher wollten entgegen der Absicht des Programms mit der Kombination von neuartigen Materialien und einer hohen Anreicherung sehr hohe Neutronenflüsse in einem vergleichsweise kleinen Reaktor erzeugen. Die Vereinigten Staaten – traditionell Lieferant von Uran für die deutschen Forschungsreaktoren – weigerten sich daraufhin, den FRM 2 zu beliefern. Doch die Garchinger Physiker, massiv unterstützt von der CSU-Regierung, ließen sich auch durch weltweiten Widerstand nicht von ihren Plänen abbringen.
Der Bombenstoff aus Moskau

Obwohl die USA ab 1992 kein HEU mehr exportierten, erweckte die TU München lange den Eindruck, als gäbe es bei der Versorgung mit HEU kein Problem. Man greife auf „mitteleuropäische Quellen“ zurück, wurde behauptet. In Wirklichkeit fanden geheime Gespräche in Moskau statt, was die TU leugnete. Doch die Lüge flog auf. Es wurde ein Rahmenabkommen mit der Russischen Föderation über die Lieferung von 1.200 kg HEU unterzeichnet. Bis heute schweigt sich die TU über die tatsächlich gelieferte Menge aus.
Mit dem Antritt der rot-grünen Bundesregierung 1998 ging das jahrelange Ringen um den Einsatz des HEU in eine entscheidende Phase. Die Auseinandersetzung endete vorläufig damit, dass der seinerzeitige grüne Umweltminister Jürgen Trittin die vom Bayerischen Umweltministerium geplante Genehmigung für den Betrieb des FRM 2 nur unter der Bedingung akzeptierte, dass der Reaktor bis Ende 2010 auf den Betrieb mit weniger als 50 Prozent angereichertem Uran umgestellt sein musste. Doch das ist bis heute nicht geschehen, obwohl es ohne nennenswerte Einbußen bei den wissenschaftlichen Experimenten möglich wäre.

Eiertanz um die Umrüstung

Die Umrüstung des Reaktors wurde wieder und wieder verschoben, zuletzt in einer geheimen Vereinbarung zwischen dem Bundesforschungs- und dem bayerischen Wissenschaftsministerium sogar ohne Fristsetzung. Da riss den Kritiker*innen des HEU-Einsatzes der Geduldsfaden. Der BUND Naturschutz in Bayern, das Umweltinstitut München, die Grüne Landtagsfraktion und die örtliche Bürgerinitiative forderten 2019 die Einstellung des Betriebs. Ein Rechtsgutachten hatte nachgewiesen, dass der Reaktor wegen der nicht erfolgten Umrüstung seit 1. Januar 2011 keine Genehmigung mehr habe und sein Betrieb somit illegal sei. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) folgte aber mit seiner Ablehnung der Klage im Wesentlichen den Argumenten des bayerischen Umweltministeriums. Die in der Genehmigung festgelegte Frist zur Umrüstung des Reaktors von auf 93 % hoch angereichertem und damit waffenfähigem Uran 235 auf niedriger angereichertes Uran bis Ende 2010 sei „völlig frei gesetzt“ sei und objektiv nicht einzuhalten gewesen. Bund Naturschutz-Landesgeschäftsführer Peter Rottner erklärte dazu, „dass er die mit dem FRM II-Prozess verbundenen grundsätzlichen Rechtsfragen für so bedeutend halte, dass auch die nächste Instanz gefragt werden wird“. So ist es recht wahrscheinlich, dass sich die Klageparteien vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wiedersehen.

Möglicherweise durch die Klage unter Druck geraten, präsentierte die TU 2023 überraschend Pläne, wonach es jetzt sogar möglich sei, in einem Schritt von 93 Prozent auf weniger als 20 Prozent Anreicherung umzustellen. Nach Ansicht von Umweltschützer*innen und Kritiker*innen des HEU-Einsatzes handelt es sich dabei aber wieder um ein Spiel auf Zeit. So müssen z.B. bei dem gewählten neuen Brennstoff (monolithisches Uran-Molybdän) umfangreiche Bestrahlungstests einem jahrelangen Genehmigungsverfahren vorausgehen, das angeblich schon 2025 eingeleitet werden soll. In der oben erwähnten Vereinbarung heißt es dazu: „Die Parteien sind sich einig, dass der FRM 2 bis zur Umrüstung weiterhin mit HEU betrieben werden muss.“ Selbst die TU spricht von einem Regelbetrieb nicht vor 2032.

Gesund durch den Reaktor?

Warum aber bestehen die Garchinger Neutronenforscher so hartnäckig auf dem Einsatz des hoch angereicherten Urans und dem damit verbundenen hohen Neutronenfluss? Eine besondere Rolle spielt dabei die Medizin – weniger in der Praxis, dafür schon seit den 1990er Jahren  umso mehr in der Öffentlichkeitsarbeit. Krebs – das klingt auch heute noch in den Ohren vieler Menschen wie ein Todesurteil. Berichte in den Medien über neue Therapien gegen diese Geißel der Menschheit können sich der Aufmerksamkeit sicher sein.  

So sah der damalige Präsident der TU Wolfgang Herrmann mit dem FRM 2 eine „neue Ära …. in der Behandlung, in Diagnose und Therapie insbesondere von Krebserkrankungen“ heraufziehen. Doch statt von seinerzeit propagierten 120 Behandlungen pro Woche spricht die TU heute von insgesamt 120 Patient*innen, die in den 20 Jahren seit Betriebsbeginn des FRM 2 von einer Strahlenbehandlung profitiert hätten. Die direkte Tumorbestrahlung sei „nicht der Riesenerfolg“ gewesen, sagt die TU heute. Das hatten Kritiker*innen der Anlage freilich schon lange vorhergesagt. In der Auseinandersetzung um den Bau des Reaktors und seine Bedeutung für die Medizin war schon früh deutlich geworden, dass es zu der Krebstherapie mit Neutronen billigere und besser geeignete Alternativen gibt. Der 2011 verstorbene Münchener Mediziner und Biochemiker Prof. Roland Scholz beurteilte seinerzeit die Notwendigkeit des Reaktors für die Medizin mit harschen Worten: „Der Neubau eines Forschungsreaktors in Garching (…) instrumentalisiert die Krebsangst der Menschen (…) im Interesse von Profit und Prestige.“

Inzwischen wird von den Reaktorbetreibern  die mögliche Produktion von Radiopharmaka herausgehoben. So soll eine leistungsfähige Produktion des Radioisotops Lutetium 177 aufgebaut werden, mit dem ein sehr spezieller Prostatakrebs behandelt werden könnte. Pressesprecherin Andrea Voit rechnet damit, dass – wenn der Reaktor wieder in Betrieb ist – pro Woche 2.500 Patientendosen des erst 2022 zugelassenen und daraus hergestellten Medikaments produziert werden könnten.

Und auch Molybdän 99, das zu Technetium 99 zerfällt, welches in drei Vierteln aller weltweit durchgeführten nuklearmedizinischen Diagnosen eingesetzt wird, soll künftig am FRM 2 produziert werden. Auch hier weckte man früher hohe Erwartungen, die nicht erfüllt wurden. Die europäischen Forschungsreaktorbetreiber hatten den Beginn der Produktion in Garching schon für 2019 in Aussicht gestellt. Tatsächlich wurde der lange vorher gestellte Antrag überhaupt erst 2022 genehmigt. Ob sich die hohen Erwartungen, die mit medizinischen Anwendungen des umstrittenen Reaktors verbunden sind, diesmal erfüllen? Von Engpässen oder gar Notständen in der Versorgung mit Radiopharmaka wurde während des fast fünfjährigen Stillstands des Garchinger Reaktors zumindest einer breiten Öffentlichkeit nichts bekannt. „Fast jede Universitätsklinik betreibt sowieso einen eigenen Teilchenbeschleuniger für Bestrahlungen und die Produktion von bestimmten Radiopharmaka“, weiß Angelika Claußen.

Offen ist aber auch die Entsorgung der abgebrannten Brennelemente des Reaktors. Immer noch atomwaffenfähig, lagern sie in einem Becken des Reaktors, das fast randvoll ist. Da es kein Endlager gibt, sollen sie in ein Zwischenlager im nordrhein-westfälischen Ahaus. Die Stadt Ahaus wehrt sich, die Genehmigungen sind noch nicht erteilt, aber die Zeit drängt, falls der Reaktor tatsächlich wieder in Betrieb geht. Drohen noch 2024 Transporte atomwaffenfähigen Materials quer durch Deutschland?

Karl Amannsberger ist ehemaliger Leiter des Präsidialbereichs beim Bundesamt für Strahlenschutz.

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Ansprechpartner


Patrick Schukalla
Referent Atomausstieg, Energiewende und Klima
Email: schukalla[at]ippnw.de

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Materialien

Öffentliches Fachgespräch im Bundestag zum Thema „Austausch über die Atomkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima sowie die aktuelle Situation in Saporischschja“ vom 15. März 2023

Statement von Dr. Angelika Claußen "Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie – zivil wie militärisch"

Titelfoto: Stephi Rosen
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