Kosovo

von Lorenz Grischek

Die Reise in den Kosovo war eine langsame und eine gemeinsame. Zu viert saßen wir in Zügen und Bussen, aller zwei Länder zweigte jemand ab. Die letzte Busetappe nach Prishtina fuhr ich allein und ließ mich von nahen Hügeln und fernen Bergen im Kosovo begrüßen.

Der Kosovo ist ein junger Staat, der 1999 aus einem Krieg zwischen kosovarischen Kräften und der jugoslawischen Armee hervorging. Die Wunden dieses Krieges sind tief und prägen immer noch wesentlich die Menschen im Land, auch die Verteilung von Wohlstand und die Politik auf allen Ebenen. Besonders deutlich wird das in kollektiven und persönlichen Kriegs- und Fluchterfahrungen, die beinahe alle Menschen gemacht haben. Ein Ergebnis davon ist vermutlich das Misstrauen in staatliche Strukturen und ein sehr starkes Nationalgefühl. In den Monaten meines Aufenthalts war viel in Bewegung, die Klimabewegung kam an mit Demonstrationen und Aktionen, das Parlament löste sich auf und Neuwahlen standen an, gegen ein illegales Bauprojekt im Nationalpark fanden Proteste statt. Es war spannend und anregend, diese Entwicklungen zu beobachten und mit den Aktivistinnen in Prishtina im Austausch zu stehen.

Prishtina selbst ist eine wachsende Stadt mit alten und neuen Kernen, mit Löchern, Narben und voller schöner lebendiger Flecken. Als Hauptstadt, größte und zentrale Stadt des Landes zieht sie viele junge und jüngere Menschen an. Hier konzentrieren sich Politik, Wirtschaft und Geschäfte des Landes.

Am ersten Tag vom Busbahnhof aus gesehen türmten sich Wohnblöcke, Straßen und Bürohochhäuser vor mir auf. Ein Scheinriese vom niedrigsten Punkt aus gesehen.
Um sie ganz zu verstehen fehlte mir eine Hälfte Zeit und eine Hälfte Enthusiasmus. Es war schön, durch unbekannte Straßen zu laufen und ebenso schön, eine ganze Hälfte zu vermuten, in die ich noch keinen Fuß gesetzt hatte.
Meine Orte wurden im Lauf der Monate der Boulevard, ein naher Park, ein kleines Kino und vor allem ein alternatives Zentrum. Der Boulevard führt durch die Mitte der Stadt, steht voller Cafétische und vibriert nachts vor Menschen, die auf und ab ziehen, an Buden Spiele spielen, die Tische füllen und auf den Bänken sitzen und schauen. Der Park liegt zwischen alten Gebäuden aus Beton und um sie herum, nach Sonnenuntergang kommen Leute wie ich zum Picknick, Joggen oder Flanieren hierher. Das kleine Kino, zeigt in heimeligen Sälen die Filme der Saison, zwei gute und zwei schlechte sah ich in den zwei Monaten.
Am meisten Zeit verbrachte ich im Termokiss. Vor fünf Jahren entstand dieser Ort mit der Instandbesetzung einer Industrieruine. Seitdem ist er ein Raum für Workshops, Vorführungen, Konzerte, genauso aber auch Arbeits- und Probenraum, Café und Treffpunkt. Getragen wird er von einer Gruppe junger Menschen, die selbstorganisiert all das auf die Beine stellen. Es ist sehr leicht, dort Anschluss zu finden und sich einzubringen. Oder zu den vielfältigen Veranstaltungen zu gehen. Termokiss lege ich auf jeden Fall allen Reisenden nach Prishtina ans Herz.

Meine Famulatur absolvierte ich im QUKK, dem größten Krankenhaus und einzigem Maximalversorger des Landes. Als Bereich hatte ich mir die Anästhesie ausgesucht, weil mir in diesem Bereich meine fehlenden Sprachkenntnisse weniger hinderlich waren. Für vier Wochen war ich im Operationstrakt und lernte viel über das Fach. In den Gesprächen auf Englisch mit Ärztinnen und Pflegenden lernte ich noch viel mehr über die Alltage, Sorgen und Leben der Arbeitenden im Krankenhaus. Wieviel ich praktisch mitarbeiten und lernen konnte, lag vor allem an meinem Nachfragen. Die Möglichkeit wurde auf jeden Fall geboten.
Medizinisch waren Methoden sehr gut vergleichbar, einige Details waren aus Kostengründen anders und Einmalmaterial stand nicht im gleichen Maße zur Verfügung wie in Deutschland. Die meiste Zeit verbrachte ich in der Thoraxchirurgie. Dort wurden vor allem Mastektomien durchgeführt, Kosovo hat ein sehr intensives Brustkrebsscreeningprogramm.
Ich wurde von den Mitarbeiter*innen sehr freundlich aufgenommen und eingebunden. Gleichzeitig musste ich mich mit der Vorzugsbehandlung auseinandersetzen, die ich als Mensch aus Deutschland erhielt.

Für meinen Engagement-Teil suchte ich mir verschiedene Aufgaben, half engagierten Bekannten und wollte zwei Veranstaltungen organisieren. Einen festen Arbeitsplatz oder eine Organisation hatte ich dabei nicht. Mir wurde schnell bewusst, dass meine Möglichkeiten an einem fremden Ort und ohne Sprache sehr begrenzt sind und das meiste davon gelang am Ende nicht. Mit etwas Zeit konnte ich damit aber gut umgehen. Von da an war ich zufrieden, im Termokiss hinter der Bar zu stehen, bei Workshops zu helfen und in Plena den Diskussionen und Perspektiven zuzuhören.
Über eine Studentin aus der kosovarischen IPPNW-Gruppe lernte ich Jimmy kennen, der dabei war, in einer nahen Stadt eine Musikschule zu gründen. Im zweiten Monat besuchte ich ihn zwei Mal und versuchte, für ihn deutschsprachige Förderer anzuschreiben.
Zuletzt verbrachte ich noch eine Woche in den Bergen auf einem Landwirtschaftsprojekt, vor allem für mich, für Ruhe, Luft und Handarbeit.

Der Kosovo steht wegen seiner Konflikte im Zentrum der Aufmerksamkeit westlicher Staaten, wodurch es eine Vielzahl an geförderten Initiativen und Organisationen der Zivilgesellschaft gibt. Das ist eine gute Möglichkeit, für den Engagieren-Teil eine Aufgabe zu finden, die zu euch passt. Gleichzeitig finde ich es wichtig, die Zielstellungen und das Selbstverständnis solcher Organisationen sowie eigene Ansprüche und die eigene Rolle im Ausland zu hinterfragen.

Vom Programm F&E hatte ich über Freunde gehört. Das Konzept, über die Famulatur hinaus einen Einblick in lokale Probleme zu bekommen, reizte mich sehr. Am Ende war es eher ein Einblick in meinen eigenen Umgang mit Fremde und meinen Platz darin. Engagement hatte in diesem Zusammenhang mehr mit Zuschauen zu tun als mit Arbeiten, mehr mit Zuhören als Einbringen. Und viel mit der Reflexion, auf welche Art ich für andere Orte und Menschen Verantwortung übernehmen kann. Nicht in zwei Monaten an ihrem  Ort, sondern immer und an meinem Ort. Für diese Erfahrungen bin ich sehr dankbar.

 

 

 

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