Zweimal Rumänien und zurück. Dass ich gerne f&e machen wollte, stand für mich schon lange fest. Dass es mich nach Rumänien bringen sollte, stand für mich eigentlich auch relativ lange fest: In ein Land, das uns im deutschen Gesundheitssystem doch sehr häufig begegnet, sei es aufgrund von Pfleger*Innen, Ärzt*Innen oder Patient*Innen – und leider auch außerhalb vom Gesundheitssystem in Form von nicht versicherten EU-Bürger*Innen. Mich beschäftigte Rumänien somit schon eine Weile und ich wollte dieses Land sehen, von dem die Leute Tränen in den Augen haben, wenn es um die Schönheit der Wälder, Berge und Flüsse geht, und Tränen in den Augen haben, wenn es um Korruption, Armut und Chancenungleichheit geht.
So entschied ich mich dazu, Erasmus in Iaşi zu machen und umso mehr freute ich mich, als ich auch für f&e in Rumänien genommen wurde. Direkt nach meiner letzten Klausur Ende Juni machte ich mich also kurzerhand auf den Weg zurück nach Deutschland, zum Vorbereitungswochenende der IPPNW. In den Wochenenden liegt auf jeden Fall auch eine Stärke des Programms. Denn auch wenn man ziemlich selbstständig darin ist, sich die Dinge zu organisieren, die man im Gastland dann machen wird, geben einem die Wochenenden zu Vor- und Nachbereitung einen Rahmen, in dem man sich mit Nicht-Organisatorischem auseinandersetzen kann.
Und so machte ich mich Ende Juli nach etwa 3 Wochen Urlaub zuhause wieder auf den Weg zurück nach Rumänien. Da ich im Winter mit dem Bus angereist war, entschied ich mich nun für den Nachtzug nach Bukarest. Und so kam ich einmal in tiefster Nacht bei -15°C und beim zweiten Mal mitten im Berufsverkehr bei über 30°C an. Bis ich mich im Hitzechaos zurecht- und die Metrostation gefunden hatte, dauerte es eine Weile, aber dafür musste ich im Anschluss nicht mehr so lange warten bis ich mich mit meiner Mitbewohnerin treffen konnte. Bukarest ist dann eben doch eine wirklich große Stadt, in der ich nun auch viel Zeit in der Metro verbracht habe.
Meine Famulatur durfte ich in der Sozialklinik von der Fundația Regina Maria machen. Regina Maria gehört zu der größten Gruppe von Privatkliniken in Rumänien und der Gründer entschied sich vor einigen Jahren dazu, eine Stiftung einzurichten. Diese Stiftung ermöglicht über die Organisation von Sozialkliniken auch denjenigen einen kostenlosen Zugang zum Gesundheitssystem, die in Rumänien ansonsten außen vor wären. Bereits vor Beginn meiner Famulatur war ich ziemlich begeistert von dem Projekt, da ich in Deutschland seit vielen Jahren bei Medinetz Mainz aktiv und sehr dankbar für die Arbeit der Sozialklinik von Armut und Gesundheit in Mainz bin. Somit wollte ich mir sehr gerne die Gegebenheiten einer Sozialklinik in Rumänien ansehen. Die Klinik war so aufgestellt, dass es immer mindestens einen Allgemeinarzt gab, der auch fest angestellt ist. Der Großteil der anderen Ärztinnen und Ärzte, die etwa einmal pro Woche kamen, waren ehrenamtlich tätig. Somit hatte ich auch ab und zu die Möglichkeit noch in ein paar weitere Fachrichtungen abseits der Allgemeinmedizin zu schnuppern. Neben Ausflügen in die Gynäkologie, Augenheilkunde und internistische Sonographie hatte ich so auch die Gelegenheit, mich hin und wieder bei den Zahnärztinnen und -ärzten abzukühlen. In deren Behandlungssaal war immer etwas los und vor allem die Klimaanlage meistens eingeschaltet. Am beeindruckendsten für mich war eine Stunde, in der 12 Zähne gezogen wurden.
Mein Hauptkontakt war aber der Allgemeinarzt der Klinik, der auch die Leitung innehatte. Er nahm sich viel Zeit für mich, mit mir die Schwächen und Stärken unserer beiden Gesundheitssysteme zu diskutieren. Leider erwischte ich nämlich ein wenig das Sommerloch, was heißt, dass ein Großteil der Patient*innen über die Sommermonate nicht in die Klinik kommen, da viele über die Sommermonate unter anderem ans Schwarze Meer fahren, um dort im Tourismus mitzuarbeiten. Aber so gab es genügend Zeit, dass ich mein Rumänisch weiter üben konnte und auch die ein oder andere Erstanamnese und Erstuntersuchung bei neuen Patient*innen machen durfte, ohne dass wir unter Zeitdruck geraten wären. Natürlich wurde in der Klinik keine Highend-Versorgung angeboten, aber in dem Rahmen, der den Leuten von der Policlinica Sociala gegeben ist, leisten sie wirklich große Arbeit. In vielen Bereichen muss man in einer Sozialklinik eben auch kreativ werden. Das fing an bei der „banalen“ Einstellung des Blutdrucks ohne Möglichkeit der Langzeitmessung oder überhaupt einer ambulanten Messung zu Hause und endete bei der Finanzierung einer Chemotherapie bei Darmkrebs.
Für mein Sozialprojekt ging ich ins nationale Institut für Mütter- und Kindergesundheit „Alessandru Rusescu“, in das Kinderspielzimmer von der Fundația Inocenți. Inocenți ist eine Organisation, die sich um Kinder kümmert, die für längere Zeit im Krankenhaus sein müssen,vor allem um Kinder, die keinen oder sehr geringen sozialen Rückhalt haben. Sie sollen nicht nur Patient*in sein, sondern im Spielraum von Inocenti auch Kind sein dürfen. Gegründet wurde Inocenți Anfang der 90er, nachdem die katastrophalen Verhältnisse, die in rumänischen Kinderheimen und -krankenhäusern teilweise herrschten, weltweit bekannt wurden. Die von einem amerikanischen Fotographen, der Rumänien Anfang der 90er mehrmals bereiste, gegründete Organisation wollte nicht nur mit Sachspenden die Kinder unterstützen, sondern Strukturen anlegen, die diesen Kindern zumindest das ein wenig geben können, was diese Kinder dringend benötigten: Zuneigung und Geborgenheit. Somit gründete sich ein Team aus Sozialarbeiter*Innen, Psycholog*Innen und Pädagog*Innen, das in verschiedensten Standorten zusammen mit vielen Freiwilligen genau diese Strukturen schaffte.
Ehrlich gesagt war ich vor Beginn eher skeptisch, ob es sich wohl wirklich um ein geeignetes Sozialprojekt handeln würde, "einfach" mit kranken Kindern zu spielen. Aber ich muss gestehen, dass es sehr viel mehr war als nur das. Es hat mir einerseits Einblick in die rumänische Vergangenheit des Gesundheitssystems gewährt wie auch die Gegenwart und meinen Blick dafür geschärft, den Menschen hinter der hospitalisierten Person nicht zu vergessen. Einfach gesagt habe ich ein paar Wochen Kinder gewickelt, Fläschchen und Brei gefüttert, mit Rasseln gerasselt und mich mit meinem bröckeligen Rumänisch durch Kinderbücher gequält, das Ganze in einem stinkigen kleinen Raum, dessen Teppichboden nach Kinderpups und ein wenig Babykotze roch.
Aber eigentlich hatte ich die Chance, ein unglaublich wichtiges Projekt für kurze Zeit zu unterstützen. Denn für die Kinder, die von Inocenţi abgeholt werden, ist dieser kleine miefige Raum viel mehr. Es ist teilweise ihre einzige Möglichkeit, dem Krankenhausalltag zu entkommen, mit anderen Kindern in Kontakt zu kommen, in den Arm genommen zu werden und einfach einmal Kind sein zu dürfen. Denn die meisten Kinder, die von Inocenţi betreut werden, haben kaum einen familiären Halt. Manche Kinder wurden von ihren Eltern "abgegeben", vor allem die mit stark einschränkenden Syndromen und multiplen Diagnosen, manche Kinder haben Eltern, die wahrscheinlich selbst mehr als nur finanzielle Probleme haben, die sie davon abhalten, sich adäquat um ihre Kinder zu kümmern. Und all diese Kinder haben im Krankenhausalltag nicht besonders viel zu lachen. Die Schwestern sind chronisch unterbesetzt, da bleibt nicht viel Zeit für Zärtlichkeit. Umso beeindruckter war ich von meinen Kolleginnen, die teilweise bereits mehrere Jahre für Inocenţi arbeiten. Jedes Kind, das kommt, hat seine eigene, meist recht traurige Geschichte und es kommen sehr viele Kinder, und all denen schenken die Mitarbeiterinnen von Inocenţi ihre Aufmerksamkeit. Ich bin froh, diese starken Frauen kennengelernt zu haben.
Rumänien wird mich noch lange beschäftigen. Gerade die letzten zwei Monate meines Aufenthalts waren nochmal sehr intensiv für mich. Ich habe gute Freunde gefunden, tiefgründige Gespräche geführt und fantastischen rumänischen Wein getrunken. Ich habe ein unglaublich vielschichtiges Land kennenlernen dürfen, das mich in seiner Hässlichkeit und Schönheit so einige Male auch zu Tränen gerührt hat. Ich habe mich in Bukarest verliebt, verloren und ein bisschen verwirklichen können. Und ich bin froh, meine Erlebnisse im Rahmen von f&e noch einmal für mich und andere durchdenken zu können. So ist es jetzt eben nicht einfach nur eine Famulatur, die ich eben einmal im Ausland gemacht habe, sondern ein länger währendes und länger reflektiertes Projekt, das mich in meinem zukünftigen Weg als Medizinerin sicher ein Stück weit geprägt hat.
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