Ich habe das Vergnügen, von einem sehr schönen und inspirierenden Austausch zu berichten und hoffe, ich kann auch in anderen die Lust auf dieses Programm wecken. Man möge mir verzeihen, dass ich stets die grammatisch männliche Form benutze, womit ich aber alle Geschlechter meine.
Ich wollte gerne mit f & e nach Indien, um mehr vom indischen Gesundheitssystem zu verstehen, um mehr über NGO Arbeit zu lernen, wofür sich in Indien zahlreiche faszinierende Beispiele finden, um auf dem Wege alte Freunde zu besuchen und vor allem, um mehr über Medical Peace Work (MPW) zu lernen. Dieser Wunsch entstand, als ich im vorherigen Jahr in Kolkata am Institute for Indian Mother and Child war. Es hat sich von einem einzigen Arzt mit nicht mehr als einem Koffer zu einer richtigen Institution mit zahlreichen Schulen, Kliniken und sogar Banken für Mikrokredite entwickelt. Diese Entwicklung folgte der Erkenntnis, dass es keine Heilung gibt ohne die Behebung der Ursachen, welche hier als Formen von struktureller Gewalt zusammengefasst werden können. Nach meiner Rückkehr wollte ich mich daher weiter mit diesen Zusammenhängen beschäftigen und freute mich, als ich über f & e die Chance erhielt, Stefi Barner kennenzulernen, die zusammen mit den verschiedenen Akteuren der MPW Partnership, zu der auch die IPPNW zählt, die MPW Online Kurse erstellt hat. Das Fach beschäftigt sich mit den Möglichkeiten von Gesundheitsarbeitern sich für Frieden zu engagieren. Stefi lehrt an der Azim Premji Universität (APU) in Bengaluru, wobei es sich zwar nicht um eine medizinische Fakultät handelt, doch Fächer wie Public Health dürfen die Studenten aller Fachrichtungen belegen.
Bengaluru gilt als das „Silicon Valley Indiens“, doch davon waren wir ein ganzes Stück weit entfernt, auf dem zwischen Dörfern, Rosenfeldern und Vorstadtvillen gelegenen Undergraduate-Campus. Stefi begrüßte mich herzlich und stellte mir sogleich das vielversprechende Programm vor. An den Medical Peace Work Online Kursen waren einige Neuerungen vorzunehmen, außerdem konnte ich mich mit den Krankenschwestern der Universität austauschen, an einigen Kursen teilnehmen und mit zu einer Studienfahrt zum Stamm der Soliga im Tigerreservat der Biligiriranga Hills fahren. Dort waren wir in der Vivekananda Girijana Kalyana Kendra NGO (VGKK) zu Gast. Auch die VGKK ist schnell über das Medizinische hinausgewachsen und arbeitet nun gemeinsam mit den Soliga für Ihre Bildung, für Ihre Rechte innerhalb des Naturschutzgebietes, für nachhaltige Landwirtschaft und letztlich natürlich auch für Ihre Gesundheit.
Sich auf dem hübschen, aber gemütlich kleinen Campus der APU wohlzufühlen, ist auch nicht schwer.
Man kann sehen, dass alles wohlüberlegt und liebevoll eingerichtet worden ist. Sowohl in der Lehre als auch auf dem Campus selbst wird Wert auf Nachhaltigkeit gelegt. Die Lehre ist ziemlich modern und schafft es, Studierende mit sehr unterschiedlicher Vorbildung zu fördern. Die APU genießt weit über Bengaluru hinaus einen guten Ruf für Ihren ganzheitlichen Lehranspruch. Da ich nahe dem Campus untergebracht war, hatte ich jede Menge Gelegenheit, mich mit den Studierenden auszutauschen, wobei mich sehr beeindruckte, wie wertschätzend sie über die Universität sprachen und das breitgefächerte Curriculum nutzen, um ihre Karriere sinnvoll in den Kontext der gesellschaftlichen Entwicklung zu stellen.
Stefi Barner sagte mir, dass sie gerne hier lehrt, weil die APU vermutlich eines der beste Lehrkonzepte der Welt hat und hoffentlich einen bedeutenden Unterschied für Ihre vielseitige Studierendenschaft sowie die Gesellschaft, die sie gestalten werden, machen kann. Sie investiert sehr viel ihrer Zeit und Energie in ihre Arbeit. Wie konsequent, aber bedacht sie sich für das einsetzt, was sie als wichtig empfindet, ist sehr beeindruckend für mich. 
Für den Famulaturteil meiner Reise ging ich an das Dr Vasantrao Pawar Medical College in Nasik, etwa 170km nordöstlich von Mumbai. Dort bietet die Studierendengruppe der Indian Doctors for Peace and Development (IDPD), welche die indische Repräsentation der IPPNW ist, eine Plattform für die medizinische Friedensarbeit. Unter der Leitung von Dr. Jeetendra Singh konnten wir gemeinsam eine Veranstaltung auf die Beine stellen. Das stark hierarchische System der ärztlichen Ausbildung prägt allerdings die Arbeit der IDPD Gruppe ebenso wie das Arbeiten im Krankenhaus. Dort durfte ich auf der Kinderintensivstation hospitieren, an der morgendlichen Visite teilnehmen, wobei der Oberarzt so nett war, für mich alles auf Englisch zu erläutern sowie Lernaufgaben zu geben. Die restliche Zeit verbrachte ich damit, die Lehrbücher auf Station zu wälzen, mit den Pflegeschülern zu plaudern oder mich in nonverbaler Kommunikation mit unseren kleinen Patienten sowie körperlicher Untersuchung zu üben. Die Arbeitsbelastung für die Ärzte ist enorm. Die drei Assistenzärzte hatten nur eine einzige Nacht in der Woche frei, weshalb sie im Krankenhaus wohnten. Die Arbeit mit schwer kranken Kindern erfordert so viel Umsicht und gleichzeitig ein hohes Maß an Flexibilität, aber auch ebenso viel Distanzierung vom Schmerz der Kinder wie Einfühlungsvermögen, dass ich größten Respekt vor den unablässig arbeitenden Pädiatern in Nasik gewonnen habe. Nach zwei Wochen wechselte ich in die Dermatologie, wo ich über allen Maßen herzlich empfangen wurde. Alle wurden instruiert, mir so viel wie möglich beizubringen und regelmäßig wurde überprüft, dass ich alles Interessante zu sehen bekam. Alle nahmen sich viel Zeit für mich und schließlich hatte ich nach all zu schnell verfliegender Zeit den Eindruck sehr viele Hautläsionen gesehen sowie erstaunlich viel gelernt zu haben. 
Ich durfte auch auf der Begrüßungsfeier für die Erstsemester singen. Die ehemaligen Erstis betreiben großen Aufwand, um Musik, Tanz, Theater und Comedy auf die Bühne zu bringen, um die neuen Studenten in ihrem Heim für die nächsten Jahre überschwänglich willkommen zu heißen. Da ich nie zuvor auf einem Internat oder in einem Studentenwohnheim gewesen bin, war sowohl Bengaluru als auch der Campus in Nasik eine neue Erfahrung für mich. Am selben Ort mit denselben Menschen zu lernen und zu leben, macht ein ganz eigenes Gemeinschaftsgefühl aus. Ich vermisse die Freunde, die ich in Bengaluru und Nasik gewonnen habe, immer noch sehr und freue mich schon darauf, bald jemanden aus Nasik zu Gast zu haben.
Manchmal setzen einen als allein reisende Frau gewisse Sicherheitsbedenken unter Druck, so durfte ich z.B. abends den Campus in Nasik nicht verlassen. Aber ich habe mehrfach die Erfahrung gemacht, dass die tatsächliche Unsicherheit mit einem noch größeren Maß an Hilfsbereitschaft der meisten anderen Menschen einhergeht. Schließlich bleibt die Erkenntnis, dass alle meine Reisen und Erfahrungen mit f & e in Indien durch die Menschen, die ich dort getroffen habe, so wertvoll für mich geworden sind.
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