HEALTH & HUMMUS:Famulatur im Shalvata Mental Health Center, HodHaSharon, Israel
"Ani medaberetrakanglit" – „Ich spreche nur englisch“ - diesen Satz nutzte ich bei jeder neuen Begegnung, um mich vorzustellen. Und jedes Mal wurde ich freundlich und interessiert willkommen geheißen in dem psychiatrischen Krankenhaus, in dem ich für sechs Wochen im August und September famulierte.Die meisten Tage meiner Famulatur verbrachte ich im Youth Department, außerdem in der gerontopsychiatrischen Ambulanz. Ein paar Stunden habe ich auch mal die ECT beobachtet (Elektrokrampftherapie) und war zwei Tage in der Notaufnahme. Mein typischer Tag begann im Idealfall mit einer Mitfahrgelegenheit mit einer Kollegin oder einem Kollegen von Tel Aviv nach HodHaSharon, was mir fast eine Stunde mehr Schlaf brachte als die Fahrt mit dem Bus. Im Youth Department begann die Frühbesprechung um 08.30 Uhr, hier kommen Ärzt/innen, Pflegekräfte, Psycholog/innen, Lehrpersonal der Schule, Student/innen, die assistieren, und jede Menge Therapeut/innen (Ergotherapie, Sport, Tanz, Musik, Tiere..) zusammen, es werden Vorfälle bzw. Verhalten der Jugendlichen des letzten Tages und der Nacht berichtet. Die Patienten sind zwischen 12 und 18 Jahre alt, etwa 15-20 stationäre Plätze, dazu einige ambulante Tagespatienten. Zur Station gehört auch eine Special Unit, in welcher Kinder ständig 1:1 überwacht werden können, zur Not auch in Fixation oder in dem Raum mit weichem Boden und Wänden. Jeden Morgen entscheiden die Ärzte, wer sich wie frei bewegen darf, also die Special Unit oder die Station verlassen darf und wer in Pyjamas sein sollte, als Zeichen, dass man eher instabil ist.
Da in meiner Zeit dort gerade Sommerferien waren, fand kein regulärer Unterricht in der Schule statt, sondern es wurde versucht, den Jugendlichen ein möglichst abwechslungsreiches Programm zu bieten, was ich mit den Studenten und Therapeuten übernahm. So waren wir einmal schwimmen, einmal in einer Schokoladenfabrik, Tischtennis,… viel Zeit verbrachte ich auch in der Ergotherapie, wo hauptsächlich Handarbeit gefertigt wird. Wenn es Aufnahmegespräche, Case studies oder die wöchentliche Visite gab, versuchte ich bei den Ärzten dabei zu sein und war sehr froh, wenn mir jemand übersetzen konnte. Nach 5 Wochen konnte ich zwar einige hebräische Wörter erkennen, aber keinem Gespräch wirklich gut inhaltlich folgen. Jeden Donnerstagmittag (also vor dem Wochenende, das hier Freitag und Samstag, Shabbat, ist) gab es eine große gemeinsame Runde, es wurden Patienten verabschiedet, die entlassen wurden, was ich immer als sehr emotional empfand, da auch die Eltern dabei waren.
Für mich waren viele Fälle sehr interessant und bewegend, zum Beispiel ein Junge einer arabischen Familie, der sich kaum verstanden fühlte, es musste meistens eine arabisch sprechende Pflegekraft übersetzen. Ebenso war es interessant, wie die muslimischen Patienten zu bestimmten Feiertagen unbedingt nachhause wollten oder die jüdisch-religiösen Patienten an manchen Feiertagen fasteten. Auch der Fall einer Patientin, die mit ihrer religiösen Familie in einer Siedlung in der Westbank wohnt beeindruckte mich, 2005 war diese Familie aus ihrer Siedlung im Gaza-Streifen evakuiert worden, was für die Psyche aller Familienmitglieder sicher nicht förderlich war. Dieser Fall zeigte mir, dass noch ganz andere Einflussfaktoren bzw. Spannungsfelder auf die Psyche von Jugendlichen in Israel wirken können, als zum Beispiel in Deutschland.
Ganz anders war der Ablauf in der gerontopsychiatrischen Ambulanz. Hier sah ich Patienten im Alter von ca. 65 Jahren und aufwärts, mit den spannendsten Lebensgeschichten. Die wenigsten der Patienten in diesem Alter warendort vor Ort geboren (Anfang des 20.Jhd bis 1947/8 britisches Mandatsgebiet), sondern zum Beispiel in Argentinien, Iran, Türkei, Marokko, Rumänien, Polen,.. Es ist also ganz essentiell und selbstverständlich bei Neuaufnahmen zu fragen, mit welchem Alter man denn nach Israel kam. Die Ärztin, die fließend simultan für mich ins Englische übersetzte, oder teilweise ganze Gespräche in Englisch führte, erklärte mir nebenbei prägnante geschichtliche Aspekte, beispielsweise wie verschieden Kriege in der israelischen Bevölkerung erlebt wurden, oder wie Juden aus Ägypten und Jemen nach Israel ‚geholt‘ wurden. Ich lernte, wie viel wichtiger der Familienzusammenhalt in Israel im Vergleich zu Deutschland ist und dass Pflegekräfte in Israel hauptsächlich von den Philippinen kommen, nicht wie bei uns aus Osteuropa. Auch wurde ich langsam zur Expertin im Thema Antidementiva und Antipsychotika und ihre Nebenwirkungen.
Zu meinem Programm der IPPNW gehörten auch verschiedene Begegnungen mit Holocaust-Überlebenden. So der Besuch eines Tageszentrums für Holocaust-Überlebende, 'Amcha', wo ich mich mit den Senioren über ihre Lebensgeschichten unterhielt (auf englisch, jiddisch und mit Hand und Fuss), gemeinsam mit ihnen Musik hörte und tanzte. Außerdem besichtigte ich eine Holocaust SurvivorResidence, also ein spezielles Altenheim, angegliedert an ein anderes psychiatrisches Krankenhaus. Hier konnte ich leider keine längeren Gespräche führen, aber die Atmosphäre war besonders und für mich irgendwie rührend. Es wird sich sehr viel Mühe gegeben, um diesen alten Menschen ein möglichst schönes Lebensende zu ermöglichen. Neben vielen Volontären ist hier auch die Miteinbeziehung der Kinder, Enkelkinder und weiterer Familienangehörigen essentiell, denn häufig waren familiäre Beziehungen aufgrund der traumatischen Ereignisse dieser Menschen schwierig. Auch besuchte ich Yudit Pollak, eine 93-Jährige Holocaust-Überlebende aus Wien in ihrem Zuhause, sie und ihre Geschwister konnten teils legal, teils illegal nach Israel flüchten, während ihre gesamte restliche Familie in Treblinka umkam.
Außerdem stellte ein Psychiater aus Shalvata die Verbindung zu einer psychiatrischen Ambulanz für geflüchtete Menschen und einer refugeeclinic der Physicianfor human rights her. Hier konnte ich erfahren, wie Flüchtlinge in Israel, die meisten aus Eritrea, immer nur auf Zeit geduldet werden und oft in prekären Verhältnissen leben. Obwohl die Zahl der ankommenden Flüchtlinge seit dem Bau einer Mauer an der Grenze zu Ägypten 2014 stark abgenommen hat, bleibt die Abneigung und der Hass auf sie bestehen; immer wieder betonen Politiker, sie wollen ‚den Süden Tel Avivs von den Immigranten befreien‘. Viele der Flüchtlinge wurden auf ihrer Flucht in der Sinai Wüste Opfer von Folter und Menschenhandel.
In Tel Aviv konnte ich fast überall mit dem Fahrrad hinfahren, nahm Tanzstunden und verbrachte viele Stunden am Strand. An Wochenenden fuhr ich mal ans Tote Meer und Jerusalem. Nach Ende meiner Famulatur bereiste ich dann noch 10 Tage den Süden des Landes: Wanderungen in der Negev Wüste, ein Festival, Schnorcheln in Eilat am Roten Meer und drei Tage in Jordanien. Ich durfte so viel Aufgeschlossenheit, Warmherzigkeit, Gastfreundschaft und Großzügigkeit erfahren, ob in einem Beduinenzelt in der Wüste oder bei einem traditionell-religösenShabbatdinner. Relativ schnell gewöhnte ich mich an die viele Militär-Präsenz, ich genoss das gute Essen, den Humor und die Lebendigkeit dieses Landes, die Vermischung von Nahem Osten, wo ich vorher nie gewesen war, mit Westlichem, Europäischem. Ich hatte das Gefühl, dass so viele Geschichten, Meinungen, Hintergründe mit mir geteilt wurden, von denen ich ganz angefüllt bin. Natürlich aber ist Israel kein konfliktfreies Land, so war ich froh, dass eine andere famulieren&engagieren-Teilnehmerin zur selben Zeit in Bethlehem, in den OccupiedTerrorities, also in palästinensischem Gebiet war. Wir besuchten uns oft, reisten gemeinsam und tauschten uns über unsere Erfahrungen aus – ein Versuch, die ganz verschiedenen Perspektiven, Narrative und Lebenswirklichkeiten übereinander zu bringen.
Mein Tipp an alle Bewerber/innen: Israel ist (leider) teuer! Bewerbt euch mit eurer Bewerbung bei der IPPNW im Februar auch gleichzeitig schon prophylaktisch um ein DAAD-Stipendium (Förderung ab 6 Wochen Klinik im Ausland, was ja hier der Fall ist). An meiner Uni zB war der DAAD-Bewerbungsschluss nämlich schon am 31.03.
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