Es war eindeutig eine Entscheidung „aus dem Bauch heraus“ als ich im April in der IPPNW-Geschäftsstelle in Berlin „Rumänien“ antwortete. Die Frage war, wo wir Bewerber*innen am liebsten zwei Monate mit famulieren & engagieren im Sommer verbringen wollten würden. Da seit meiner Schulzeit mein Herz für die osteuropäischen Staaten schlägt war für mich klar, dass ich gerne in ein Balkanland reisen wollte. Rumänien klang für mich nach Spannung, immerhin ist es ein europäisches Land, jeden Sommer kommen viele Rumänen zu uns und kurbeln unsere Spargel- und Erdbeerwirtschaft an aber so richtig wusste ich nichts über dieses Land. Außerdem erinnerte ich mich an die herzlichen Nachbarn meiner besten Freundin, die öfters Päckchen in ihr Heimatland schickten. Klar, Rumänien ist nicht das Urlaubsziel Nr. 1, dennoch fand ich vor meiner Reise heraus, dass in meinem Umfeld tatsächlich schon der ein oder andere dort gewesen war – und sie haben mich in meiner positiven Erwartung bestärkt. Dass ich auch ein paar fragende: „Nach Rumänien möchtest du? Ahaaa...“ - Reaktionen erhielt als ich von meinen Sommerplänen erzählte, fand ich nicht weiter besonders. Das kannte ich von der Zeit vor meinem Auslandsaufenthalt in Lettland – und die Vorurteile, die mir im Vorhinein begegneten, hatten sich dort (auch) nicht bestätigt.
Die Zeit zwischen der Zusage und der tatsächlichen Abreise fühlte ich mich mal voller Vorfreude, mal gestresst (ich wollte mir einen Famulaturplatz in einem Kinderkrankenhaus organisieren und natürlich ein Dach über dem Kopf in Bukarest haben), mal voller Zweifel (das Sommersemester war so schön, dass ich aus Lübeck eigentlich gar nicht für so „lange“ weg wollte) und in der Klausurenphase vergaß ich zwischenzeitlich ganz, dass ich im Sommer in einem fremden Land leben würde. Schließlich war dann aber doch der Tag der Abreise gekommen. Lübecks Kanal strahlte in türkis, die Sonne schien und ich freute mich bereits auf die Heimkehr. Zum Glück durfte ich in meinen Auslandsaufenthalt „hinein gleiten“, denn zusammen mit Lea (Serbien) führte mich meine Zugfahrt über Budapest, wo wir noch drei Tage Zwischenhalt machten. Eine lustiges kleines Abenteuer haben wir noch am Münchener Hauptbahnhof erlebt. Weil ich mit der vom Robert-Koch-Institut empfohlenen Tollwutimpfung viel zu spät dran war, musste ich die letzte Impfung am Abfahrtstag selber durchführen. Diesen Job gab ich dann an Lea weiter, die, als angehende PJ-lerin routiniert und „treffsicher“, mich im Hinterzimmer einer Apotheke am Hauptbahnhof impfte. Danach sprinteten wir zum Zug, der uns in sieben Stunden in die ungarische Hauptstadt brachte.

Unser Kurzurlaub (oder unsere mentale Vorbereitung auf zwei Monate Osteuropa alleine) war wirklich schön. So schön, dass ich schon wieder nicht weiterreisen wollte und Lea, die einen Tag eher abfuhr, lieber nicht ziehen lassen wollte. An ihrem letzten Budapest-Abend begaben wir uns noch auf die Suche nach einem dm, um die leckeren Kekse unserer Zugfahrt noch einmal zu kaufen, bevor es nach Serbien bzw. Rumänien ging. Als sie mir am nächsten Abend schrieb, sie wohne direkt über einem dm in Belgrad wurden wir das erste Mal von unseren falschen Annahmen überrascht. (Einer der ersten Läden, die ich in Bukarest erblickte war ebenfalls ein dm...). Am 12. August stieg ich dann endlich in den Zug nach Rumänien. Voller Spannung erwartete ich die Landesgrenze. Bevor der Zug die rumänischen Städte anfährt ist es üblich, dass sowohl auf der ungarischen als auch auf der rumänischen Seite nahe der Grenze die Türen der Zug für eine halbe Stunde zum Stehen kommt. Nach einer fünfminütigen Rauchpause ertönt ein Signal. Alle Passagiere müssen einsteigen und die Türen werden geschlossen. Grenzpolizisten gehen dann von Passagier zu Passagier und kontrollieren die Pässe. Still und heimlich habe ich mich gefreut, dass die beiden rumänischen Beamten freundlicher waren als die beiden ungarischen. Klar, dass das eine rein subjektive Wahrnehmung war und genauso gut hätte andersherum sein können.
Die Fahrt von Budapest nach Sibiu dauert 11 Stunden. Zunächst beobachtete ich Leute, dann versuchte ich zu lesen, guckte viel aus dem Fenster und trotzdem, nach der Hälfte der Zeit wollte ich endlich ankommen. Glücklicherweise stiegen zwei Stunden vor meiner Ankunft zwei Mädchen in den Zug ein, die sich zu mir setzten. Nach einem kurzen Wortwechsel auf Englisch stellten wir schnell fest, dass unser Herkunftsland das selbe war. Die beiden Deutsch-Rumäninnen besuchten in dort ihre Verwandten. Als sie meinen kleinen Rumänisch-Sprachtrainer in der Hand sahen, erkannten sie meine sprachliches Unwissen sofort und fingen an, mir Rumänisch beizubringen. Schnell schalteten sich noch mehr Mitfahrer ein. So kam ich schon auf der Zugfahrt mit vielen Rumänen ins Gespräch (dank Übersetzerinnen), die letzten zwei Stunden vergingen schnell und ich ahnte, dass f&e in Rumänien gut werden würde. Viele Menschen stiegen mit mir in Sibiu aus und waren zu meiner Überraschung sehr besorgt um mich. Im Zug hatte ich den Mädchen erzählt, dass ich einen Monat in Hosman verbringen würde (der Ort, in dem ich mein Sozialprojekt absolvierte liegt ca. eine halbe Stunde von Sibiu entfernt) – sie hatten es anscheinend auch den Mitfahrern berichtet, die mich jetzt warnten, auf dem Land sei es ganz anders in der Stadt... Eine junge Frau bat mir sogar an, in ihrer Wohnung zu übernachten und mir es am nächsten Tag noch einmal genau zu überlegen. In der Bahnhofshalle erwarteten mich aber bereits Tudor und Angelika aus Hosman. So verabschiedete ich mich von meinen aufgeschlossenen, hilfsbereiten Mitfahrern und fuhr mit den beiden los. Trotz aller Bemühungen hatte mein neu-erlernter Wortschatz bald ausgedient, sodass wir uns mit Gestiken verständigten. Die beiden brachten mir Wörter wie câini (Hunde), oilele (Schafe) oder strada (Straße) bei während ich gleichzeitig die vorbeiziehende Landschaft bestaunte. „Das ist also Transsylvanien“, dachte ich und mir gefiel es auf Anhieb. Ja, sie hatten Recht. Auf dem Land ist es ganz anders als in der Stadt. Und genau das habe ich vier Wochen lang genossen: Weniger Verkehr und genauso viele Pferdekutschen wie Autos, morgendliche Spaziergänge den Hügel hoch, von dem man neben der guten Luft auch beim Herunterlaufen einen wunderschönen Blick auf Hosman genießen konnte, die vielen „bună ziuas“ (Guten Tags) im Dorf, die bunten Häuser und sandigen Straßen...

Zusammen mit Angelika, (eine Frau, die früher in Bukarest gelebt hat und nun seit einiger Zeit in der Bäckerei arbeitete), Maria und Roxana (zwei Mädchen aus dem benachbarten Ziegental) schlief ich in einem Zimmer, in einem Haus, das sich mit dem Haus wo Kapelle, Küche und ein kleines Esszimmer untergebracht waren, den Innenhof teilten. Dank meinen drei Mitbewohnerinnen war ich immer informiert, wann ich zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort sein sollte bzw. zum Essen/ Musikmachen o.ä. kommen durfte oder was sonst gerade so anstand (wer zum Beispiel gerade zum benachbarten „magazin“ [Geschäft]gelaufen war, um Eis für alle zu kaufen). Außerdem brachten sie mir mehr Rumänisch bei und halfen mir, wenn ich Pläne für den kommenden Tag schmiedete. In Hosman unterstützte ich zeitweise Musikstudenten und Hochschullehrer aus München, die meist für ein oder zwei Wochen kamen, bei ihren Chorworkshops. An anderen Tagen war ich für die Freizeitgestaltung der Kinder zuständig, die ihren Tag im Casa Petro, dem Sozialzentrum verbrachten. Dort duschten manche Kinder auch auch, weil sie zu Hause keine Möglichkeit dazu hatten und wir gaben ihnen gewaschene Kleider. Die Ausdauer und Begeisterung der Kinder für die neuen Seile, Diabolos und das Einrad – wohlgemerkt bei 30°C im Schatten - war bewundernswert. Mit den kleinen Jungs, die meist als Gruppe im Dorf unterwegs waren ging ich Fußballspielen und habe mich gefreut, dass auch ich sie mal an die Grenzen ihrer Ausdauer bringen konnte und nicht – wie beim Seilchenspringen und vielem anderen – nur sie mich :). Über die Hintergründe zum Projekt und dem Dorf verweise ich an den Bericht meiner Vorgängerin Maria, die es sehr treffend beschrieben hat.
Am Wochenende gingen wir wandern, was ich jedem sehr empfehlen kann. Als „Flachlandkind“ sind die Berge für mich immer etwas besonderes. Ob querfeldein oder auf ausgeschriebenem Wanderweg (auf dem man meist trotzdem als einziger unterwegs ist) – es lädt zum Genießen ein. So pflückten wir die letzten Heidelbeeren am Wegesrand, picknickten auf dem Gipfel und machten große Bögen um die ein oder andere Schafherde, die von sehr aufmerksamen und verteidigungswilligen Hunden bewacht wurden.
Nach vier Wochen reiste ich weiter nach Bukarest. Zwischen Vorfreude und Neugier auf meine Famulatur und das Leben in einer Großstadt (Lübeck ist die größte Stadt in der ich bisher gewohnt habe...) mischte sich das Gefühl, dass ich das ländliche und vor allem die lieben Menschen aus Hosman sehr vermissen würde. Tatsächlich sehnte ich mich in Bukarest immer wieder nach der Natur und dem dörflichen Leben zurück. Aber wie überall in Rumänien traf ich auch in der Landeshauptstadt auf viele liebenswürdige tolle Rumänen. An erster Stelle natürlich meine Couchsurfingfamilie, die mich herzlich in Empfang nahm, mein Mitbewohner in Crângași, bei dem ich drei Wochen lebte und die Ärzt*innen im Krankenhaus. Den Kontakt zur Chefärztin meiner Station hatte ich über drei Ecken bekommen und bin sehr froh letztendlich wirklich bei ihr als Famulantin gelandet zu sein. Die meisten Tage verbrachte ich auf der Intensivstation für Infektiologie und Neonatologie. Morgens ging ich mit den Ärztinnen auf die Morgenrunde, in der wir die Kinder untersuchten. Zwischendurch las ich mir die Unterlagen zu den Kinder auf der Station durch, ging mit zum Ultraschall, Röntgen & Co, trank Tee und aß rumänisches Gebäck mit dem Personal. Der Tag endete meist (früh im Vergleich zu einer Famulatur in Deutschland) mit der Visiten. Ich war ohne Erwartungen in diese Famulatur gegangen und bin umso dankbarer, dass ich einiges über den Einsatz von Antibiotika, verschiedene Infektionskrankheiten und genetische Syndrome lernte – neben dem, was man noch alles „auf dem Weg mitbekommt“. Die Nachmittage verbrachte ich umher-laufend in einer imposanten Stadt mit großen, geschichtsträchtigen Gebäuden, auf nach frischem Obst und Gemüse riechenden Märkten, beim Joggen im Park Herastro oder mit den Ärztinnen, die mich zu verschiedenen Veranstaltungen in Bukarest mitnahmen. Außerdem hatte ich das große Glück, Besuch von meiner Familie zu bekommen, die sich über Sehenswürdigkeiten u.v.m. deutlich besser informiert hatten als ich, sodass wir uns mit Ortskenntnis und Kulturkenntnis
gut ergänzten.

So wie ich in die zwei Monate gestartet war, beendete ich auch meine Osteuropareise. Am 17. Oktober fuhr ich zum Medizin und Gewissen-Kongress der IPPNW nach Nürnberg. Vorher noch kurz in den hohen Norden? Das lohnte sich nicht, deshalb nahm ich den Rückweg über Prag und verabschiedete mich langsam aus Osteuropa. Rumänien habe ich in diesem Sommer sehr ins Herz geschlossen - obwohl ich nur so einen kleinen Ausschnitt dieses aufregenden Landes entdecken konnte. Ich werde also noch einmal zurückkommen :)!!
zurück