Mazedonien

von Magdalena Grötzner

Als ich die E-Mail mit der Zusage für f&e erhielt,war meine Freude groß. Mein Wunsch, in den Balkan reisen zu dürfen und eine Region kennen zu lernen, über die ich wenig wusste, obwohl sie doch in Europa liegt, wurde erfüllt. Von Mazedonien, einem kleinen Land im Herzen des Balkans, mit ca. 2 Millionen Einwohnern,hatte ich bis dahin noch sehr wenig Vorstellung. Also stattete ich mich mit dem einzigen deutschsprachigen Reiseführer aus, lernte das kyrillische Alphabet und freute mich auf meinen zweimonatigen Aufenthalt in dem mir unbekannten Land, das ich so sehr ins Herz schließen sollte. Denn wenn ich jetzt an meine Zeit in Mazedonien zurückdenke, denke ich an die Freunde, die ich dort in der kurzen Zeit gefunden habe, an die Herzlichkeit und Spontanitätder Mazedonier, die mir das ankommen so leicht machten,das Lebensgefühl, dass alles irgendwie schon klappen wird,  und die Gewissheit, auch in der Fremde ein (kurzzeitiges) zu Hause finden zu können.

Ankunft in der Wärme – Sonne und herzlicher Empfang

Mitte Juli begann für mich das Abenteuer Mazedonien. Nach regnerischen Tagen in Deutschland freute ich mich, am Flughafen in der Hauptstadt Skopje von warmen Sonnenstrahlen begrüßt zu werden. Am Busbahnhof wurde ich dann von zwei mazedonischen IPPNW-Mitgliedern in Empfang genommen und nach einem, wie ich im Laufe meines Aufenthalts lernen sollte, obligatorischen Kaffee, in den richtigen Bus nach Stip, einer 40.000 Einwohner-Stadt im Osten Mazedoniens, gesetzt. Im Bus lernte ich eine junge Psychiaterin kennen, die meine neugierigen Fragen lachend beantwortete. Nicht nur hatte ich so eine erste Ansprechperson in Stip gefunden, sie konnte auch zwischen mir und meinen Vermietern, die mich am Busbahnhof abholten, übersetzen. So war auch die erste Hürde gemeistert und ich konnte die Nacht in meiner alten, aber sehr geräumigen Wohnung im Zentrum vom Stip verbringen. Gleich am nächsten Tag lud mich die Tochter der Vermieter zu mazedonischem Essen ein, wodurch meine Liebe zu mazedonischen Speisen wie Ajvar, gefüllten Paprika und SopskaSalata geweckt wurde. So wurde mir ein warmes Willkommen bereitet und es konnte, wie auch in den darauffolgenden Wochen, keine Einsamkeit aufkommen.

Famulatur

Meine Famulatur absolvierte ich im Krankenhaus in Stip, welches ein relativ großes Einzugsgebiet im Osten Mazedoniens hat. Komplizierte Fälle oder Patienten, die beispielsweise ein CT benötigen, werden allerdings in die Hauptstadt Skopje verwiesen. Nachdem ich die ersten Tage in der Pädiatrie und der Neonatologie hospitierte, wo ich mit Gebäck und Keksen begrüßt wurde, verbrachte ich die meiste Zeit meiner abwechslungsreichen Famulatur auf der Gynäkologie.Unter anderem aus dem Grund, da dort ein Arzt arbeitete, der schon einige Monate in Deutschland verbracht hattedeshalbgut Deutsch sprach. Mein Praktikumstag begann morgens um 8:30 Uhr mit der Visite. Leider konnte ich aufgrund meiner nur geringen Mazedonischkenntnissenur wenig verstehen. Doch durch Übersetzung der wichtigsten Informationen für mich lernte ich dabei, wie auch bei den Ultraschalluntersuchungen am Vormittag, verschiedene Krankheitsbilder dazu. Anschließend konnte ich, je nachdem ob für den Tag Eingriffe geplant waren, zum Beispiel bei Biopsien oder Kürettagen zusehen. Auch einige Abtreibungen wurden in der Zeit in der ich dort war vorgenommen, meist aus dem Grund, dass die Familie nicht für noch ein Kind mehr sorgen konnte. Da die Ärzte sehr bemüht waren, mir so viel wie möglich zu zeigen, hatte ich auch oft die Möglichkeit bei Kaiserschnitten und Geburten dabei zu sein. Die Privatsphäre der Patienitnnen spielte hierbei wie auch in den Patientenzimmern eine untergeordnete Rolle. Oft beobachteten wir zu zehnt eine Geburt und in den Zimmern lagen Frauen zu acht mit ihren Kindern. Woran ich mich bis zum Schluss nur schwer gewöhnen konnte, waren die hygienischen Bedingungen. Während die Pädiaterinnen sorgfältig nach jedem Patienten Hände und Stethoskop desinfizierten, blieb dies in der Gynäkologie aus, und auch die Untersuchungsliegen wurden nur selten desinfiziert oder mit einem Tuch abgedeckt. Anders im OP-Saal, wo versucht wurde, immer so steril wie möglich zu arbeiten.
Die entspannte und freundliche Arbeitsatmosphäre zwischen allen Fachrichtungen und den verschiedenen Berufsgruppen im Krankenhaus, ließen mich im Krankenhaus gut aufgenommen und wohl fühlen.An ruhigen Tagen gehörte eine Tasse türkischer Kaffee mit den Schwestern und den anderen mazedonischen Medizinstudierenden, die zur selben Zeit wie ich Praktikum machten, zum festen Vormittagsprogramm. Hierbei unterstützte uns bei den Gesprächen neben meinen wenigen Mazedonischkenntnissenoft auch Google Translate, sowie Hände und Füße.Und so ist eine der wichtigsten Erfahrungen, die ich aus meinem Aufenthalt mitnehme, dass auch ohne eine gemeinsame Sprache Kommunikation möglich ist. Auch wenn ich bei meiner Famulatur nurwenig an praktischen Fähigkeiten gelernt habe, habe ich theoretisches Wissen dazu gewonnen undentschlossene Ärztinnen und Ärzte kennengelernt, die trotz fehlender Ausstattung gute Versorgung leisten wollen. Derinteressante Einblick in ein anderes Gesundheitswesen, in dem ein großes Problem vor allem fehlende Ressourcen sind, lässt mich die medizinische Versorgung in Deutschland wertschätzen. Im Moment wird neben dem jetzigen in die Jahre gekommenen Krankenhaus ein neues gebaut und die Hoffnung ist groß, dass sich damit die Situation verbessert.

Sozialprojekt–Ein schwieriges, aber sich lohnendes Unterfangen

Auch ich habe das Sommerloch aufgrund von Hitze und Sommerferien, wodurch Projekte auf dem Balkan oft erst wieder im September oder Oktober starten, zu spüren bekommen. Doch meine Kontaktärztin in Skopje leitete einige NGOs an mich weiter.
Schließlich verbrachte ich zwei Wochen meines Sozialprojekts beim Roten Kreuz, wo ich einen Einblick in die Arbeit und Struktur der Organisation bekam.Ich assistierte bei Erste Hilfe Kursen, half bei Blutspendeaktionen und übte mit einer motivierten Schülergruppe für einen nationalen Erste-Hilfe-Wettbewerb, wohin ich sie auch begleiten durfte. Dort wurden in einem Parcour verschiedene Szenarien nachgestellt, mit der Aufgabe an die Teilnehmenden Gruppen die Unfallopfer richtig zu versorgen.
Nachdem das geplante Praktikum bei den Roma Mediators kurzfristig nicht zustande kam, war meine Enttäuschung zunächst groß. Doch sie währte nicht lange, denn ich bekam die Möglichkeit zwei andere Organisationen kennen zu lernen. Zwei Tage begleitete ich den engagiertenVorsitzenden des ‚Vereins für Blinde‘ in Stip, der mir mit großer Begeisterung zum Beispiel die Spiele im Gemeinschaftshaus, die extra so angefertigt sind, dass die Felder beim Schach erfühlt werden können, zeigte.Mitglieder des Vereins sind Menschen, denen mehr als 90% ihrer Sehkraft fehlt. Was mich besondersbeeindruckt hat, war, wie die Fähigkeit einige Instrumente spielen können ohne Tasten oder Seiten zu sehen.
Weitere zwei Tage konnte ich die von Roma geführte NGO National Roma Center in Stip besuchen. Die Organisation wurde 2005 in Mazedonien gegründet und setzt sich für die Gleichberechtigung und Integration der Roma ein. In Stip wohnen ungefähr 5000 bis 6000 Roma, die meisten davon im Roma Viertel, teilweise in einfachen Hütten und manchmal ohne fließendes Wasser. Laut den Mitarbeitern ist ein großes Problem die hohe Arbeitslosigkeit, zum einen durch Diskriminierung, aber auch, durch die oft fehlende Bildung. Mit Hilfe von Rechtsberatung, besserer Gesundheitsversorgung, Schulbesuch der Kinder und Kommunikation mit allen anderen ethnischen Gruppen, versuchen sie,die soziale Situation der Roma zu ändern. Vor allem die Beschaffung von Papieren sei wichtig, da diese Zugang zum Gesundheitswesen und das Erhalten von Sozialversicherung bedeuten. Ich hatte zwar dort nicht die Möglichkeit viel aktiv tätig zu werden, doch es war interessant und in vielerlei Hinsicht lehrreichmehr über dieSchwierigkeiten und frustrierende Situation der vulnerablen Minderheit der Roma zu erfahren.

Politische Situation 

Bei fast jeder längeren Unterhaltung wurde früher oder später die schwierige politische und wirtschaftliche Situation des Landes zum Gesprächsthema. Das politische System, das ganze Land, sei geprägt von Korruption. Oft hörte ich die Frage, weshalb ich hier, im kleinen, wirtschaftlich schwachen Mazedonien, famulieren wolle, wo ich doch in einem wohlhabenden Land wie Deutschland lebe. Ich höre die Träume junger Mazedonier von einem Leben in finanzieller Sicherheit in Deutschland oder Österreich. Doch nicht, weil sie nicht gerne in ‚ihrem‘ Land leben, sondern weil sie keine Möglichkeit sehen, trotz guter Ausbildung eine Arbeit zu finden, und nicht das Gefühl haben, dass Leistung und Anstrengung geschätzt werden. Denn bei der Suche nach einem Job zähle mehr die Zugehörigkeit zur richtigen Partei, als die Qualifikation. Viele erzählen mir, das Leben in Mazedonien sei für Kinder schön, solange die Eltern für einen sorgen, doch später, könne das Leben hier hart sein. Ich kann die Frustration über die ungewissen Zukunftschancen verstehen.

Leben in Stip

Meine Tage begannen meistens mit einem Frühstück auf meinem Balkon, oft mit frischem Obst von dem kleinen Straßenstand direkt vor dem Haus in dem ich wohnte. Da die Mazedonier nach dem Mittagessen vor der Hitze flüchten, vertrieb ich mir die Nachmittage nach den Praktika mit einem Buch im Park, Erkundungstouren durch die Stadt oder einem Einkauf auf dem ‚Grünen Markt‘. Wenn das Leben auf den Straßen abends um 5 oder 6 wieder erwacht, sind die Plätze in den Coffee Bars draußen voll besetzt, Menschen spazieren mit einer Tüte Popcorn oder Nüssen den Fluss entlang und unterhalten sich auf den Bänken im Park. Und so endete auch für mich der Tag fast immer in einer der vielen Coffee Bars mit einem Macchiato oder bei einem Spaziergang durch die Stadt mit Freunden. Außer Mittwochabend, wenn auch in den Semesterferien die Studentenpartys stattfinden und in einer Bar laut zu serbischer Musik gesungen und getanzt wird.
Da ich aus meiner ersten Wohnung nach einem Monat ausziehen musste, änderte sich meine Wohnsituation noch einmal.Durch einen glücklichen Zufall lernte ich die unglaublich herzlichen Vermieter der WG gegenüber kennen, in der noch ein Bett frei war. Unkompliziertließen sie mich dort spontan einziehen und luden mich sofort zum Kaffee zu sich nach Hause ein. In der neuen Wohnung teilte ich mir ein Zimmer mit meiner mazedonischen Mitbewohnerin, mit der ich mich auf Anhieb verstand und trotz der kurzen Zeit eine immer noch anhaltende Freundschaft entstanden ist. Doch nicht nur durch Maya, sondern auch durch die anderen neu gewonnenen Freunde in Stip,wurde mir das Einleben und Wohlfühlen in der neuen Stadt leicht gemacht. Durch die Offenheit und Gastfreundschaft der Mazedonier konnte ich die mazedonische Kultur und den mazedonischen Alltag nicht nur von außen beobachten, sondern ihn miterleben

Reisen - Das Reisen bildet sehr. Es entwöhnt von allen Vorurteilen des Volkes, des Glaubens, der Familie, der Erziehung. (Kant)


Der Balkan lässt sich gut mit dem Bus bereisen, vorausgesetzt man ist bereit, längere Busfahrten auf sich zu nehmen. Und so nutzte ich viele Wochenenden um die schöne Landschaft Mazedoniens und die Umgebung kennen zu lernen. Durch die Offenheit der Mitreisenden, seien es Mazedonier, Albaner, oder andere Backpacker, erwarteten mich auf jedem Ausflug neue Reisebekanntschaften.
Man teilte sich im Bus Kekse, ich erhielt einen kurzen Mazedonisch-Kurs und landete bei meiner Wanderung im Pelister Nationalpark rastend auf einer Bank mit einem älteren Mazedonier, der mir die Besonderheiten des wunderschönen Naturgebiets erklärte.
Eine wunderbare Besonderheit auf dem Balkan ist, sich mit anderen f&elerinnen treffen und sich dabei über neue Erfahrungen austauschen zu können. Und so bereisten Wiebke und ich für ein paar Tage Albanien, besichtigten die Hauptstadt Tirana und verbrachten ein paar entspannte Tage am Strand. Wiebke besuchte mich auch einen Tag in Skopje und ich erlebte einen Tag bei ihr in Prishtina, ehe wir uns zum Wochenende in Sarajevo aufmachten. Dort verbrachten wir mit Wiebke und Lea abwechslungsreiche Tage in der bezaubernden Stadt Sarajevo. Eindrücklich wurde mir bewusst, wie präsent dort immer noch die Spuren des Krieges sind, im Gegensatz zu Mazedonien, das sich 1991 während des Jugoslawienkrieges als einziges Land friedlich unabhängig erklärt hat. Doch in Mazedonien sind die interethischen Spannungen zwischen der mazedonischen und der albanischen Bevölkerung, der mit 25% größten Minderheit, nach dem albanisch- mazedonischen Konflikt von 2001 immer noch spürbar. Obwohl ich auch viele Freundschaften zwischen den beiden ethnischen Gruppen erlebe, besuchen beispielsweise inGostivar, dem Wohnort meiner Mitbewohnerin, Jugendliche teilweise getrennte Cafés.
Einige Tage durfte ich dann bei der Familie meiner Mitbewohnerin dort in Gostivar, dem albanisch geprägten Westen verbringen, wo ich einmal mehr die unendliche mazedonische Gastfreundschaft erleben durfte. Zwei Tage besuchte wir ihren Cousin im atemberaubenden Nationalpark Mavrovo, wo wir abends mit Blick auf den See grillten und ich den Nationalpark so kennen lernen konnte, wie es mir als Tourist nicht möglich gewesen wäre.
Bei meinem Besuch in der Hauptstadt Skopje wurde mir die ungewöhnliche Stadt mit ihren Neubauten im antiken Stil im Rahmen des umstrittenen Projekts ‚Skopje 2014‘ von einem mazedonischen Medizinstudenten nähergebracht. Und der Vorsitzende der mazedonischen IPPNW führte mich durch die verwinkelten wunderschönen Gassen der albanischen Altstadt und erzählte mir die Geschichte der Stadt und des Landes.
Ein Wochenende unternahm ich einen Ausflug zumOhrid-See. Wenn es eine touristische Region in Mazedonien gibt, so ist es dieser inmitten von Hügeln gelegene See, an dessen Ufer die UNESCO- WeltkulturerbestadtOhrid liegt. So verbrachte ich dort viel Zeit mit Reisenden aus aller Welt. In der Nähe traf ich auch einen beeindruckenden jungen albanischen IPPNW-Arzt. In einem kleinen Ort hat er als einziger Arzt eine ambulante Praxis eröffnet. Ich erhielt eine Einladung zu seiner Hochzeit und so durfte ich mich am darauffolgenden Wochenende in den Valle, einen albanischen Tanz, einreihen und mit anderen IPPNW-Studierenden aus Mazedonien, die mich sofort in ihre Mitte nahmen, den Abend feiern.Es war eine wunderschöne Erfahrung.

Abschied

An meinem letzten Wochenende erlebte ich noch das traditionelle Fest Pastrmaljiada, benannt nach einer Spezialität aus Stip, mit. Sänger aus Mazedonien und Serbien traten auf und es wurde bei Essen und Bier gefeiert. Dann war auch schon der Tag der Abreise gekommen. Schweren Herzens musste ich mich von dem lieb gewonnenen Land und vor allem den lieben Menschen verabschieden. Mit einem Rucksack voll hausgemachtem Rakija, Wein und türkischem Kaffee fuhr ich mit dem Bus nach Hause und ließ die sanften Hügel und kleinen Städte Mazedoniens ein letztes Mal (für diesen Sommer) an mir vorbeiziehen.
So sehr ich mich auf Familie und Freunde zu Hause freute, so schwer fiel mir auch der Abschied. Vor allem durch die Menschen, die ich in Mazedonien kennen lernen durfte, wurde meine Zeit so bunt, vielfältig und bereichernd.Ich bin sehr dankbar, die Möglichkeit gehabt zu haben ein Land auf diese Weise kennen zu lernen.

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