01.12.2012 Wenn ich an meine Zeit in Serbien zurückdenke habe ich viele positive Bilder im Kopf. Ich erinnere mich an die Menschen, die ich dort kennen gelernt habe und die Freundschaften, die ich geschlossen habe. Ich erinnere mich an mein Sozialprojekt, das mich unglaublich bereichert hat. Ich denke an meine Reisen nach Sarajevo, Mostar, Novi Sad und Pristina. Und vor allem denke ich einfach an die schöne Zeit, die ich in Belgrad verbracht habe.
Belgrad, die Hauptstadt von Serbien, ist eine große chaotische Stadt. Im Sommer ist es eigentlich immer heiß, sowohl tagsüber als auch nachts. Obwohl mir von Einheimischen immer wieder versichert wurde, dass es über die Sommermonate leer in Belgrad sei, da viel Menschen im Urlaub sind, hatte ich eher den Eindruck, dass Belgrad voll von Menschen ist. Die Straßen, Cafés und Busse waren immer gut gefüllt. Die Arbeit wird in Belgrad im Sommer auf ein Minimum zurückgefahren. Das Leben spielt sich im Freien auf den Straßen und in den Parks ab. Auch nachts lässt diese Lebhaftigkeit kaum nach. Zum Sonnenuntergang trifft sich halb Belgrad im Kalemegdan Park. Der Park, der sich um eine alte Festung erstreckt, liegt an der Mündung der Sava in die Donau. Mit Popcorn und einem kühlen Getränk ausgestattet kann man die Sonne über Neu-Belgrad untergehen sehen und die warmen Sommernächte genießen. Ein großer Teil des Lebens und Nachtlebens spielt sich in Belgrad im Sommer auch auf der Sava ab. Es gibt zahllose Bars, Restaurants und Clubs, die sich in Booten am Ufer der Sava befinden.
Engagieren
Die erste Woche in Belgrad habe ich im „Center for Nonviolent Action“ (CNA) verbracht. Das CNA ist ein langjähriger Partner von IPPNW, wo jedes Jahr ein Medizinstudent willkommen geheißen wird. Dort haben mich Nenad und Ivana am ersten Tag herzlich begrüßt. Die CNA ist eine NGO, die vor ca. 15 Jahren von Nenad gegründet wurde. Zunächst gab es nur ein Büro in Sarajevo, da Nenad als Kriegsdienstverweigerer nicht nach Serbien einreisen durfte. Nach einer Zeit wurde dann aber ein zweites Büro in Belgrad eröffnet. Die Arbeit, die das CNA macht, hat mich sehr beeindruckt. Sie arbeiten mit Kriegsveteranen aus den verschiedenen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens zusammen. Zum Beispiel werden Treffen und Reisen organisiert und über den Prozess der Friedensbildung und Vergangenheitsbewältigung diskutiert. Außerdem hat Nenad mehrere Filme produziert, die sich mit den Themen: Friedenserhaltung, Umgang mit der Vergangenheit und Konflikten in der Region befassen. Ich habe in dieser ersten Woche viel theoretisches Wissen über die Geschichte und die aktuelle Situation auf dem Balkan hinzugewonnen. Praktisch hat es aber so ausgesehen, dass ich viel in der Bibliothek des CNA gesessen und das Film- und Buchmaterial angeschaut habe. Ich habe relativ schnell gemerkt, dass ich zwar willkommen bin im CNA, aber dass ich nicht die gesamte Zeit meines „engagieren“ Teils dort verbringen möchte.
Peace Academy
Nach meiner ersten Woche im CNA bin ich nach Sarajevo aufgebrochen um an der „Peace Academy“ teilzunehmen. Dort habe ich auch Anna getroffen, die danach weiter in den Kosovo gereist ist. Die „Peace Academy“ in Sarajevo ist eine Art Sommerschule, hauptsächlich für junge Menschen aus der Region des ehemaligen Jugoslawiens. Ich habe dort an dem Kurs „Strategic Peacebuilding“ teilgenommen. Der Kurs hat sich vor allem an Menschen gerichtet, die sich in der Region mit Friedensarbeit beschäftigen. Es waren aber auch Menschen wie Anna und ich dort, die von außerhalb kommen und Interesse an der Thematik haben. Wir waren in einem Studentenwohnheim untergebracht, wo auch die Kurse stattfanden. Es war sehr interessant mit so vielen verschiedenen jungen Menschen aus dem Balkan zusammen zu kommen. Doch der Kurs selbst hat mich etwas enttäuscht. Es ging vor allem auch darum sich Untereinader auszutauschen und zu vernetzen. Die Dozentin hat es aber nicht geschafft, alle Teilnehmer in den Kurs gut mit einzubeziehen. Die Kontakte zu den anderen Teilnehmern haben mich sehr bereichert. Ich hatte aber das Gefühl, dass ich zu dem Kurs selbst nicht viel beitragen konnte und der Kurs mich auch nicht so sehr interessiert hat.
Zu Beginn des Kurses gab es eine Situation, die meiner Meinung nach typisch für die Balkanregion ist und außerdem ein Kernproblem der Friedenbildung und –erhaltung verdeutlicht. Alle Teilnehmer sollten sich entsprechend ihrer Herkunftsländer bzw. aktuellen Aufenthaltsländer im Raum in Gruppen zusammenfinden. Jede Gruppe sollte sich darüber Gedanken machen, was die Probleme des eigenen Landes sind und was positiv an dem eigenen Land ist. Als dann die Teilnehmerin aus Montenegro sagte ihr würden keine aktuellen Probleme Montenegros einfallen, ist dies auf großes Unverständnis der anderen Teilnehmer gestoßen. Ihr wurde unterstellt ihr Land glorifizieren zu wollen und die eigenen Probleme zu verleugnen. Der nachfolgende Konflikt machte deutlich, dass die Meisten ihr eigenes Land in einem positiven Licht sehen und die anderen Länder eher negativ bewerten. Die Kroatinnen haben nach eigener Aussage „erstaunlicherweise“ etwas Negatives über ihr Land sagen können, obwohl es ja im Gegensatz zu den anderen kaum Probleme habe. Man hatte das Gefühl jeder zeigt mit dem Finger auf den Anderen. Ähnliche Erfahrungen habe ich häufig gemacht, wenn man mit Menschen über die vergangenen Kriegsjahre gesprochen habe. Statt sich auf die eigenen Verbrechen bzw. die Kriegsverbrechen des eigenen Landes zu konzentrieren wurde immer betont was die anderen alles getan haben. Schau was „DIE“ gemacht haben – Nicht: Schau was mein Land gemacht haben. Ein Kernproblem der Aussöhnung.
Auf dem Rückweg aus Bosnien habe ich zusammen mit Nike, einer Holländerin, die ich auf der Peace Academy kennen gelernt habe, Mostar besucht. Mostar ist für eine alte Brücke berühmt, die im Krieg zerstört wurde und eine symbolhafte Bedeutung hat. Auf der einen Seite des Flusses wohnen Kroaten und auf der anderen Seite hauptsächlich Bosnier. Die Brücke wurde mit EU Geldern wieder originalgetreu aufgebaut. Jedoch wohnt in dem einen Teil der Stadt immer noch die kroatische Bevölkerung und es stehen dort Kirchen mit beeindruckend hohen Kirchtürmen. Auf der bosnischen Seite gibt es natürlich dann entsprechend die Moscheen.
Regional Center for Minorities
Zurück in Belgrad habe ich direkt mit meinem zweiten Sozialprojekt begonnen, im Regional Center for Minorities in Belgrad mitzuarbeiten. Das Minority Center ist eine sehr kleine Organisation, die sich um die Wahrung der Menschenrechte von Minderheiten in Serbien einsetzt. Praktisch bedeutet das aktuell in Serbien die Unterstützung von Roma, Flüchtlingen und den Schutz von Homosexuellen vor Gewalt und Diskriminierung. Es gibt dort vier Mitarbeiter: Jovana, Marina und zwei Markos. Zu der gleichen Zeit wie ich hat auch Ela dort gearbeitet. Sie kommt aus Slowenien und hat zu der Zeit eine Art soziales Jahr in Belgrad gemacht. Ela hat ihr Leben mehr oder weniger der Flüchtlingshilfe gewidmet. Dadurch, dass ich fast alles mit Ela zusammen gemacht habe, ist dies auch das Thema mit dem ich mich dort am meisten befasst habe. Ich habe in meiner Zeit dort sehr viel über die Flüchtlings- und Asylpolitik der EU gelernt. Mir war vorher in geringerem Maß bekannt wie brutal und unmenschlich die Grenzen der EU gesichert werden. Besonders gut hat mir an diesem Sozialprojekt auch gefallen, dass ich wirklich etwas beitrage konnte. Zum Beispiel sind wir an einem Tag, an dem ein Frontex-Flieger aus Düsseldorf erwartet wurde, an den Flughafen gefahren um die Menschen, die nach Serbien abgeschoben wurden, abzufangen und ihnen Hilfe anzubieten.
Außerdem habe ich während meiner Zeit im Minority Center Ajrija kennen gelernt. Sie wurde vor ca. 20 Jahren aus Österreich abgeschoben und hat seitdem ein Einreiseverbot in den Schengenraum. Ich konnte ihr helfen dieses Verbot aufzuheben, indem wir einen entsprechenden Antrag an die zuständige österreichische Behörde geschickt haben. Um erst einmal zu erfahren wie das funktioniert habe ich zwar viel telefonieren müssen, aber im Endeffekt war es ein einfacher informeller Antrag den man stellen musste. Es gibt in Serbien auch Anwälte, die das machen und dafür mehrere hundert Euro haben wollen. Anscheinend ist es aber ein lohnender Geschäftszweig. Jeder, der Asyl z.B. in Deutschland beantragt, und dies nicht bewilligt bekommt, hat anschließend ein 10-jähriges Einreiseverbot in den Schengenraum. Viele haben also ein Interesse daran diesen Zeitraum zu verkürzen. Durch Ajrija hatte ich auch die Möglichkeit eine der Romasiedlungen in Belgrad zu sehen und so ein ganz anderes Belgrad zu sehen als das, in dem ich mich sonst bewegt habe. Ajrija wohnt im Lager Tosin Burna am Stadtrand von Neu-Belgrad. Die Zustände dort haben mich schockiert. Vor allem die Aussichtslosigkeit auf Veränderungen. Ajrija war sehr stolz auf ihre jüngste Tochter, die zur Schule geht und dort gute Leistungen erbringt. Doch ob sie jemals einen anderen Beruf ausüben wird außer zu putzen ist mehr als fraglich. Papier zu sammeln oder zu putzen sind die Hauptverdienstmöglichkeiten der Roma in Belgrad. Sie werden systematisch diskriminiert.
In der Zeit meines Sozialprojekts hatte ich außerdem die Möglichkeit zusammen mit einem ARD Reporter von Report Mainz und Ela nach Varna in ein ehemaliges Flüchtlingslager zu fahren. Es ist eines der Lager, die noch aus den Neunzigern übrig sind, als serbische Minderheiten aus Kroatien und Teilen Bosniens fliehen mussten. Dieses Lager dient nach 20 Jahren immer noch manchen Flüchtlingen als Zuhause. Außerdem wird es als Notunterkunft für Menschen, die nach Serbien abgeschoben werden und keine Familie dort haben, genutzt. Dort haben wir Fiktrita besucht, die im Februar nach jahrelanger Duldung trotz schwerer Erkrankungen aus Düsseldorf abgeschoben wurde. Der Fall hat für Interesse auch in Deutschland gesorgt, weil die Abschiebung erst durch ein medizinisches Gutachten möglich wurde, das von einem Arzt ausgestellt wurde, der umstritten ist. Ihm wird vorgeworfen unabhängig vom gesundheitlichen Zustand der Menschen medizinische Gutachten zu erstellen, die eine Abschiebung ermöglichen. Der Besuch hat mich wirklich traurig gemacht. Fikrita hat in Deutschland einen Sohn, in Serbien kennt sie nach 20 Jahren niemanden mehr. Wenn man betroffene Menschen erst einmal kennen lernt wird einem die Unmenschlichkeit einer Abschiebung umso mehr bewusst. Eine alte kranke Frau, die kein Geld hat und niemanden, der sich um sie kümmert. Mir kommen dann schnell Gedanken wie: das kann doch nicht sein, da muss man doch etwas machen können. Wenn die Abschiebung aber einmal stattgefunden hat ist es sehr schwer dies wieder zu ändern.
Im Regional Center for Minorities habe ich mich sehr wohl gefühlt. Alle waren offen für mich und ich habe vor allem mit Ela und Jovana viele interessante Gespräche geführt. Mittags wurde ab und zu für alle gekocht und nachmittgas gab es meist gekochte Maiskolben mit Salz. Das Büro hat mich eher an eine Wohngemeinschaft als an ein Büro erinnert.
Wohnen
Gewohnt habe ich in der ehemaligen Zahnarztpraxis von einem Freund von Dragan. Er hatte die Praxis seit längerem nicht in Benutzung, weil er einen anderen Job hat. Die Praxis hat er noch, obwohl er sie nicht nutzt, weil er die Räumlichkeiten vielleicht irgendwann einmal vermieten möchte. Das hört sich erst mal komisch an, es war aber eine richtig gute Unterkunft. Die Praxis war eher aufgebaut wie eine kleine Wohnung mit Schlafsofa und Küchenecke und einem kleinen Bad. Am Anfang hatte ich Bedenken alleine zu wohnen. Aber durch Zufall habe ich viele Menschen in Belgrad kennen gelernt, die im Umkreis von fünf Minuten um mich herum gewohnt haben.
Famulieren
Meine Famulatur habe ich in der Anästhesie im Emergency Department der Uniklinik in Belgrad gemacht. Dragan hat mich an meinem ersten Tag dorthin begleitet und mich direkt in die Hände der Professorin übergeben. Jovana, eine junge Ärztin, wurde mir als Tutorin zugeteilt. Sie hat mir am ersten Tag die gesamte Abteilung gezeigt und mich allen wichtigen Leuten dort vorgestellt.
Die Anästhesisten sind im Emergency Department für drei Bereiche zuständig: die Intensivstation, den OP und die Notaufnahme. Ich konnte frei zwischen den Abteilungen wechseln. Die meiste Zeit habe ich jedoch auf der Intensivstation verbracht. Morgens ging es früh um viertel nach sieben los, wobei man dann auch schon mittags nach Hause gehen konnte. In Serbien erlernen die Studenten in den Kliniken sehr wenige praktische Tätigkeiten. Als Student bekommt man vor allem theoretisches Wissen vermittelt und darf ansonsten wenig machen. Dennoch hat mir das Praktikum dort sehr gut gefallen. Es waren fast alle Ärzte bemüht mich mit einzubeziehen und mir etwas zu erklären. Ein echter Glücksfall war Natalija. Sie ist eine junge serbische Ärztin, die fast perfekt deutsch spricht. Sie hat mir immer alles noch einmal auf Deutsch erklärt. Nach der Visite hat sie meist noch eine private Visite mit mir gemacht um mir die einzelnen Patienten zu erklären. Im Endeffekt war ich fast immer mit ihr unterwegs.
In Serbien ist es als Arzt unglaublich schwer einen Arbeitsplatz zu finden. Es funktioniert eigentlich nur über Beziehungen. Es besteht zwar Bedarf, aber an den Kliniken gibt es trotzdem wenige bezahlte Stellen. Nach dem Studium müssen die serbischen Studenten ein sechswöchiges Praktikum an der Klinik absolvieren, ähnlich zu unserem PJ. Wenn man Glück hat kann man danach als Volunteer anfangen zu arbeiten. Jedoch auch nur, wenn man Beziehungen hat oder im Studium herausragende Leistungen erbracht hat. Als Volunteer arbeitet man als ganz normaler Assistenzarzt mit Nachtdiensten und allem was dazugehört. Man wird nur leider nicht bezahlt. Weder essen noch Kleidung werden einem gestellt. Diese Zeit als Volunteer ist nicht begrenzt. Wenn man wiederum Glück hat bekommt man nach ca. 2 Jahren einen Arbeitsvertrag angeboten und wird bezahlt. Die Assistenzarztausbildung kann man dann aber auch noch nicht beginnen. Laut Gesetzt muss man dafür einen unbefristeten Arbeitsvertrag oder 2 Jahre Arbeitserfahrung haben. Als Arbeitserfahrung gilt natürlich nur die Zeit mit einem Vertrag nicht die Zeit als Volunteer. Wenn man in Serbien gerne Arzt oder Ärztin werden möchte braucht man also gute Beziehungen, viel Geduld und jemanden, der einem finanziell unter die Arme greifen kann bis man etwa 30 ist. Das hat zur Folge, dass viele Mediziner auswandern, viele auch nach Deutschland. Die Frustration, die dieses System zur Folge hat, ist groß. Ich hatte auch das Gefühl, das der Frust der Ärzte an die Patienten weitergegeben wird. Der Umgang mit den Patienten ist sehr viel unfreundlicher und rauer als in Deutschland. Das habe ich vor allem beim Konsiliardienst auf den chirurgischen Stationen mitbekommen. Wenn überhaupt ein Arzt anwesend war hat dieser sich schlichtweg gar nicht um die Patienten gekümmert. Auf der Intensivstation war dies zum Glück etwas anders. Dort hatte ich das Gefühl, dass die Patienten gut versorgt werden. Wobei die hygienischen Standards von den deutschen Standards abweichen. Die Ärzte waschen sich eher minutenlang die Hände als sie einmal zu desinfizieren. In der Notaufnahme war es meist auch spannend. Es gibt in Belgrad sehr viele Autounfälle und demensprechend viele Verletzte. Wenn dort mal nichts zu tun war wurde konstant Kaffee getrunken und geraucht. Wie überall in Serbien.
Zusammenfassend kann ich es sehr empfehlen mit famulieren und engagieren nach Serbien zu reisen. Dragan ist ein unglaublich guter und einfallsreicher Gastgeber und Gesprächspartner. Seine Freundin Neda und er haben Freude daran einem die Stadt und das Leben in Belgrad von der besten Seite zu zeigen. Es gibt in Belgrad auch eine recht engagierte Studentengruppe von Medizinstudenten, von denen auch manche an IPPNW interessiert sind. Leider konnte ich sie erst kurz bevor ich wieder gefahren bin kennen lernen. Ich habe in meiner Zeit in Serbien viel gelernt, über den Balkan, die früheren und aktuellen Konflikte. Gleichzeitig habe ich viel über die aktuelle Flüchtlings- und Abschiebepolitik gelernt.
Ob ich mich noch einmal für Serbien entscheiden würde, fällt mir leicht zu beantworten. Definitiv.
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