01.12.2012 Seit meiner Rückkehr aus Nepal wurde ich sehr häufig gefragt: „Wie war’s?“ und es fällt mir jedes Mal aufs Neue schwer, die zwei Monate, die ich in diesem Land verbringen durfte, kurz und bündig zusammenzufassen. In solchen Momenten erstaunt es mich im Nachhinein, dass so viele Menschen mit Nepal in erster Linie
den Himalaya, luftige Höhen und jede Menge Natur verbinden. Zweifelsohne lässt sich all Das auch genau dort finden, doch wer denkt dabei schon an Dschungel, anmutend wie in Kiplings Dschungelbuch, an überfüllte Städte und ganz viel Hitze?
Mein Abenteuer begann Ende Juli in Kathmandu. Dort wurde ich von meiner
Kontaktperson aus der lokalen PSR – Gruppe (Physicians for Social Responsibility) am Flughafen abgeholt. Mir blieb zunächst nichts weiter übrig, als dem Nepalesen durch das Menschengewirr zu folgen und aufzupassen, ihn vor lauter Menschen, Gerüchen und Eindrücken nicht aus den Augen verlieren. Abgesetzt wurde ich dann bei meiner Gastfamilie und fand mich auf einmal in einem kleinen Zimmer alleine mit meinem großen Rucksack wieder. Ruhig ist es in Kathmandu nie, höchstens etwas ruhiger, wenn der allabendliche Stromausfall einsetzt. Zu meiner ersten Erleichterung war in der Gastfamilie auch ein norwegisches Medizinerpärchen untergebracht mit denen ich mich in diesen durch Kerzenlicht ausgefüllten Stunden über meine Eindrücke und Erfahrungen austauschen konnte.
Am ersten Tag in Nepal wurde ich gegen halb 6 morgens von zwei konkurrierenden Geräuschen geweckt. Einerseits das penetrant hohe Glockengebimmel aus dem nahe gelegenen hinduistischen Tempel und andererseits die noch etwas ungeübten Klänge der Blaskapelle einer angrenzenden Polizeiakademie. Solch ein Szenario sollte sich auch jeden Morgen in Kathmandu wiederholen, abgesehen von den Tagen, an denen des öfteren spontan einberufene Streiks stattfanden.
Nach einem Tag, an dem ich auf dem Rücksitz eines Motorrads die wichtigsten
Stationen Kathmandus gezeigt bekam, hatte ich die Herausforderung zu meistern, mit einem der „Microbuses“ zum Krankenhaus zum Beginn meiner Famulatur zu fahren. Ohne die Begleitung durch einen der PSR-Studenten wäre es mir nicht gelungen, das auf den ersten Blick undurchschaubare System der Kleinbusse zu entwirren. Die zumeist chinesischen Fabrikate halten mal an bestimmten, festgelegten Stellen, dann aber auch auf Zuwinken. Meistens jedoch unter lautem Anpreisen der Haltestellen durch die meist sehr jungen, akrobatisch an und aus den Wagen hängenden Kontrolleure.
Famulatur im Kathmandu Model Hospital
Nach 20 Minuten Fahrt quer durch die Stadt erreichte ich das Kathmandu Model Hospital. Dort wurde ich Yuma vorgestellt, eine Sekretärin, die sich während meines gesamten Aufenthalts sehr herzlich um mich gekümmert hat. Auf meinen eigenen Wunsch hin konnte ich meine Famulatur auf verschiedenen Stationen absolvieren. Ich begann auf der Allgemeinchirurgie, wo ich auch gleich eine Mitfamulantin aus Wien kennenlernen durfte. Allerdings nicht auf die übliche Art und Weise. Mir wurde lediglich gesagt, sie sei hier in einem der wenigen Einzelzimmer untergebracht, jedoch als Patientin und mit einer akuten Appendizitis.
Die meisten Patienten haben ein Bett in einem der vielen großen Patientensäle, in denen ca. 15 Patienten liegen und wo direkt neben der Waschgelegenheit ein großes Regal voller Decken und Isomatten für die Angehörigen steht. In Nepal ist es deren Aufgabe die Pflege und Versorgung der Patienten zu übernehmen, daher reist mit dem Erkrankten meist auch die komplette Familie mit an. In den großen Sälen gibt es daher nur ein Minimum an Privatsphäre und selbst die spanischen Wände, die notdürftig aufgestellt werden, schützen nicht vor den neugierigen Blicken der Umherstehenden.
Meine Tage in der Allgemeinchirurgie begannen meist zwischen halb neun und elf Uhr, da niemand genau wusste, wann die Ärzte mit ihrer Arbeit begannen. Durch diese recht flexiblen Anfangszeiten entstand genug gemeinsame Leerlaufzeit, um die nepalesischen PJ-Studenten besser kennen zu lernen.
Die Visiten waren teilweise sehr lehrreich, und wir Studenten wurden viel vom
leitenden Chefarzt ausgefragt, der sichtlich Spaß daran hatte Englisch zu sprechen. Wiederum andere Visiten wurden größtenteils in Nepali abgehalten, es fand sich aber immer ein Assistenzarzt oder PJler, der bereitwillig die wichtigsten Fakten übersetzte. Nach der meist sehr langen Visite wurde aufgeteilt zwischen denen, die in den OP gingen und denen, die die Ambulanz betreuten. Für mich waren die Besuche im OP aufgrund der schlecht durchgeführten Anästhesie und einem bereits einmonatigen Aufenthalt im OP in Deutschland nicht sonderlich reizvoll, daher bestand meine Aufgabe darin, einen der PJler zu begleiten und auf der Krankenstation die Verbandswechsel durchzuführen. Dabei hatte ich die Möglichkeit, nochmals tieferen Einblick in die Krankengeschichte zu bekommen und brütete manchmal sehr lange mit den nepalesischen Studenten über Büchern, um uns in die Krankheitsbilder einzuarbeiten. Nach zwei Wochen in der Allgemeinchirurgie famulierte ich noch eine Woche in der Gynäkologie und wiederum eine Woche in der Inneren Medizin. Dort konnte ich vor allem bei uns sehr seltene Erkrankungen en
masse sehen.
In Erinnerung bleiben wird mir dabei vor allem der andere Umgang mit
den Patienten, aber auch das Verhältnis zur Zeit. Augenfällig für mich als
Westeuropäer waren auf jeden Fall die fehlende Pünktlichkeit und ein laxes
Umgehen mit Terminen. Dies bedeutete jedoch auch, dass niemand auf seinen
Feierabend beharrt und mit einer gewissen Ruhe gearbeitet wird, bis alles gemacht ist.
Freizeit
Das sind nur einige wenige Einblicke in den Krankenhausalltag in Nepal. In der
Freizeit, die einem mal mehr, mal weniger blieb, hatte ich die Möglichkeit das
Kathmandu mit seinen tollen Tempeln und Palästen kennen zu lernen. Dabei schloss ich immer mehr Freundschaften vor allem mit Medizinstudenten aus aller Welt, die entweder in meinem Krankenhaus oder dem meiner Mitbewohner arbeiteten.
Nach vier Wochen in Kathmandu brach ich mit zwei Medizinstudentinnen aus
Deutschland Richtung Pokhara, der zweitgrößten Stadt Nepals, auf und war sehr glücklich darüber das sehr dreckige, luftverschmutzte Tal hinter mir lassen zu können, denn so hatte ich die Möglichkeit etwas von der hochgepriesenen
Landschaft Nepals sehen zu können. Vorbei an knallgrünen Reisterrassen ging es für uns nach Pokhara, von wo aus wir nach drei Urlaubstagen am See zu einem zehntägigem Treck zum Annapurna Base Camp aufbrachen. Wir waren sehr glücklich, dass sich das alles in Kathmandu so spontan ergeben hatte und auch die fehlende Ausrüstung konnten wir ganz unproblematisch in Kathmandu und Pokhara besorgen. Die zehn Tage unterwegs in den Bergen gehören zu meinen ganz besonderen Erinnerungen an Nepal!
Sozialprojekt
Die letzten Wochen führten mich noch einmal ganz in den Süden, nahe der indischen Grenze in das Sozialprojekt. Der Kontrast zwischen der Bergwelt und einer sehr flachen, grünen Dschungellandschaft war sehr groß. Als der Bus in Meghauli anhielt, stieg ich aus und wurde von einem kleinen Jungen angetippt, der mir bedeutete ihm zu folgen. Er führte mich zu einem Haus, wo ich sehr herzlich von Hari Bhandary, dem Gründer des Sozialprojektes, und seiner Familie empfangen wurde. Die Clinic Nepal wurde 1997 gegründet und engagiert sich in allen Bereichen des Lebens, mit dem Ziel die Lebensqualität in Meghauli, dem Heimatort von Hari, zu verbessern.
Kernstück ist die ambulante Klinik, die ich gleich am Nachmittag gezeigt bekam. Im Gegensatz zum Krankenhaus in Kathmandu fielen hier Lehrbücher, deutsches
Desinfektionsmittel und Lehrplakate ins Auge und brachten den deutlichen
westlicheren Einfluss zum Ausdruck.
In Meghauli traf ich auf eine weitere deutsche und zwei katalanische
Medizinstudentinnen und so hatte ich die Möglichkeit an den Abenden nicht nur sehr viel über die nepalesische Kultur zu erfahren, sondern auch über das Medizinstudium in Spanien und besonders viel über den Nationalstolz der Katalanen. Da wir uns alle sehr gut verstanden, konnten wir ganz viele tolle Ideen sammeln, um die Kinder im zugehörigen Kindergarten und die Pfadfindergruppe zu animieren und ihnen Kleinigkeiten beizubringen.
Auch wenn ich mich nach bereits absolvierten Freiwilligenprogrammen im Ausland und einer guten Einführung durch meine Vorgängerin nicht vollkommen unvorbereitet fühlte, barg das Leben und Arbeiten in einem Sozialprojekt so manche Herausforderung. Der Spagat in der Realität zwischen dem Wunsch nach Nachhaltigkeit und Eigenverantwortung für die Menschen vor Ort und meine Rolle als europäische Freiwillige haben mich sehr nachdenklich gemacht.
Nichts desto trotz oder vielleicht auch gerade deshalb hatte ich die Möglichkeit
Einblick in das Leben der Menschen im Süden Nepals zu bekommen und war vor
allem beeindruckt von deren respektvollen Umgang mit der Natur und den wilden Tieren aus dem angrenzenden Nationalparks. Es ist für mich als Europäer sehr spannend, in den Gesprächen mit den Einheimischen zu begreifen, was es bedeutet seinen Lebensraum mit Tieren, wie Nashörnern, Elefanten und Tigern, zu teilen, die wir bei uns nur aus dem Zoo kennen. Und es hatte manchmal auch etwas unwirklich, sich vorzustellen, dass genau dieser Lebensraum direkt hinter der Clinic Nepal begann.
Irgendwann sind aber auch die schönsten neun Wochen vorbei und es wurde Zeit für mich nach Kathmandu zurück zu kehren. Den Zeitpuffer, den ich mir eingeräumt hatte, um für alle nepalesischen Eventualitäten vorbereitet zu sein, konnte ich dort vor allem dafür nutzen, die gesammelten Eindrücke und Erfahrungen Revue passieren zu lassen. In dieser kurzen Zeit hatte ich das Glück sehr viel Verschiedenes kennen gelernt zu haben: verschiedene Regionen, verschiedene Menschen und so manche Begegnung hat mich sehr nachhaltig beeinflusst.
Gerade auch beim Zusammentreffen mit meinen Mitstreitern von f&e im November war davon sehr viel spüren und auch wieder feststellen, wie wertvoll es für mich dieser Rahmen von f&e war. Vielen Dank an alle, die dieses Jahr dabei waren, sei es als Teamer oder als Teilnehmer!! Eines hab ich in jedem Fall versucht mit in meinen Alltag zu übernehmen und konnte mich damit sogleich am Flughafen in Kathmandu versuchen: nämlich das zufrieden, entspannte Lächeln inmitten des Chaos beizubehalten, um den unruhigen Touristenmassen, die nicht schnell genug voran kommen konnten, mit einem nepalesischen „Ke garne?“ (zu dt: Was solls?) auf den Lippen zu begegnen.
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