01.12.2010 Sushi, Karaoke, Tempel, Manga, Fujiyama und Hello Kitty… diese Schlagwörter schießen wohl den meisten durch den Kopf wenn es um Japan geht. Ein Land am anderen Ende der Welt. So fern und irgendwie doch so nah. Für mich fiel die Entscheidung, welches Land wohl innerhalb des IPPNW-Projektes „famulieren & engagieren“ am reizvollsten wäre nicht schwer. Noch dazu brannte ich förmlich darauf, an dem diesem Austausch zugehörigen „Sozialprojekt“ teilzunehmen. Der Peace Course in Hiroshima stellte für mich die einmalige Gelegenheit dar, mit Gleichgesinnten aus der ganzen Welt nicht nur über eine der schrecklichsten Gräueltaten - dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima und Nagasaki - zu sprechen, sondern mich auch über aktuelle Konflikt- und Friedenspolitik auszutauschen.
Eine Famulatur im fernen Osten könnte zudem meinen medizinischen Erfahrungsschatz erweitern. Nicht nur das reine Fachwissen wollte ich vertiefen sonder erleben, welch ein Umgang in japanischen Kliniken zwischen Arzt und Patient und unter Kollegen herrscht. Den Japanern wird ja eine sehr hohe Arbeitsbereitschaft nachgesagt und diesem Attribut wollte ich nun einmal selbst auf den Grund gehen. So zögerte ich dann auch keine Sekunde als es hieß, dass ich die „Auserwählte“ war, die mit der IPPNW nach Japan reisen durfte.
Hiroshima
Die Zeit bis zum Abreisetag verging wie im Flug, und auf einmal befand ich mich auf gerade diesem. Das Essen im Flieger von ANA stimmte mich schon voller Vorfreude auf das was ich nun ganze neun Wochen jeden Tag zu mir nehmen konnte. Dass ich vielleicht etwas zu blauäugig ohne jegliche Sprachkenntnisse in ein so fremdes Land gefahren war, stellte sich erstmals am Flughafen Tokio heraus. Passkontrolle schön und gut - aber dass ich meinen Koffer wieder aufnehmen und neu einchecken musste obwohl schon mein nächster Flieger nach Hiroshima wartete, brachte mich schon etwas ins Schwitzen. Letztendlich klappte aber alles irgendwie, und ich wurde am Abend von meiner Gastschwester Nozomi am Bahnhof abgeholt und zu meinem kleinen Appartement gebracht, wo ich die nächsten sieben Wochen bleiben würde. Da stand ich nun bei klebrigen 30 Grad und freute mich wie toll über die recht effektive Klimaanlage. Die erste Nacht auf einer Tatamimatte war sehr gewöhnungsbedürftig, und so richtig warm wurde ich auch die folgenden Nächte nicht mit dieser Schlafgelegenheit. Aber was soll’s, ich war ja schließlich nicht zum Schlafen da! Ansonsten war die Wohnung aber bereits mit allem Nötigen bestückt worden. Von der Induktionskochplatte bis zum Stäbchen wurde an alles gedacht, was man zum Überleben so braucht (inklusive Fön). Und sollte doch was fehlen, gab es im Supermarkt, ein paar Straßen weiter, alles zu besorgen.
Die nächsten zwei Tage verbrachte ich erstmal damit Hiroshima zu erkunden. 65 Jahre nach dem Atombombenabwurf war eine moderne Großstadt entstanden, in der sehr offene Menschen lebten. Was jedoch verständlicherweise völlig fehlte und der Stadt dadurch auch etwas an Charme nahm, war die typische altjapanische Bauweise. Lediglich die Burg war stilecht und originalgetreu wieder aufgebaut worden. Die anderen Häuser und auch Tempel wurden aus grauem Stahlbeton wieder in die Höhe gezogen. Schnell wollte man damals die Stadt wieder errichten, dabei kamen kulturelle Aspekte wohl ein wenig zu kurz. Das Herzstück Hiroshimas und auch touristischer Anziehungspunkt bildet der Peace Park, in dem sich auch das Peace Memorial Museum befindet. Noch bevor der eigentliche Hiroshima-and-Peace- Course startete wollte ich mich hier umsehen. Der Gedenkpark liegt mitten in der Stadt am Ende der Hauptshoppingmeile Hondori. Der erste Anblick des Bomb Domes, jenem Gebäude im unmittelbaren Epizentrum der Explosion, welches mit seiner ausgebrannten Kuppel als ein Mahnmal für die Gewalt dieser Schreckenstat steht, war für mich sehr beklemmend. Noch mulmiger wurde mein Gefühl, als ich zum ersten Mal das Memorial Museum besuchte. Die Ausstellung erstreckt sich über mehrere Ebenen und schon nach der Hälfte hatte ich das Gefühl, dass es für’ Erste genug wäre um alles bis hier hin zu verdauen. Angefangen bei den Hintergründen zum Bau der Bombe (auch über jene, die über Nagasaki abgeworfen wurde) über Exponate, welche die Katastrophe überdauerten, bis hin zu Berichten über die Nachwirkungen und gesundheitlichen Folgen der atomaren Explosion. Nach meinem Besuch im gut gekühlten Museum war ich erstmal froh wieder die heiße schwüle Luft der Stadt zu spüren und einfach dem geschäftigen Treiben auf den Straßen zu folgen.
Peace Course
Am nächsten Morgen begann dann der Peace Course in der etwas außerhalb der Stadt gelegenen Hiroshima City University. Etwa eine Stunde brauchte ich mit dem öffentlichen Bus dorthin, und obwohl ich kein Wort von den japanischen Ansagen verstand, kam ich trotz einmal Umsteigen gut an meinem richtigen Ziel an. Die Hälfte der rund 60 Teilnehmer im Kurs kam aus Japan. Der restliche Teil verteilte sich auf Länder aus der ganzen Welt. Norwegen, Australien, Korea, USA, Niederlande, Bangladesch, Iran, Malaysia… um einige zu nennen. So verstand es sich von selbst, dass die Kurssprache Englisch war. Das fiel einigen schwerer und anderen leichter aber letztendlich klappte es mit der Kommunikation sehr gut. Oft kann man auch ohne viele Worte sehr viel Spaß miteinander haben, und das war als Ausgleich zum doch recht straffen und teilweise anstrengenden Programm des Peace Course sehr wichtig. Sich nach dem Warum einer Tat wie dem Atombombenabwurf über Hiroshima zu fragen ist nicht leicht. Als fühlender Mensch habe ich darauf bis heute keine Antwort gefunden. Die Gespräche mit den Hibakushas (Überlebende des Atombombenabwurfes) brachten die menschlichen Tragödien dieser Gräueltat noch viel näher und ließen das ohnehin schon bestehende Unverständnis noch viel größer werden. Weitere Unterrichtseinheiten über andere Schrecken des Krieges machten mich des Öfteren innerlich sehr unruhig, bis hin zu starkem Ärger den ich gegenüber den Verantwortlichen empfand. Daher war es sehr schön, dass man sich mit den Dozenten und den anderen Kursteilnehmern mit dem Erfahrenen auseinandersetzen konnte. Höhepunkt des Peace Course war der 65. Jahrestag des Atombombenabwurfes über Hiroshima, welcher mit einer großen Zeremonie im Peace Park begangen wurde. Noch schöner als den eigentlichen Festakt empfand ich den Abend, als Hunderte von kleinen Lampions auf den Fluss gelassen wurden um der Opfer zu gedenken. Mit diesem Ereignis näherte sich auch der Friedenskurs dem Ende, und nach einem fröhlichen gemeinsamen Abschlussabend war dann die Zeit des Abschiedes gekommen.
Famulatur
Meine Zeit in Japan ging jedoch erst so richtig los. Nun hieß es, sich einen Einblick in das Gesundheitssystem des Landes zu verschaffen. Dazu famulierte ich im Hiroshima University Hospital, welches nur 5 Gehminuten von meinem Appartement lag. Zu meinem Glück hatte meine Gastschwester Nozomi alles für mich organisiert. Die ersten zwei Wochen verbrachte ich auf der gynäkologischen Station wo ich zwei Ärzten zugeteilt war, die sich rührend um mich kümmerten. Anders wäre das Arbeiten für mich auch kaum möglich gewesen, denn das Englisch der anderen Ärzte auf der Station reichte gerade einmal für ein freundliches „Hallo“ und „Wie geht’s?“. Trotzdem war die Zeit sehr angenehm für mich. Ich nahm an den Sprechstunden und Untersuchungen teil, maß mittels Ultraschall die Größe der Föten aus und erlebte einige Geburten mit. Der Standard im Klinikum war in etwa mit unserem zu vergleichen, und der Arbeitseinsatz der Ärzte war wirklich groß. Zwar wurde oft erst um neun Uhr begonnen, dafür blieb man dann aber auch bis 20 Uhr in der Klinik. Nachtdienste erfolgten von einem Tag früh bis zum nächsten Tag abends. Dennoch wirkten die Ärzte zufrieden und unternahmen auch in ihrer freien Zeit viel mit ihren Kollegen. Auch ich wurde des Öfteren zum Essen mit anschließendem Besuch in der Karaokebar eingeladen. Das war schon ein lustiger Anblick, wenn gestandene Mediziner mit voller Inbrunst zu japanischen Popsongs trällerten.
Den zweiten Teil meiner Famulatur absolvierte ich in der Chirurgischen Klinik des Hospitals. Hier hatte ich mit wesentlich mehr Ärzten Umgang, die mir alle sehr bemüht Dinge erklärten und zeigten. Die Englischkenntnisse unter den Chirurgen waren wesentlich besser, da sehr viele bereits einige Zeit im Ausland gelernt und gearbeitet hatten. Die meiste Zeit verbrachte ich im OP, wobei ich immer steril mit am Tisch stehen durfte und etwas assistierte. Von einer zehnstündigen Whipple-OP über Kolektomien bis hin zu einer Herz-OP mit Anschluss an eine Herz-Lungenmaschine konnte ich vielen sehr spannenden Verfahren beiwohnen. Bei den Visiten wurde ich zum Teil vom Chefarzt über die Patienten aufgeklärt, der mir zum Abschied dann sogar ein kleines Geschenk überreichte.
Mit dem Ende der Famulatur näherte sich auch das Ende meiner Zeit in Hiroshima. In den freien Tagen die mir noch bis zu Aufbruch blieben, wollte ich die herrliche Umgebung noch etwas mehr erkunden. Bereits in den vorhergehenden Wochen hatte ich einige Male die Hiroshima vorgelagerte Insel Miajyma besucht und den heiligen Mt. Misen bestiegen, was mir einen fantastischen Blick über die Bucht und die vielen anderen kleinen Inseln erlaubt hatte. Nun wurde ich von einem japanischen IPPNW-Arzt eingeladen, die etwas weiter entfernte Insel Okonoshima zu besuchen, auf der währen des 2. Weltkrieges Giftgas produziert wurde. Auf der kleinen Insel, welche heute so idyllisch wirkte, erinnerten nur noch ein kleines Museum und einige Ruinen der Produktionsanlagen an den damaligen Wahnsinn, bei dem Hunderte Arbeiter ihre Gesundheit oder sogar ihr Leben lassen mussten. Ich war Dr. Yoshikuni sehr dankbar dafür mir dieses Stück Geschichte nahe zu bringen, auf das ich selbst wohl nicht gestoßen wäre.
Reisen
Nach sieben Wochen Hiroshima Abschied von der Stadt und ihren Menschen zu nehmen viel mir zwar nicht leicht, aber ich freute mich auch unheimlich darauf mehr von Japan und seinen unzähligen Facetten zu sehen. Meine Reise sollte mich in einer Woche nach Tokio bringen. Auf dem Weg wollte ich die mir am lohnenswertesten erscheinen Ziele mitnehmen. Mein erster Stopp war die Metropole Osaka, die vor allem für ihre quirlige Jugendkultur und einen der schönsten Burgenbauten Japans bekannt ist. Nach drei Tagen reiste ich zum nicht weit entfernten Kyoto weiter. Diese Stadt war und bleibt für mich der Inbegriff des klassischen Japans. Unzählige Tempel, Paläste, Geishas, kleine niedliche Lokale und äußerst freundliche und offene Menschen. Japan ist generell an Sauberkeit kaum zu übertreffen, aber Kyoto ist einfach noch ein wenig glänzender als die anderen japanischen Städte. Im in der Nähe liegenden Nara reihte sich dann ein Unesco Weltkulturerbe an das andere. Alles zu sehen war mir zwar nicht möglich, aber ich bekam einen Eindruck von dem Reichtum der kulturellen Schätze.
Mit dem Shinkansen durch Japan zu reisen war gar kein Problem. Alle Anzeigen sind auch auf Englisch, und nach den Zügen könnte man eine Uhr stellen. Unterkünfte waren im sonst doch sehr teuren Land relativ günstig zu haben.
Die letzte Woche verbrachte ich Japans Hauptstadt. Groß, größer, Tokio. Wo ich alle anderen Städte immer mit dem Fahrrad erkundet hatte, war das hier einfach nicht mehr möglich. Da die Metro aber super einfach und zuverlässig war, stieg ich in dieser riesigen Metropole auf diese um. Zu meinem Glück konnte ich die meiste Zeit meines Tokioaufenthaltes bei einem Freund wohnen, den ich beim Peace Course kennen gelernt hatte. Sein Appartement lag mitten im Szeneviertel Roppongi, was mir meine Zeit in Tokio natürlich noch ein wenig versüßte. Doch auch diese Woche verging rasend schnell. Nachdem ich noch zwei Tagesausflüge zum Fujiyama und in Japans zweitgrößte Stadt Yokohama unternahm, kam dann noch ein letztes Kofferpacken. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge stieg ich in den Flieger. Traurig weil meine Zeit in Japan so schnell vergangen war aber auch in Vorfreude, meine Lieben wieder in die Arme schließen zu können und von meinen ganz persönlichen Abenteuern zu berichten.
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