Am 10. Dezember 1985 erhielt die IPPNW den Friedensnobelpreis in Oslo für die Aufklärung der Öffentlichkeit über die Gefahren eines Atomkrieges für Leben und Gesundheit der Menschen.
Kritik an der Verleihung an die IPPNW
Die Rede des Vorsitzenden des Norwegischen Nobelkomitees, Egil Aarvik, anlässlich der Verleihung des Friedens-Nobelpreises enthielt viele lobende Worte über die Ärzteorganisation und ihre Arbeit. Dennoch waren nicht alle begeistert von der Verleihung. Besonders in der deutschen Regierung war die Empörung groß, dass eine "moskau-gesteuerte" Organisation so geehrt werden durfte.
Zwölf Jahre vor der Verleihung an die IPPNW unterschrieb Evgenij Chazov, inzwischen Ko-Präsident der internationalen IPPNW, zusammen mit 25 KollegInnen einen Brief, in dem es hieß "wir sowjetischen Mediziner fühlen uns beleidigt durch das Verhalten des Akademie-Mitglieds a.D. Sacharov." Sacharov, der Vater der sowjetischen Wasserstoff-Bombe, wurde 1980 wegen seiner kritischen Äußerungen gegenüber dem sowjetischen Regime ins Zwangsexil verbannt. Allerdings schloss sich Chazov weder im Jahr 1975 einem zweiten Brief von 72 Wissenschaftlern an, noch Erklärungen von 1980 und 1982, in denen Sacharov ebenfalls attackiert wurde.
Lebensrettung bei der Verleihung
Während der Verleihung selbst, als BerichterstatterInnen Chazov über seine Vergangenheit und Beziehung zu Sacharov befragten, fiel plötzlich ein Fernseh-Korrespondent zu Boden. Er erlitt einem Herzinfarkt und die anwesenden US-amerikanischen und sowjetischen IPPNW-Ärzte arbeiteten zusammen, um sein Leben zu retten. Nachdem er auf dem Weg zum Krankenhaus war, ohne dass die Ärzte wussten, ob er überleben wird, ging das Treffen weiter. Bernard Lown, sichtlich gerührt aber mit schneller Reaktion, fand die passenden Worte und zog einen Vergleich zwischen dem Geschehenen und der Situation der IPPNW: Konfrontiert mit der Bedrohung des Todes, arbeiten sowjetische und US-amerikanische Ärzte zusammen, um das Leben eines Menschen zu retten, ohne nach seiner Herkunft, seinen politischen Überzeugung oder seinem Glauben zu fragen. So arbeiten die IPPNW-ÄrztInnen auch, um die Menschheit vor ihrer Ausrottung zu bewahren.
Obwohl ein norwegischer Arzt meinte, der Fall wäre hoffnungslos und normalerweise würde man ihn nicht einmal mehr ins Krankenhaus schicken, überlebte Lev Novikov aufgrund der schnellen Behandlung. Er sagte danach, dass er viel Glück gehabt hätte, in einem Raum voller Kardiologen gewesen zu sein, als der Herzinfarkt passierte.
Dieser dramatische Zwischenfall wurde im Fernsehen übertragen und die nachfolgenden Medienberichte waren sehr positiv. Trotzdem hing der Schatten des Sacharov-Vorwurfs noch für einige Zeit über der IPPNW.
Beiträge zum 20. Jahrestag der Verleihung des Friedensnobelpreises:
Auszüge aus Dokumenten der Zeit
Hier sind einige Auszüge aus Dokumenten der Zeit, die die Atmosphäre einer Rufmord-Kampagne beschreiben.
Bernard Lown:
"In einer von Konfrontation und Streit zerrütteten Welt war die IPPNW in kaum vier Jahren zum Vorbild für die Zusammenarbeit zwischen Ärztinnen und Ärzten aus Ost und West, Nord und Süd geworden. Die westlichen Medien jedoch von ein paar rühmlichen Ausnahmen abgesehen überboten sich gegenseitig in Denunziationen des Nobelkomitees und seiner Wahl. "Soviet Propaganda wins the Prize" (sowjetische Propaganda gewinnt den Preis), erklärte die "New York Daily News", "Nobel Peace Fraud" (Nobelfriedens-Schwindel) zischte das "Wall Street Journal" und die "Toronto Globe and Mail" leitartikelte über "Peace with a Bias" (Friede mit Schlagseite). Diese Denunziationen hingen aufs engste mit den Anschuldigungen zusammen, die IPPNW hätte sowjetische Verstöße gegen die Menschenrechte einfach ignoriert."
Horst-Eberhard Richter:
"In der Bundesrepublik war der Teufel los. Kohl fluchte. Heiner Geißler waltete seines Amtes als Exorzist: Eine Schande sei es, dass die Wahl diese fragwürdige Ärzteorganisation getroffen habe. Dies sei "eine Verwirrung der Begriffe und eine Desorientierung der Werte". Die IPPNW-ÄrztInnen und ihre Preisverleiher seien gemeinsam Weltverschwörer gegen das christliche Abendland. Damit noch nicht genug. Den nächsten Friedensnobelpreis müssten die Bundeswehr und die Nato verleihen bekommen."
Presseerklärung der bundesdeutschen IPPNW
"Durch den Friedensnobelpreis ist die Rolle der IPPNW in der Friedensbewegung besonders hervorgehoben worden. Die IPPNW erzeugt nicht, aber sie vertritt die Besorgnisse der vielen Millionen, die ein Leben unter der risikoreichen atomaren Bedrohung immer schwerer aushalten. Die IPPNW erzeugt nicht, aber sie vertritt die Befürchtungen der 79 Prozent Bundesbürger, die laut EMNID-Umfrage erklärt haben, dass sie in einem atomverwüsteten Deutschland auch dann nicht weiterleben möchten, wenn sie einen Atomkrieg überstehen könnten. Die IPPNW erzeugt nicht, aber sie vertritt und artikuliert mahnend die Erkenntnis, dass ein nuklearer Krieg alle Vorkehrungen von Zivilschutz und Kriegsmedizin wirkungslos machen und unsere Zivilisation zerstören würde. Die IPPNW setzt sich dafür ein, dass diese realistische Beurteilung nicht verdrängt, vielmehr mit der kategorischen Forderung an die verantwortlichen Politiker verknüpft wird, den tödlichen atomaren Rüstungswettlauf unverzüglich zu beenden. Ohne einen gewaltigen Erwartungsdruck der Völker werden sich die Staatschefs der Supermächte in Genf nur schwer zu einer tragfähigen Zusammen-Arbeit in der Rüstungs-Politik durchringen können.
"Gewisse politische Kräfte verübeln uns Ärzte, dass wir uns zum Sprecher genau dieses Erwartungsdrucks machen. Man wirft uns vor, wir schwächten damit den Verteidigungswillen, der freilich in der Sicht der Bevölkerungsmehrheit z.Zt. praktisch auf eine Bereitschaft zur Selbstvernichtung hinauslaufen würde. Deshalb versuchen diese Kräfte, uns unglaubwürdig und mundtot zu machen. Diesem Ziel dient die von CDU-Generalsekretär Geißler und seinen Helfern sorgfältig vorbereitete und gegen uns und das Nobelpreiskomitee seit einer Woche geführte Kampagne (...)"
dpa-Meldung
"Friedensnobelpreis. Kritik in Norwegen auf Kohls Protest gegen Preisverleihung. Oslo (dpa) Die Kritik Bundeskanzler Helmut Kohls und anderer christdemokratischer Führer an der beabsichtigten feierlichen Übergabe des Friedensnobelpreises an den sowjetischen Arzt Jewgeni Tschasow ist in Norwegen zurückgewiesen worden. Der Direktor des Nobelinstituts, Jakob Sverdrup, betonte, Kohl sei der erste Regierungschef überhaupt, der sich gegen eine Preisvergabe ausspreche, seit 1935 Adolf Hitler die Verleihung an den deutschen Publizisten und Pazifisten Carl Ossietzky verurteilte.
"Der norwegische Außenminister Svenn Stray, der an der Zeremonie am 10. Dezember in Oslo nicht teilnehmen wird, wies darauf hin, dass nicht Tschasow persönlich ausgezeichnet worden sei, sondern die internationale Organisation "Ärzte gegen den Atomkrieg", deren Mitbegründer Tschasow ist. Stray erkannte das Recht eines Politikers auf eine eigene Meinung an, nannte es aber "etwas merkwürdig", ein Protestschreiben zu einem Zeitpunkt zu schicken, da das Nobelkomitee seine Entscheidung nicht mehr zurücknehmen könne und wolle.
"In norwegische Regierungskreisen wurde der Brief eine "höchst unkluge Aktion" genannt. Kohl, so hieß es, sei möglicherweise das Opfer einer internen politischen Meinungsmachekampagne geworden."
Willy Brandt,
nach einem Gespräch als SPD-Vorsitzender mit der IPPNW:
"Die SPD weist den grobschlächtigen Diffamierungs-Versuch des CDU-Generalsektretärs Geißler gegenüber der Ärzte-Organisation zurück. Geißler versucht seit Monaten die Bemühungen um eine zweite Phase der Entspannungspolitik durch eine Anti-Amerikanismus-Kampagne aus dem Geist der 50er Jahre zu konterkarieren. Seitdem er spürt, dass er mit diesem Vorhaben selbst in der eigener Partei zu scheitern droht, schlägt er immer hektischer um sich, nun also auch gegen die Internationale Ärzteorganisation. Wir bedauern, dass die Union es Herrn Geißler erlaubt, die Kampfbegriffe des ersten Kalten Krieges auszugraben und damit einen neuen Kalten Krieg zu beginnen. Die SPD wird die krampfhafte Re-Ideologisierung des Ost-West-Dialogs nicht hinnehmen.
Carl-Dieter Spranger,
Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, in der 180. Sitzung des Bundestages der 10. Wahlperiode, 4. Dezember 1985:
"Die Ausführungen der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 13. November 1985 über die Internationale Ärztevereinigung zur Verhütung eines Atomkrieges IPPNW decken sich mit den Erkenntnissen der Bundesregierung.
Die IPPNW ist im Vorfeld kommunistischer Frontorganisationen tätig. Rund ein Drittel ihrer bislang bekanntgewordenen Funktionsträger sind zugleich Mitglieder in sowjetisch gesteuerten Frontorganisationen, vor allem des Weltfriedensrates bzw. in kommunistischen Parteien ihrer Heimatstaaten (...)
"Nach den der Bundesregierung vorliegenden Erkenntnissen wird unter Ausnutzung des hohen moralischen Ansehens der Ärzteschaft mit Hilfe der IPPNW versucht, im Sinne der kommunistischen Bündnisstrategie Einfluss auf die westliche Öffentlichkeit zu gewinnen. Mit der Initiative soll in nichtkommunistischen Personengruppen für die kommunistischen Zielvorstellungen geworben, die Berufs-Politik der Ärzteschaft beeinflusst und durch Darstellung der Atomkriegsfolgen Ängste geschürt und politisch nutzbar gemacht werden. (...)
"Bisher gibt es keine Erkenntnisse darüber, dass diese besonderen Einflussnahme-Bemühungen gegenüber der deutschen Sektion der IPPNW erfolgreich waren."
Quellen:
Abrams, Irwin: "The Origins of International Physicians for the Prevention of Nuclear War: The Dr James E. Muller Diaries" in Medicine, Conflict and Survival, Vol. 15, Nr. 1, Jan-März 1999
Lown, Bernard: "Die Geschichte der "Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs" (IPPNW) Wichtige Stationen und Perspektiven" in Ruprecht, Thomas M.
"Äskulap oder Mars? Ärzte gegen den Krieg", Donat Verlag, Bremen 1991.
Richter, Horst-Eberhard: "Wanderer zwischen den Fronten", Kiepenheuer und Witsch, Köln 2000.
aus dem Rundbrief "Ärzte warnen vor dem Atomkrieg" Nr. 16, Januar 1986:
"Menschen aller Länder, die ihr überleben wollt, vereinigt euch!" Rede des Vorsitzenden des Norwegischen Nobelkomitees, Egil Aarvik, anläßlich des Friedensnobelpreises 1985 am 10. Dezember in Oslo.
Offener Brief der 25 Mitglieder der Akademie der medizinischen Wissenschaften der UdSSR, daruntr Prof. Dr. Tschasow (Iswestija, 2.9.1973)
"Wir Deutschen haben keinen Grund uns als erste moralisch zu entrüsten!" Rede von Prof. Dr. Ulrich Gottstein, Frankfurt/M, beim Empfang des Osloer Bürgermeisters am 9. Dezember 1985, anläßlich der Verleihung des Friedensnobelpreises 1985.
"IPPNW und SPD: Mitteilungen an die Presse"
"Zielscheibe der Kritik: Jewgeni Tschasow" aus der Basler Zeitung vom 11. Dezember 1985
Scholz, Prof. Dr. med. Roland: "Sacharow und die IPPNW"
"Es geht nicht um Sacharow" aus der Basler Zeitung, 11. Dezember 1985
"IPPNW im Deutschen Bundestag", aus dem Protokoll der 179. Sitzung am 29. November 1985
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