Der jüngst erschienene diesjährige World Nuclear Industry Status Report (WNISR)[1] ist wieder ein lesenswerter Realitätscheck der globalen Atomindustrie und ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit, Verzögerungen und Probleme. Gemeinsam mit vielen weiteren internationalen Expert*innen stellen die Autoren Mycle Schneider und Antony Froggatt fest, dass der Anteil der Atomkraft an der globalen kommerziellen Stromerzeugung im Jahr 2021 unter 10 Prozent fiel und damit auf den niedrigsten Wert seit vier Jahrzehnten. Wind- und Solarenergie allein lieferten hingegen 10,2 Prozent der weltweiten Stromerzeugung und übertrafen damit erstmals den Anteil des AKW-Stroms.
Dies sind nur zwei der vielen Ergebnisse des 385-seitigen Berichts, der am 5. Oktober veröffentlicht wurde. Er zeichnet wie üblich ein detailliertes Bild geplanter und stillgelegter AKW, der Altersverteilung der laufenden Reaktoren und den Anteil der seit Längerem vom Netz genommenen Kraftwerke. So listete die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) Ende 2021 weltweit 437 Reaktoren als „in Betrieb“. Der WNISR legt nun dar, dass in dieser Zahl jedoch 23 Reaktoren enthalten sind, die mindestens seit 2013 keinen Strom mehr erzeugt haben zeichnet damit ein realistischeres Bild der Leistungsfähigkeit der weltweiten Reaktorflotte.
Insgesamt fasst der Report die Trends in den 33 Ländern, in denen AKW in Betrieb sind zusammen und gibt einen aktuellen Überblick über mögliche neue Länder auf dieser Liste. Die Autor*innen heben hierbei die Rolle Russlands im internationalen Nuklearmarkt und im Hinblick auf AKW-Neubauten hervor. Mit 20 im Bau befindlichen Anlagen, darunter 17 Anlagen in sieben anderen Ländern, dominiert Russland das internationale Geschäft. Effekte möglicher Sanktionen gegen den russischen Staatskonzern Rosatom konnten hierbei allerdings noch nicht abgesehen werden. Außer Rosatom sind nur französische und südkoreanische Unternehmen als führende Auftragnehmer beim Bau von Atomkraftkraftwerken im Ausland tätig.
Neben Sonderkapiteln zu sogenannten Small Modular Reactors, einem vertieften Blick auf den Vergleich der Leistungen von Atomkraft und Erneuerbaren, den Stand der Dinge im Bereich des Rückbaus von Atomanlagen und auf Fukushima, enthält der diesjährige WNISR einen Schwerpunkt zu Atomkraft im Krieg. Darin werden Atomkraftwerke als hochkomplexe Industrieanlagen beschrieben, deren Betrieb von der Stabilität technischer, menschlicher, regulatorischer, politischer und wirtschaftlicher Bedingungen abhängt, die bisher weitgehend als selbstverständlich vorausgesetzt worden sind. Denn schließlich hängt die Sicherheit von Atomkraftwerken und der Lagerbecken für abgebrannte Brennelemente maßgeblich von ständig funktionierenden Kühlsystemen ab. Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine und der Besatzung des AKW Saporischschja durch russische Truppen, stellt der Report fest, dass kein Atomkraftwerk der Welt für den Betrieb unter diesen Bedingungen ausgelegt ist.
Patrick Schukalla, Referent für Atomausstieg, Energiewende und Klima
[1] https://www.worldnuclearreport.org/-World-Nuclear-Industry-Status-Report-2022-.html
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